Ein jüdischer Mann trägt eine Kippa.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Carsten Koall
Audiobeitrag

Ein jüdischer Mann trägt eine Kippa.

Audiobeitrag
>

Über 400 Vorfälle in Bayern: Wie verbreitet Antisemitismus ist

Über 400 Vorfälle in Bayern: Wie verbreitet Antisemitismus ist

Beleidigungen, Angriffe mit Baseballschlägern, Einschusslöcher in einer Tür: Jüdinnen und Juden in Deutschland bleiben Zielscheibe von gefährlichem Antisemitismus. Was im Alltag an Ressentiments und Gewalt herrscht, zeigt jetzt ein Bericht.

Über dieses Thema berichtet: Nachrichten am .

Als der Mann mit der Kippa im Café bezahlen will, sagt die Bedienung über seinen Kopf hinweg: "Ja, dass er Geld hat, sieht man schon an der Mütze, die haben immer genug Geld." Das antisemitische Vorurteil dahinter: Kippa ist gleich Jude, Jude ist gleich Geld ist gleich Anlass für einen abfälligen Kommentar: Alltag in Deutschland. So zeigt es auch der nun vorgestellte Jahresbericht der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) zu antisemitischen Vorfällen 2022.

Vorfälle extremer Gewalt auf Höchststand

Rias hat im vergangenen Jahr 2.480 antisemitische Vorfälle erfasst. Das seien elf Prozent weniger als 2021, sagte Benjamin Steinitz, geschäftsführender Rias-Vorstand in Berlin. Grund für den leichten Rückgang seien "fehlende Gelegenheiten" wie etwa Proteste gegen Corona-Maßnahmen gewesen.

Zugleich sei die Anzahl von Vorfällen extremer Gewalt im vergangenen Jahr auf neun gestiegen. Dies sei die höchste Anzahl derartiger Fälle seit Beginn der bundesweiten Erfassung 2017. Darunter waren versuchte Brandanschläge auf jüdische Gemeinden in Dortmund und Bochum sowie Schüsse auf ein ehemaliges Rabbinerhaus in Essen.

Über 400 antisemitische Vorfälle in Bayern

In Bayern gab es 422 antisemitische Vorfälle im Jahr 2022. Das sind 34 Fälle weniger als noch 2021, wie Rias Bayern bereits Ende März dieses Jahres mitteilte. Die Zahlen befänden sich aber auf einem hohen Niveau, betont die Leiterin, Annette Seidel-Arpaci. Hinzu komme eine hohe Dunkelziffer.

"Auf das Jahr umgerechnet hat sich an mehr als jedem Tag in 2022 in unterschiedlicher Ausprägung Hass und Gewalt auf jüdisches Leben entladen", beurteilte der Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland die Zahlen. "Das ist umso mehr erschreckend, weil auch die Hemmschwellen immer niedriger werden."

Laut Seidel-Arpaci zeigt sich Antisemitismus 2022 in Bayern weiterhin als relativ niedrigschwelliges Alltagsphänomen. Das sei eine "grässliche gesellschaftliche Normalität", so Seidel-Arpaci. Den größten Teil der antisemitischen Vorfälle macht laut Rias Bayern mit 350 Fällen verletzendes Verhalten aus. Oft sei dies unterhalb der Strafbarkeitsschwelle, so Seidel-Arpaci. Gemeldet wurden für 2022 auch drei Angriffe, 13 Bedrohungen und 30 gezielte Sachbeschädigungen, die sich gegen Zeichen oder Orte zum Gedenken richteten.

Viele Vorfälle haben verschwörungsideologischen Hintergrund

Bianca Loy vom Rias-Bundesverband sagte, jeder fünfte antisemitische Vorfall habe einen verschwörungsideologischen Hintergrund gehabt. Erstmals seien dem rechtsextremen Hintergrund mit 13 Prozent nicht die meisten Vorfälle zugeordnet worden. Rund die Hälfte der Vorfälle (53 Prozent) seien keinem politischen Hintergrund klar zuzuordnen gewesen.

Weiter berichtet Rias über 186 Sachbeschädigungen sowie 56 Angriffe auf Menschen, die als Juden angesehen wurden. Zudem wurden 1.912 Fälle "verletzenden Verhaltens" wie Äußerungen und Beschmierungen gezählt. Die Zahl antisemitischer Massenmails stieg um knapp ein Drittel (31 Prozent) auf 245 Fälle. Ein Großteil wurde vom Rias in Thüringen registriert. Es habe sich um einen einzigen Absender mit verschwörungsideologischem Hintergrund gehandelt.

Die meisten antisemitischen Vorfälle wurden in Berlin (848) gezählt. Davon ereigneten sich mehr als die Hälfte (483) online. Weitere Schwerpunkte waren Bayern (422), Nordrhein-Westfalen (253) und Thüringen (237).

Antisemitismusbeauftragter: Mehr Sensibilität im Kulturbetrieb

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, forderte mit Blick auf die von einem Antisemitismusskandal überschattete Kasseler Kunstschau "documenta fifteen" mehr Sensibilität im Kulturbetrieb gegenüber israelbezogenem Antisemitismus. Durch die Documenta sei viel Vertrauen in der jüdischen Community zerstört worden. Zugleich mahnte er mehr politische Unterstützung an, wenn es um das Eintreten gegen Judenhass gehe.

Als Zeichen gestiegener Sensibilität gegenüber Antisemitismus sieht Klein die Debatte um die Konzertauftritte des Ex-"Pink Floyd"-Mitglieds Roger Waters. Dem Musiker wurden israelfeindliche und antisemitische Äußerungen vorgeworfen. Bei solchen Auftritten müsse mit Widerspruch gerechnet werden, sagte Klein. Er selbst befürworte einen solchen Widerspruch. Zwar seien Meinungs- und Kunstfreiheit ein hohes Gut, aber wenn es Anhaltspunkte für Straftaten gebe, müssten Behörden einschreiten.

Mit Informationen von dpa, KNA und epd

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.