Harry Belafonte, Tina Turner, Silvio Berlusconi
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2023 gestorben: Harry Belafonte, Tina Turner, Silvio Berlusconi

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Abschied: Die Verstorbenen des Jahres 2023 (1)

Abschied: Die Verstorbenen des Jahres 2023 (1)

Teil 1 unserer Nachrufe des Jahres 2023 beginnt und endet in Rom: mit einer makellosen Schönheit und einem gar nicht makellosen Machtmenschen. Dazu eine Göttin des Soul/Rock, die letzte Überlebende der Weißen Rose und andere erinnernswerte Menschen.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Zündfunk am .

2023 gestorben: Harry Belafonte, Tina Turner und Silvio Berlusconi, auch Gina Lollobrigida und Traute Lafrenz, eine der letzten Zeitzeuginnen des NS-Widerstands. Nicht zu vergessen: der vielleicht erfolgreichste Hit-Komponist des 20. Jahrhunderts, ein wortkarger Fußballreporter und eine Frau, die Röcke kürzte. Lesen Sie selbst.

In den 50er-Jahren war der Hunger Hollywoods nach schönen Frauen unersättlich. Als hätten die USA nicht genug zu bieten gehabt, durchkämmten die Produzenten auch das eben befreite Europa nach deutschen "Fräuleinwundern" (wie Elke Sommer und Senta Berger), kühlen Schwedinnen (Anita Ekberg und Britt Ekland) und natürlich den schönsten Töchtern von Bella Italia. Drei blieben im Rechen hängen: "die Loren", "die Cardinale" und "La Lollo" aus Subiaco bei Rom, die schon als Dreijährige zum "schönsten Kind Italiens" gewählt worden war. Dabei wollte sie gar nicht zum Film.

Luigia, genannt Gina Lollobrigida war gerade dabei, sich als Stipendiatin der Bildhauerei und Malerei einen Namen zu machen, als ihr der schwerreiche Hobby-Filmproduzent Howard Hughes ein Angebot machte, das sie nicht ablehnen wollte. Es folgten über 50 Filme, darunter Welterfolge wie "Fanfan der Husar" und "Der Glöckner von Notre Dame". In den 70ern stieg Lollo dann schon wieder von der Leinwand herab, um eine dritte Karriere als Fotografin zu starten und Figuren der Zeitgeschichte in den Fokus zu nehmen - Pelé und Dalí, Castro und Kissinger (zu diesem siehe Teil 2 unserer Nachrufe).

Ihr Status als "Gina Nazionale" war dabei sicher nicht hinderlich. Wäre er wohl auch für ihre vierte Karriere als Politikerin nicht gewesen, die sie mit 95 startete. Begründung: Sie habe genug von streitenden Politikern. Streit hatte sie nämlich schon in der Familie, mit ihrem Sohn, der sie entmündigen lassen wollte; ob wegen ihres Liebeslebens (so der Sohn) oder seiner Geldgier (so die Lollo), müssen nun höhere Instanzen entscheiden.

Gina Lollobrigida: Lollo, das Multi-Talent

Schön, wenn man so angesagt wird - und dann noch von Marlene Dietrich: "Er ist der Mann, den ich liebe und bewundere, mein Begleiter, mein Arrangeur ...", so stellt die leicht verschossene Diva 1959 in den Applaus von Rio hinein ihren jungen Bandleader vor, "... und zu gern würde ich sagen: mein Komponist. Doch das ist nicht wahr. He's everybody's composer!" In der Tat. Praktisch alle haben sich an Bacharachs Songs versucht, Frank Sinatra und die jungen Beatles, Elvis Presley und Elvis Costello, Dusty Springfield und Aretha Franklin, der ebenfalls 2023 verstorbene Tony Bennett, Bacharachs Lieblingsinterpretin Dionne Warwick und der Meister selbst. Mit dem Effekt, dass es etwa von Walk on by maximal unterschiedliche Versionen von den Beach Boys, Cyndi Lauper, Isaac Hayes (12 Minuten Drama!) und den Stranglers (mit Brutal-Bass) gibt und Bacharach am Ende gut 60 US-Hits, sechs Grammys, drei Oscars hatte.

Wer in den 70er- oder 80er-Jahren mit seinen Eltern beim Frühstück Bayern 1 hörte, bekommt Bacharachs Melodien und die Texte seine Partners Hal David in diesem Leben nicht mehr aus dem Ohr. Raindrops keep falling on my head. What the world needs now is love. The look of love. Do you know the way to San Jose? König des Easy Listening nannte man ihn, doch easy war seine Musik allenfalls in dem Sinne, in dem "Amadeus" ein Film über Mozart ist. Wie raffiniert die Harmonie- und Rhythmuswechsel des klassisch (nämlich bei Darius Milhaud) ausgebildeten Komponisten sind, weiß jeder, der mal versucht hat, auf dem Weg zum Bus Say a little prayer for me zu pfeifen. Von der ersten Note über das 17. Take im Studio bis zur Kontrolle der Vinylpressung: Bacharach arbeitete präzise und schwer wie ein Seiltänzer.

Mit Deutschland hatte Bacharach übrigens nicht nur in Gestalt von Marlene Dietrich zu tun. Bacharach selbst gab als Herkunftsort der Familie gern das gleichnamige Rheinromantik-Örtchen an - tatsächlich schipperte sein Urgroßvater Seligman Simon Bacharach aus dem hessischen Mansbach nach Philadelphia. Vater Bertram machte sich einen Namen als Football-Spieler und Verfasser eines Haushaltsratgebers mit dem schönen Namen "How to do almost everything". Der junge Burt kehrte als klimpernder GI in die Bars von Garmisch zurück - und dann nochmal 2019, mit 91 Jahren, in die halbleere Münchner Philharmonie. Viele hatten da wohl schon vergessen oder nie gewusst, wessen Musik sie damals beim Frühstück gehört hatten. Dafür widmete ihm eine Band aus dem Rheinland ein kongeniales, quasi Heine-romantisches Cover von Close to you, mit Zeilen wie:

"Der Wind geht dir durchs Haar, der Mond nicht unter / Und die Sonne bleibt / an ihrer allerschönsten Stelle stehn./ Das ganze Universum will sich mal in deinen Tönen (pardon: Augen) spiegeln sehn!" Erdmöbel, Nah bei dir

Tony Marshall: Hast du heut' für mich Zeit?

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Herbert Anton Bloeth, besser bekannt als Tony Marshall * 3. Februar 1938 † 16. Februar 2023

Wäre die Verwandtschaft von Herbert Anton Bloeth vermögend gewesen - vielleicht hätte im "Badischen Tagblatt" im Februar 2023 nur eine Kurzmeldung über den Tod eines mäßig bekannten Opernsängers informiert. Doch die Familie konnte ganz gut brauchen, was ihr Sprössling verdiente, weshalb dieser sein Staatsexamen als Opernsänger an den Nagel hängte und als Tony Marshall mit den Wirtschaftswunderpartykellerhits von Produzent Jack White (bürgerlich Horst Nußbaum und schon deswegen nicht zu verwechseln mit Jack White von den White Stripes, bürgerlich John Anthony Gillis) zum "Fröhlichmacher der Nation" wurde.

Dass er neben Klavier und Geige noch vier weitere Instrumente beherrschte und angeblich acht Sprachen, erwähnte er später noch manchmal, doch das wollte keiner hören. Was die Leute hören wollten: Ich fang für euch den Sonnenschein. Bora Bora Ey und natürlich die Schöne Maid - Lieder zwischen Leichtfolklore und Mitklatsch-Schlager, die Marshall zu einer Art nationalem Betriebsausflug auf zwei Beinen machten.

Traute Lafrenz: Die letzte Überlebende der Weißen Rose

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Traute Lafrenz-Page * 3. Mai 1919 in Hamburg; † 6. März 2023

Die Weiße Rose und deren Widerstand in der NS-Zeit werden oft mit den Geschwistern Scholl gleichgesetzt, dabei waren bis zu 100 Menschen in München, Hamburg, Wien und andernorts aktiv. Traute Lafrenz, die Freundin von Hans Scholl, war die letzte Überlebende der Widerstandsgruppe - eine Mitwirkende, die "kein Heldentum gesucht", sondern "gehandelt hat, weil sie es für wichtig und notwendig hielt", wie Hildegard Kronawitter, die Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung, sagt.

"Es war ein großes Glück für uns, dass sie überlebte und so anschaulich vom Widerstand berichten konnte." Bundeskanzler Olaf Scholz

Allzu viel berichtete sie nicht, vielleicht aus Bescheidenheit. Ein angebliches Interview des Reporters Claas Relotius stellte sich als mehr oder minder gefälscht heraus. Was wir wissen: 1939 begegnete die gebürtige Hamburgerin Alexander Schmorell, einem Mitbegründer der Widerstandsgruppe. Zwei Jahre später wechselte die Medizinstudentin an die Münchner Universität, wo sie Hans Scholl kennen und lieben lernte. Sie half bei der Formulierung und Verteilung einiger der sechs auf insgesamt 9.000 Flugblätter gedruckten Botschaften, war viel unterwegs, um Papier und einen Vervielfältigungsapparat zu beschaffen. Als Hans und seine Schwester Sophie Scholl 1943 von den Nazis verhaftet wurden, war es Lafrenz, die nach Ulm reiste und die Eltern informierte. Als sie zurückkam, waren die beiden bereits ermordet. Lafrenz war die einzige außerhalb der Familie, die bei der Beerdigung der beiden dabei war - ein großes Risiko. Wenig später wurde sie zum zweiten Mal verhaftet und nacheinander in vier Gefängnisse verschleppt.

Nachdem sie von US-Truppen aus dem Zuchthaus Bayreuth befreit wurde, zog sie in die USA, wurde Ärztin und Leiterin einer heilpädagogischen Schule für geistig behinderte Kinder. Sie heiratete den Arzt Vernon Page, hatte vier Kinder und wohnte zuletzt in South Carolina, wo sie am 6. März im Alter von 103 Jahren starb.

Mary Quant: Regelverstoß überm Knie

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Barbara Mary Quant (Mitte) * 11. Februar 1930 † 13. April 2023

Vielleicht ist es Zufall, dass in einer Zeit, in der das britische Kolonialreich schrumpfte wie zu heiß gewaschen, zwei englische Erfindungen mit dem Namen Mini Welterfolge wurden: Der Mini Cooper (1959) und der Minirock (ca. 1963); letzterer nach ersterem benannt.

Der Rock, dem nie vergönnt war, ein weibliches Knie zu berühren, entstammt der Zeichenfeder von Mary Quant aus Blackheath, Kent. Die studierte Kunstlehrerin entwarf auch Hotpants, hautenge Rippenpullis, bunte Strumpfhosen und Regenmäntel aus PVC, einem Material, das zuvor nur für Tischdecken Verwendung gefunden hatte; dazu regen- und somit inselfeste Wimperntusche. Der Minirock war also nur ein Teil unter vielen, und die ersten, die sich sowas (für Männer!) ausgedacht hatte, waren eh die alten Ägypter - jetzt aber war die Zeit wieder reif.

Skandal! Erregung! Es waren die "Swinging Sixties". Der Lufthauch am Bein symbolisierte die Befreiung der Frau. Mary Quant eröffnete eine Boutique nach der anderen. Mit zum Erfolg trug auch das Model Twiggy bei - nach heutigem Maßstab ein Magermodel, das an Essstörungen und Modediktate denken lässt. So einfach der Rock zu nähen ist, so schwierig ist also seine Beurteilung (und wird auch nicht einfacher dadurch, dass die Queen, die wohl not amused gewesen wäre, hätte man sie in einen Mini stecken wollen, Mary Quant 2014 den Titel "Dame" verlieh). Zeitlos gültig sein könnte dieses Zitat von Mary Quant:

"Regeln werden für faule Menschen erfunden, die nicht für sich selbst denken wollen." Mary Quant

Ernst Huberty: Jahrhundertspielreporter

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Ernest Rodolphe Huberty * 22. Februar 1927 † 24. April 2023

Andere Zeiten, damals. Männer, deren Frisur sich vor der Zeit ins Seitenaus verzog, legten die verbliebenen Haare fein säuberlich von einem Spielfeldrand zum anderen. "Klappscheitel" nannte man das; Ernst Huberty galt früh als Meister dieser Disziplin, strich die Haare über seinen Kopf wie Senf auf ein Sandwich. Stilbildend allerdings wurde der gebürtige Trierer mit dem Senf, den er - seit 1950 Sportreporter, ab 1961 Moderator der ARD-Sportschau - zum Fußball dazugab.

Die Fußballübertragung im Fernsehen war noch jung, die Pioniere am Mikrophon mussten sich erst daran gewöhnen, dass die ZUSCHAUER jetzt selbst sehen konnten, was auf dem Platz passierte, und ihre Aufgabe nun darin bestand (und bis heute besteht), wohldosiert nachzuwürzen. Bald bildeten sich zwei Schulen heraus: Die eine trompetete Zusatzemotionen - allen voran der Österreicher Edi Finger ("Tor! Tor! Tor! I werd' narrisch!!!", Österreich-Deutschland, Cordoba 1978), die anderen - und hier war Huberty prägend - lieferte Zusatzinformationen, gerne in minimalistischer Form.

"Müller. Müller. Müller. Tor. () Wenn Sie jemals ein echtes Müller-Tor gesehen haben, dann jetzt." Ernst Huberty, (Deutschland-Italien, Mexiko 1970)

Rhetorischer Standfußball sei das, schimpften manche, doch viele lobten seine Beschränkung aufs Wesentliche. Gut drei Jahrzehnte lieferte Huberty so die Tonspur zu Spielen, die ins kollektive Gedächtnis eingegangen sind: Das oben zitierte "Jahrhundertspiel" gegen Italien, die "Wasserschlacht von Frankfurt" gegen Polen bei der Heim-WM 1974, die "Nacht von Belgrad" 1976. Später coachte er noch bis zum 87. Lebensjahr andere Moderatoren wie Reinhold Beckmann und Monica Lierhaus.

Huberty wurde 96 - einen Monat älter als ...

Harry Belafonte: We are the world

Das erste, was vielen zu Harry Belafonte einfällt, ist der Banana Boat Song. Sein Welthit, ein fröhliches Calypso-Lied über Südfrüchte - bis man genauer hinhört. Plötzlich wird es zur Klage eines Hafenarbeiters, der die ganze Nacht Bananenkisten schleppt und den Tag herbeisehnt (Daaay-ooh!), damit die Plackerei ein Ende hat. Der angesungene "Mr. Tallyman" ist der Ladungskontrolleur, der endlich den kargen Lohn rausrücken soll.

Belafonte hatte es leichter: Seine Version des alten Volksliedes ging wie von selbst um die Welt und zog das dazugehörige Album "Calypso" mit, das sich als erste LP allein in den USA mehr als eine Million Mal verkaufte und 31 Wochen (vor Elvis) die Charts anführte. Für Belafonte aber ging es um mehr.

"Nichts nimmt es mit diesem Song auf. Er ist meine Visitenkarte. Er ist ein Schrei aus dem Herzen armer Arbeiter, ein Schrei der Erschöpfung, vermischt mit Hoffnung, eine Hymne der Bürgerrechtsbewegung." Harry Belafonte

Er wusste, wovon er sang: Als Sohn eines ziemlich oft betrunkenen Matrosen von der Insel Martinique und einer jamaikanischen Köchin, verbrachte er einen Teil seiner frühen Jahre zwischen den Nachfahren afroamerikanischer Sklaven und emigrierten deutschen Juden im (einstigen) Problemviertel und Jazzmekka Harlem; den anderen Teil bei der Oma auf Jamaika, wo er den Gesängen der Plantagenarbeiter lauschte. Bald hatte er soviel Musik im Blut, dass er zeitlebens keine Noten mehr lernen musste. Musik, Film, Show: Von 1956 bis in die frühen 70er wurde das meiste, das Belafonte anpackte, zu Gold. Ein Midas-Fluch: "Auf einmal fliegt dir alles zu: Geld, Drogen, Mädchen. Und zwar in einem absurden Ausmaß. So sieht die Hölle aus - in Verkleidung des Himmels", erzählte er später dem "Spiegel".

Kaufen ließ er sich nie. 1963 marschierte er zusammen mit Martin Luther King nach Washington - woraufhin er bei Auftritten in den Südstaaten Morddrohungen erhielt. Weniger bekannt: 1979 war er indirekt dafür verantwortlich, dass Udo Lindenberg im "Sonderzug nach Pankow" in die DDR reisen durfte. FDJ-Chef Egon Krenz wollte für sein "Friedensfestival" partout Belafonte engagieren - Tourmanager Fritz Rau bestand darauf, dass dann auch Udo "drüben" singen durfte. 1985 schließlich trommelte Belafonte die Crème der US-Musikszene für sein Hilfsprojekt USA for Africa zusammen; Reinerlös der Single "We are the world" und weiterer Aktivitäten: 100 Millionen Dollar.

In späteren Jahren ist Belafonte als "Ambassador" für Unicef unterwegs. Seine Kernbotschaft ist heute aktueller denn je:

"Das Konzept Augen um Auge, Zahn um Zahn hinterlässt dich blind und zahnlos." Harry Belafonte

Tina Turner: Breaking the City Limits

Tina Turner 2009 in Berlin
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Anna Mae Bullock * 26. November 1939 † 24. Mai 2023

Die Göttin des Soul-Schrägstrich-Rock führte ein Leben der strahlenden Höhen und tiefen Abgründe. Und Anna Mae Bullock führte es unter falschem Namen: Turner war der Name ihres musikalischen Entdeckers und miesen Ehemanns Ike. Tina war seine Erfindung, angeblich inspiriert von einer Comicserie namens "Sheena, Königin des Dschungels". Klang jedenfalls gut, Tina Turner - wie TNT. Nutbush hingegen, die Stadt aus Nutbush City Limits, ihrem ersten großen Hit in Deutschland (Platz 2; nur 26 in den USA - und zu sehen im Video), heißt wirklich so. Sie liegt im Staate Tennessee, der in ihrem Geburtsjahr 1939 (und auch noch später) so rassistisch war, dass Anna Maes Mutter ihre nicht-weiße Tochter im Keller des Krankenhauses zur Welt bringen musste.

Das Kaff ihrer Kindheit: "A church house, gin house / a school house, outhouse" - Kirche, Kneipe, Schule, Knast inmitten Baumwollfeldern. 300 Einwohner, 50 tote Soldaten aus dem Bürgerkrieg, 2 Kirchengemeinden. In einer sang Tina im Chor - ihr Vater Floyd Richard Bullock war der Diakon. Die Ehe der Eltern war ein Desaster, Anna Mae wurde zwischen Mutter, Großmutter und großer Schwester hin- und hergeschoben. Bis der damals schon mittelerfolgreiche Ike Turner, bei dem Tina als Background-Sängerin anheuerte, sie aus den city limits rausholte. A fool in love hieß der erste Hit des Duos. Es folgten 15 Jahre vollgepackt mit Konzerten, Hochspannung, Alkohol, Eifersucht, körperlicher und seelischer Gewalt.

Ihre zweite Flucht führte Anna Mae 1976 nach...? Stuttgart, wo damals noch Hans Filbinger Ministerpräsident war. Den Namen Tina behielt sie - hart genug hatte sie ihn sich erarbeitet. Ihre ersten Soloalben floppten, trotz ihrer immer besseren Stimme, in der sich die Schicksalsschläge angesammelt hatten wie Dreck unter den Fingernägeln der Baumwollpflücker von Nutbush. Die Bühne brachte Tina Turner langsam, aber sicher zurück ins Licht: Ihr 1984er-Album Private Dancer zählt zu den erfolgreichsten der Musikgeschichte.

Der Rest dieses Lebens: ein sonniges Hochplateau des Ruhms, weitgehend öffentlich einsehbar. Nicht so bekannt ist, dass die Schicksalsschläge nie abrissen: 2018 starb Tinas ältester Sohn Craig, 2022 schied ihr jüngster Ronnie aus dem Leben. Am 24. Mai 2023 stirbt Tina Turner in ihrer Wahlheimat Küsnacht in der Schweiz. Der Titel ihrer letzten Biografie: Happiness.

Peter Simonischek: Jedermanns Bester

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Peter Maria Simonischek * 6. August 1946 † 29. Mai 2023

Die Sehnsucht nach der Glanzleistung hat Peter Simonischek sein Leben lang begleitet. "Da kriege ich Ganselhaut", sagte der Schauspieler der Deutschen Presse-Agentur zu seinem 75. Geburtstag. Und er brillierte in vielen Rollen. Als "Jedermann" stand er so oft wie kein anderer in diesem Part bei den Salzburger Festspielen auf der Bühne. Als kauziger Alt-68er griff er gar nach dem Oscar: 2017 war "Toni Erdmann" mit Simonischek in der berührenden Hauptrolle als bester nicht-englischsprachiger Film zumindest im Finale in Los Angeles.

"Es war wie ein Fünfer im Lotto, aber wenn du einen Fünfer hast, möchtest du eigentlich einen Sechser", war sein zwiespältiges Resümee nach dem Beinahe-Erfolg in Hollywood. Der britische "Daily Telegraph" gab dem Film fünf von fünf Sternen und schrieb dazu: "Nicht nur, dass deutscher Humor existiert, er könnte auch dein Leben retten."

Der Anfang seiner Karriere als Schauspieler war ein Kampf gegen das Elternhaus. "Mein Vater hat mich nach der Matura (Abitur) noch verdroschen, weil er meinte, ich werde in einer Dachkammer verhungern", erinnerte sich Simonischek an die Reaktion auf seine Pläne. Als Zugeständnis an den Vater machte er zumindest eine Zahntechnikerlehre. Doch die Lust am Spiel führte ihn schnell wieder auf die Bühnen, anfangs in der Schweiz. Ab 1979 gehörte er 20 Jahre lang dem Ensemble der Berliner Schaubühne an. Dann der "Jedermann" in Salzburg, beeindruckende 210 Mal. 1999 kehrte der Schauspieler ganz nach Österreich zurück - nach Wien, wo das Burgtheater im Mai seinen Tod vermeldete und sich die Kondolenzschlange der Trauerfeier einmal fast ums Gebäude wickelte.

  • Porträt: Peter Simonischek - ein Freund der Wahrheit

Silvio Berlusconi: il Padrone dei Populisti

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Silvio Berlusconi * 29. September 1936 † 12. Juni 2023

Seine Lebensleistung: immer wieder erster sein. Erster Sohn des leitenden Bankangestellten Luigi Berlusconi, der seinem Silvio eine Bürgschaft für sein erstes Immobiliengeschäft organisierte. Danach der Erste unter Mailands Bau-Mogulen (mit dem Makel, dass die von ihm errichtete Trabantenstadt den Namen Milano 2 trägt). Erster Privatfernsehkönig Europas (mit einem Imperium, das aus dem Stadtteilfernsehen für Milano 2 entstand). Primus beim AC Mailand, dem 19-fachen Ersten der italienischen Liga. Erstklassig auch die Pointe, dass der wichtigste Förderer des späteren Scharfrechtspolitikers der Sozialist Bettino Craxi war.

Weltweit in Erinnerung bleiben dürfte Silvio Berlusconi aber als erster Populist des 21. Jahrhunderts. Was er werden konnte, weil er "das Volk" besser kannte als seine Konkurrenten - es kennenlernen musste in seinen ersten Jobs als Staubsaugervertreter und singender Conférencier auf Kreuzfahrtschiffen. Sein Amtsantritt fällt in eine Zeit, als die Repubblica von Skandalen und Intrigen erschöpft war. Zwei Disziplinen, die Berlusconi noch mehr als die anderen pflegte, aber: Er war unterhaltsam. Ein Illusionist, der das Publikum lachend oder fauchend vom Wesentlichen ablenkte, dazu ein Jongleur mit vier Bällen (Geld, Sport, Sexismus und Nationalismus), so unverschämt, dass einem beim Zuschauen bunga-bunga werden konnte. Donald Trump, der sich sein Betonvermögen nicht selbst erzauberte, sondern geerbt hat, und dazu eher mäßig Golf spielt, erscheint da als billige Kopie. America second.

Von 1994 bis 2011 führte der "Cavaliere" vier Regierungen, regierte insgesamt zwölf Jahre - in Italien eine beachtliche Leistung. Bis zu seinem Tod wurden 30 Verfahren gegen ihn eröffnet, wegen Amtsmissbrauch, Richterbestechung, Steuerbetrug, Meineid, Mafia-Kontakten und Sex mit minderjährigen Prostituierten. Schuldig gesprochen wurde er kaum, und falls doch, dann waren die Taten verjährt oder es gab eine Amnestie.

"Es ist richtig, dass alle vor dem Gesetz gleich sind, aber ich bin gleicher, weil mich die Mehrheit des Volkes gewählt hat." Berlusconi 2003 in einem Korruptionsprozess

In letzter Instanz verurteilt wird er 2013: wegen Steuerhinterziehung. Statt ins Gefängnis muss der 76-Jährige in ein Altersheim, um dort Sozialdienst abzuleisten. Eine letzte Gelegenheit, sein Volk zu erkunden.

  • Teil 2 unserer Nachrufe 2023 lesen Sie ab dem 29. Dezember.
Rocksängerin Tina Turner (bei einem Konzert in Hamburg im Sommer 2000)
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Tina Turner

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