Nach der auf Januar verschobenen Parlamentsabstimmung über den Brexit-Deal hat sich Theresa May wieder auf Rettungstour begeben, klappert nochmal halb Europa ab, um … ja was eigentlich? Barbara Knopf hat mit Kate Connolly, Korrespondentin des britischen Guardian in Deutschland, über die Lage in Großbritannien gesprochen. In Kürze erscheint Connollys Buch "Exit Brexit", in dem sie ebenso von ihrem skurrilen Weg zum deutschen Pass erzählt wie vom Verhältnis zwischen Großbritannien und Europa.
Barbara Knopf: Frau Connolly, auf persönlicher Ebene sind Sie weiter als die britische Regierung: Sie haben nach 15 Jahren in Deutschland nun auch den deutschen Pass bekommen – und damit sozusagen einen weichen Brexit geschafft.
Kate Connolly: Letztendlich war das meine Reaktion auf diese politischen Geschehnisse, weil ich das Gefühl hatte: Wenn ich jetzt nicht was mache für mich, dann stehe ich dumm da. Und würde angesichts dieser hoffnungslosen Politik meines Landes, die seit mindestens zwei Jahren abläuft, einfach nur ein Opfer sein. Ich wollte das nicht, und dann habe ich gedacht: Was ist das Einfachste, was ich machen kann? Das Einfachste ist, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Zusätzlich zur britischen muss man sagen.
Wie blicken Sie mit dem deutschen Pass nun auf Ihr noch immer altes Heimatland Großbritannien? Kann man zum Beispiel, wenn man in den Kopf von Theresa May kriecht, sagen, warum sie macht, was sie macht?
Nein, das kann ich nicht sagen. Aus meinem Freundeskreis kenne ich auch niemanden, der das erklären kann. Man hatte gehofft, dass sie das in eine gute Richtung lenken würde, aber wie man in diesen Tagen sieht, sind wir in einer ganz chaotischen Lage – was wir gar nicht kennen. Man kann keinen Weg aus dieser Sackgasse erkennen. Theresa May hat auf der einen Seite Schuld, ihr wird ja auch vorgeworfen, uns in dieses Chaos zu stürzen, auf der anderen Seite wird sie auch für ihre Ausdauer gelobt, mit Brüssel, den Brexiteers und den Brexit-Gegnern zu verhandeln.
Sie zitieren in Ihrem Buch einen afghanischen Taxifahrer, der es für Sie mal auf den Punkt gebracht hat: Der Afghane hat zu Ihnen, der Britin in Deutschland, gesagt: "Euer Land ist ganz schön am Arsch." Ist das auch Ihre Bewertung?
In dem Moment – ich war beruflich in Frankfurt – musste ich sehr lachen. Aber natürlich: Aus afghanischer Perspektive betrachtet, einem Land, das total chaotisch und größtenteils zerstört worden ist durch den Krieg, da musste ich schon schlucken, als ich das hörte. Ich habe die Bemerkung dann getwittert und viel Spott dafür bekommen. Die Briten mögen nicht, wenn man kritisiert, die Richtung, in die viele Leute unser Land lenken, sei einfach falsch. Wenn man ein Buch darüber schreibt, denkt man viel mehr nach über diese Begegnungen, auch mit Deutschen, mit meinen Nachbarn, mit Politikern, Leuten, die ein anderes Licht darauf werfen, in welcher Situation sich mein Land befindet. Ich finde auch sehr interessant, dass die Briten oft zu mir gesagt haben, die Deutschen reiben sich bestimmt die Hände, jetzt, da alles so schiefläuft in Großbritannien. Ich habe gesagt: Nein, im Gegenteil – die Deutschen sind extrem enttäuscht und traurig.
Man kann sich ja eigentlich auch Europa ohne Großbritannien nicht wirklich vorstellen.
Theresa May würde natürlich sagen, wir gehen nicht aus Europa, wir gehen nur aus der EU. Aber natürlich: Dieser symbolische Schritt, dass man Europa oder der EU den Rücken zudreht, ist schon ein deutliches Signal. Wir wollen keine Migranten mehr, wir erkennen nicht, was wir gewonnen haben, als wir Teil von dieser Europäischen Union waren. In Großbritannien gab es immer eine viel pragmatischere Sicht auf die EU, die Gefühle der Deutschen Europa gegenüber werden in Großbritannien gar nicht verstanden, das ist ein ganz fremder Blick. Für uns ist Europa hauptsächlich etwas Pragmatisches, das hat mit der Wirtschaft zu tun. Die jüngeren Leute haben vielleicht eher einen anderen Blick auf Europa, sie sind viel durch Europa gereist. Ähnlich wie meine Generation: Ich war 18, als die Mauer fiel, da hatte man das Gefühl, Europa ist für uns offen. Mein Erwachsenenleben fängt an mit dem Fall der Mauer.
In Ihrem Buch beklagen Sie auch die Gleichgültigkeit von Politikern, die desinteressiert sind an den Auswirkungen ihres Handelns. Es gibt den Hinweis auf ein Twitter-Bild von David Cameron, der am Strand liegt und zusammen mit der Gattin seine Zehen fotografiert. Sie schreiben, er denke gar nicht mehr daran, was er losgetreten habe. Macht Sie das wütend?
Ja, ich verstehe das nicht. Gestern Abend ist er ganz kurz interviewt worden. Er stieg in ein Auto und eine Kamerafrau hat ihn gefragt, ob er sich schuldig fühle, seine Antwort: Nein, nein gar nicht. Er habe das gewünschte Referendum zur Welt gebracht, um endlich diese Frage aus der Welt zu schaffen. Natürlich erinnert das ein bisschen an Frankenstein, man könnte sagen: Was für ein Monster hat er da zur Welt gebracht? Aber er sieht das nicht. Es gibt andere Leute, die sehr involviert waren, zum Beispiel Nigel Farage, eine Heldenfigur für manche deutschen Politiker, ist auch jemand, der von seiner Verantwortung zurückgetreten ist. Leute wie Nick Clegg, der ehemalige Führer der liberalen Partei in Großbritannien, der in der Regierung mit Cameron war – er geht jetzt weg nach Kalifornien und wird für Facebook arbeiten. Was für Signale werden da an junge Leute geschickt? Man kann irgendwas anrichten, und dann kann man weggehen, ohne dass man die Konsequenzen tragen muss!
Würden Sie denn sagen, in der jetzigen Situation ist überhaupt noch britischer Humor vorhanden?
Leider ist das selten geworden. Manchmal hat man das Gefühl, dass manche Leute einen Humorverlust erlitten haben. Wobei die besten Komiker momentan die Leute sind, die einen Brexit-Befürworter wie auch einen Brexit-Gegner gleichzeitig zum Lachen bringen können. Das ist vielleicht ein bisschen skurril, ich denke, für die Deutschen ist das kein laughing matter, wie wir sagen würden, sondern nur etwas, worüber man weinen kann.
Aber es gibt den schönen deutschen Satz "Humor verbindet" ...
Genau, das merke ich auch. Meine Güte, das brauchen wir. Und jetzt kommt die Weihnachtszeit: Es sind sehr viele Familien – unter anderem meine –, die gespalten sind, und man soll unterm Weihnachtsbaum sitzen und irgendwie nicht über diese Sachen sprechen. Die meisten Leute schaffen das ein paar Stunden lang, aber das ist natürlich eher eine Unterdrückung – irgendwann kommt es dann doch raus, dieser Frust und diese kochende Wut, die viele Leute haben.
"Exit Brexit. Wie ich Deutsche wurde" von Kate Connolly erscheint im Januar im Hanser Verlag.
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