Bundeskanzler Olaf Scholz spricht während einer Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag der Pogromnacht in der Synagoge Beth Zion.
Bildrechte: picture alliance/dpa/AFP POOL | John Macdougall
Videobeitrag

"Nie wieder ist jetzt!" - Gedenken an den 9. November 1938

Videobeitrag
>

"Nie wieder ist jetzt!" – Gedenken an den 9. November 1938

"Nie wieder ist jetzt!" – Gedenken an den 9. November 1938

Beim Gedenken an die Reichspogromnacht vor 85 Jahren nannte Bundeskanzler Olaf Scholz es eine Schande, dass wieder antisemitische Parolen an Türen und Wände geschmiert werden. Auch im Bundestag solidarisierten sich viele mit der jüdischen Welt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Seltene Gäste waren heute auf der Ehrentribüne des Bundestags: Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer, die am vergangenen Sonntag ihren 102. Geburtstag gefeiert hatte, verfolgte die Debatte. Neben ihr der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor.

"Nie wieder ist jetzt!"

Dass Jüdinnen und Juden heute auch in Deutschland offenen Antisemitismus und Hass erlebten, sei unerträglich, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu Beginn der Bundestagsdebatte. Die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust müsse sich jetzt in konkretem Handeln zeigen und wörtlich sagte Bärbel Bas: "Nie wieder ist jetzt!"

Faeser (SPD): "Unsere Demokratie weiß sich zu wehren!"

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wiederholte und konkretisierte die Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Die Erinnerung an den Zivilisationsbruch in der NS-Zeit sei konstitutiv für Staat und Gesellschaft genauso wie das Versprechen: "Nie wieder."

Wer Menschen angreife, müsse mit der ganzen Härte des Rechtsstaats rechnen. Wer Massenmord rechtfertige, wer Freiheitsrechte missbrauche, um unmenschliche Straftaten und Hass zu propagieren, könne sich auf den Schutz der Meinungsfreiheit nicht berufen und müsse mit der ganzen Härte des Rechtsstaates rechnen, so Faeser: "Unsere Demokratie weiß sich zu wehren!"

In der letzten Woche hatte Bundesinnenministerin Faeser ein Betätigungsverbot der Hamas und des Unterstützernetzwerks Samidoun ausgesprochen. Im Bundestag kündigte sie heute an, schon an weiteren Verboten zu arbeiten. Die Union warf der Ampel-Koalition dennoch vor, nicht scharf genug gegen Antisemitismus vorzugehen.

Dobrindt (CSU): "Jüdisches Leben ein unfassbar wertvolles Geschenk!"

Für den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, ist es "ein unfassbar wertvolles Geschenk", dass es 85 Jahre nach der NS-Pogromnacht wieder ein reiches jüdisches Leben in Deutschland gebe.

Zugleich forderte Dobrindt die Bundesregierung auf, Antisemitismus als besonders schweren Fall von Volksverhetzung einzustufen und mit mindestens sechs Monaten Haft zu bestrafen. Nichtdeutsche Straftäter müssten ausgewiesen werden und antisemitische Straftaten eine doppelte Staatsbürgerschaft ausschließen, so die Forderung von Alexander Dobrindt. Außerdem forderte er Faeser auf, das Staatsangehörigkeitsgesetz zu ändern.

AfD und Linke streiten sich über Ursachen für Antisemitismus

Für die AfD machte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch allein die Migrationspolitik der vergangenen Jahre für den aktuell besonders aggressiven Judenhass verantwortlich. Storch kritisierte in ihrer Rede vor allem den Judenhass in muslimischen Milieus. Der Antisemitismus, der real jüdisches Leben und die Existenz Israels bedrohe und auslöschen wolle, sei nicht unter der arbeitenden deutschen Bevölkerung zu finden, so die AfD-Politikerin.

Dagegen argumentierte vor allem Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Er nannte es eine "Schande" nur von importiertem Antisemitismus zu reden. Deutschland habe genug eigenen Antisemitismus, so Bartsch. Der Antisemitismus sei auch nach der Niederschlagung der Naziherrschaft nach 1945 nicht weg gewesen, so Bartsch, weder im Osten noch im Westen.

Özdemir (Grüne): "Jede Art von Antisemitismus muss bekämpft werden!"

Die meiste Zustimmung im Bundestag fand die Rede von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Er betonte, dass jede Art von Antisemitismus bekämpft werden müsse. Dazu gehöre der Antisemitismus aus muslimischen, aber auch aus rechtsextremen Milieus und nicht zuletzt auch linksextremer Antisemitismus, der Terror als antikolonialen Befreiungskampf verharmlose, so Özdemir.

Er betonte, Deutschland sei die Heimat vieler Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Religion. Es sei die "vornehmste republikanische Pflicht" eines jeden und jeder Einzelnen, dem Antisemitismus entgegenzutreten, so der Grünen-Politiker.

Schuster sieht in Deutschland "etwas aus den Fugen geraten"

In Deutschland ist nach Worten des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, "etwas aus den Fugen geraten". In den vergangenen Wochen habe er das Land zuweilen nicht wiedererkannt, so Schuster bei der zentralen Gedenkveranstaltung in der Beth Zion Synagoge in Berlin.

Schuster sieht Parallelen in der Geisteshaltung radikaler Islamisten, die die Vernichtung Israels und der Juden wollten, und den "rechtsextremen Verächtern unserer Erinnerungskultur an die Schoa". Aber auch in linksextremen und immer mehr linken Kreisen sei eine Verachtung zu spüren.

Schuster: "Heute schützt der Staat die jüdische Gemeinschaft!"

Um den 9. November 1938 hatten Nationalsozialisten hunderte Juden ermordet, rund 30.000 Jüdinnen und Juden verhaftet oder in KZs verschleppt und mehr als tausend Synagogen zerstört. Der wohl größte Unterschied zu 1938 sei, so Schuster: "Wurde die Gewalt damals von den Nationalsozialisten geschürt, schützt heute der Staat die jüdische Gemeinschaft", so der Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Allerdings könne Schutz nie absolut sein. Er bezeichnete die NS-Novemberpogrome als "die ultimative Demonstration des Judenhasses" und erinnerte daran, dass damals die große Mehrheit der Deutschen tatenlos zugesehen habe.

Bundeskanzler Scholz: "'Nie wieder' bedeutet jüdische Einrichtungen zu schützen!"

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz sieht aufgrund der aktuellen antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland "etwas aus den Fugen geraten". Der Bundeskanzler betonte in der Beth Zion Synagoge in Berlin, dass zu dem Versprechen "Nie wieder" gehöre, für den Schutz von jüdischen Einrichtungen zu sorgen. Polizei und Justiz müssten geltendes Recht durchsetzen.

Wer Terrorismus unterstütze und antisemitisch hetze, werde strafrechtlich verfolgt. Auch stehe Antisemitismus einer Einbürgerung entgegen.

"Nichts, rein gar nichts, keine Herkunft, keine politische Überzeugung, kein kultureller Hintergrund, kein angeblich postkolonialer Blick auf die Geschichte, kann als Begründung herhalten, die Ermordung, das grausame Abschlachten Unschuldiger zu feiern." Bundeskanzler Olaf Scholz

Scholz bezeichnet antisemitische Ausschreitungen als "Schande"

Es sei eine "Schande", wenn "2023 wieder Türen und Wände mit Davidsternen beschmiert werden" und die radikalislamische Hamas für die Ermordung von Juden "auf unseren Straßen und Plätzen gefeiert" werde, so Bundeskanzler Olaf Scholz. Wörtlich sagte Scholz: "Ausgrenzung trifft Jüdinnen und Juden seit Jahrhunderten besonders. Immer noch und immer wieder auch hier in unserem demokratischen Deutschland - und das nach dem von Deutschen begangenen Zivilisationsbruch der Schoah. Das ist eine Schande. Mich empört und beschämt das zutiefst."

Im Video: Charlotte Knobloch zum wiederaufkeimenden Antisemitismus

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München
Bildrechte: BR
Videobeitrag

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!