Prix Goncourt Preisträgerin Brigitte Giraud
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Jetzt auf Deutsch: Brigitte Giraud: "Schnell leben"

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Überraschende Trauerarbeit: "Schnell leben" von Brigitte Giraud

Überraschende Trauerarbeit: "Schnell leben" von Brigitte Giraud

Vor 20 Jahren hat der tödliche Motorradunfall ihres Mannes das Leben der Schriftstellerin und Goncourt-Preisträgerin Brigitte Giraud von Grund auf verändert. Nun rekonstruiert sie in einem Roman, wie es zu dem Unfall kam: "Schnell leben".

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

"Vivre vite" – "Schnell leben", heißt der aktuelle Roman von Brigitte Giraud, Prix Goncourt-Gewinnerin von 2022. Nun liegt der Roman der preisgekrönten Autorin auf Deutsch vor. Sie rekonstruiert darin den Tod ihres Ehemannes Claude durch einen Motorradunfall – und wählt eine überraschende Form.

Im Ton eher Faktenrecherche als persönliche Tragödie

Brigitte Giraud erzählt in "Vivre vite" – "Schnell leben" 20 Jahre später jenen Moment, der ihr Leben verändert hat. Sie rekonstruiert minutiös jenen Tag, an dem ihr Mann Claude durch einen Motorradunfall ums Leben kam. Just jenen Moment, als sie selbst auf Dienstreise in Paris war, um mit ihrem Verlag die Pressekampagne für ihr Buch zu besprechen. Glück und Unglück fallen in diesem Moment zusammen. Brigitte Giraud erzählt völlig unsentimental.

Das Buch liest sich eher wie eine spannende Faktenrecherche als eine persönliche Tragödie. Die Autorin wählt für diese Rekonstruktion einen – auch formal – ungewöhnlichen Zugang: Sie stellt sich am Anfang des Romans die Frage: Was wäre, wenn nicht. Sie arbeitet diese Liste an Unglücksfaktoren im Laufe des Buches systematisch, Kapitel um Kapitel ab.

Verkettung unglücklicher Umstände

Gibt es Schuldige für das Unglück? Diese Frage beschäftigt die Autorin in ihrem Buch. Auslöser ihrer "Recherche" ist der Verkauf ihres Hauses – jenes Traum-Hauses, das sie unmittelbar vor Claudes Unfall noch gemeinsam gekauft, aber noch nicht bezogen hatten. So lauten zwei Kapitel ihres Buches: "Wenn ich dieses Haus nicht besichtigt hätte" und "Wenn wir die Schlüssel nicht schon im Voraus verlangt hätten". Aus der Perspektive der Autorin führt die Verkettung vieler Umstände quasi zwangsläufig zu Claudes Tod. Die Schuldfrage lässt sich nicht klären. Denn jeder Einzelne handelte ja nur wie ein Rädchen in der Schicksals-Maschinerie, die zu dem Unfall von Claude führte.

Strenge formale Struktur

Die strenge Form bietet Brigitte Giraud die Möglichkeit, gleichzeitig sehr assoziativ vorzugehen. Sie schreibt zugleich einen Roman über die späten 90er-Jahre – in Kontrast zu heute –, über ihr eigenes Leben und die Liebesgeschichte zu ihrem Mann. Ihr Buch ist klug essayistisch geschrieben, sehr persönlich autobiografisch, aber tatsächlich immer wieder auch kulturgeschichtlich interessant. Kapitel 20 heißt: "Wenn Claude, bevor er das Büro verließ, Dont’Panic von Coldplay gehört hätte und nicht Dirge von Death in Vegas".

In diesem Kapitel rekonstruiert Giraud den letzten Arbeitstag ihres Mannes in der städtischen Mediathek, in der er für Musik zuständig war. Giraud taucht ein in Erinnerungen der 90er-Jahre, als man noch CDs und Schallplatten hörte. Sie beschreibt damalige Musikstile, Claudes Begeisterungsfähigkeit und Expertentum für Musik, um dann zu seiner Faszination für schnelle Motorräder zu kommen, die ihn – zumindest in der Sicht der Autorin - geradewegs in den Tod führte.

Hätte dieser Tod verhindert werden können? Giraud stellt diese Frage immer wieder, um sich dem Schicksal nicht ausgeliefert zu fühlen. Sie stellt diese Frage auch, um dem Tod des Geliebten eine gewisse Sinnhaftigkeit oder Zielgerichtetheit zu geben.

"Live fast, die young"

Dieser Titel des amerikanischen Songwriters Lou Reed funktioniert in Girauds Buch sowohl auf der wörtlichen Ebene, als auch im übertragenen Sinn. "Live fast, die young", so hieß das Buch, das Claude zuletzt las und das noch auf dem Parkettboden neben dem Bett lag. Aber der Titel spiegelt auch ein damaliges Lebensgefühl Ende der 90er wider. Vieles passierte bei dem Paar im Juni 1999 schnell hintereinander. Der Kauf des Hauses, der gesellschaftliche Aufstieg, der berufliche Erfolg – und nicht zuletzt die rasante Fahrt von Claude auf der geliehenen Todesmaschine an seinem letzten Tag, dem 22. Juni 1999.

Gegensatz zwischen schneller Handlung und stilistischer Umsetzung

Es gibt einen deutlichen Kontrast zwischen der schnellen Abfolge einschneidender Ereignisse und der Art und Weise, wie diese Ereignisse erzählt werden. Die Autorin lässt sich viel Zeit, um einzelne Details des Tathergangs sehr genau zu recherchieren oder auch Erinnerungen mit dem geliebten Mann aus dem Gedächtnis zu holen. Sie kostet jeden Moment aus, dehnt ihn in die Länge und nimmt sich dabei auch die Zeit, abzuschweifen zu ganz anderen Themen. Brigitte Giraud kann sich diese Exkurse "leisten" dank des strengen formalen Aufbaus ihres Buches. Es ist trotz dieser Exkurse spannend, weil jedes geschilderte Detail letztendlich auf die Tragödie zuläuft – die schon ganz am Anfang angedeutet wird.

Anderes Tempo im französischen Original

Grundsätzlich liest sich das Buch im französischen Original temporeicher als in der deutschen Übersetzung von Michael Kleeberg. Es hat einen anderen Rhythmus und eine andere Musikalität. Das Buch ist zwar korrekt und genau übersetzt. Doch während Giraud atemlos Hauptsätze aneinander reiht, fügt der Übersetzer Wörtchen zusätzlich ein ("und", "alle", "einfach so"). Der andere Leseeindruck liegt auch daran, wie im Deutschen Sätze gebaut werden – stärker mit Nebensätzen, die den Fluss hemmen, statt mit Partizipien, die den Text fließen lassen.

Brigitte Giraud schreibt klar, anschaulich und genau. Eine gelungene Mischung aus persönlicher Tragöde, selbstkritischer Autobiografie, spannender Erzählung und essayistischem Abschweifen.

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