Bis zu 1.000 Mastschweine auf dem Hof von Roland Nass wachsen jetzt in vier Gebäuden heran, die nach Süden hin offen sind.
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Bis zu 1.000 Mastschweine auf dem Hof von Roland Nass wachsen jetzt in vier Gebäuden heran, die nach Süden hin offen sind.

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Mehr "Tierwohlfleisch" im Handel? Was das für Landwirte bedeutet

Mehr "Tierwohlfleisch" im Handel? Was das für Landwirte bedeutet

Aldi will bis 2030 nur noch Frisch-Fleisch mit mehr Tierwohl anbieten. Andere Einzelhändler ziehen mit ähnlichen Zielen nach. Für Landwirte bedeutet das teils massive Umstellungen, die nur unter bestimmten Voraussetzungen zu realisieren sind.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Vor gut vier Jahren stand Roland Nass mit seinem Schweinemastbetrieb im Landkreis Donau-Rieß vor einer schwierigen Entscheidung. Um mit seinem Hof und für seine Familie weiter gut wirtschaften zu können, sah er zwei Möglichkeiten. Entweder zu wachsen und mehr Schweine in seiner konventionellen Schweinehaltung zu mästen oder eine Möglichkeit zu finden mit weniger Tieren, mehr Einkünfte zu generieren.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren seine Schweine in mehreren konventionellen Ställen untergebracht: In geschlossenen Hallen, kein Kontakt zur Luft draußen, Spaltenboden, durch den die Exkremente der Tiere nach unten fallen, kein Stroh. Eine Genehmigung für einen weiteren konventionellen Stall hatte der Landwirt bereits in der Tasche. Nur durch Wachstum und mit noch mehr Tieren sah er sich in der Lage, das damalige Preistief auszugleichen. Doch dann tat sich noch eine andere Option auf.

Haltungsstufe 4: Mehr Platz, frische Luft, Auslauf und Beschäftigung

Er konnte an einem speziellen Markenprogramm eines großen Lebensmitteleinzelhändlers teilnehmen und durch einen entsprechenden Vertrag in mehr Tierwohl investieren. Konkret in vier neue Schweineställe. Seitdem bietet er Schweinefleisch an, das mit dem Label Premiumstufe des Tierschutzbundes gekennzeichnet ist.

Die bis zu 1.000 Mastschweine auf dem Hof von Roland Nass wachsen jetzt in vier Gebäuden heran, die nach Süden hin offen sind. Das ganze Jahr über sind die Schweine damit an der frischen Luft und bekommen auch alle Jahreszeiten mit. Das ganze Jahr über können die Schweine frei wählen, ob sie raus an die frische Luft oder im Stall sein wollen. Dort liegen sie auf Stroh. Neben Stroh haben sie aber auch noch weiteres Beschäftigungsmaterial – in Form eines hängenden Holzbalkens, an dem sie herumknabbern können.

Es teilen sich gerade so viele Schweine eine der Buchten, dass pro Tier mindestens doppelt so viel Platz bleibt, wie für Haltungsstufe 1, dem gesetzlichen Mindeststandard, vorgeschrieben ist. Auch ihren Ringelschwanz dürfen die Tiere behalten. In anderen Haltungsformen wird der eingekürzt, damit sich die Tiere auf engem Raum nicht gegenseitig anknabbern. Die Haltung in den Außenklima-Ställen von Roland Nass entspricht der Haltungsstufe 4 und damit der höchsten Stufe der vom Einzelhandel eingeführten Kennzeichnung. Würde der Landwirt für die Aufzucht Ferkel aus biologischer Erzeugung beziehen und sie mit Futter aus Öko-Landbau füttern, könnte er auch Öko-Fleisch anbieten. Der Stall entspräche bereits allen Voraussetzungen.

Mehr Platz für die Tiere kostet mehr Geld

Doch all das hat auch seinen Preis, betont Nass. "Mehr Platz kostet einfach mehr Geld. Das Ganze muss irgendwo bezahlt werden. Das heißt, ich kann solche Dinge umsetzen. Ich denke, auch jeder Landwirt ist bereit, solche Dinge zu machen. Aber es braucht irgendwo einen festen Rahmen, indem ich sagen kann, ich kann das planen." Nass bekommt pro Kilogramm Schlachtgewicht 40 Cent mehr als der aktuell notierte Preis für das Schwein aus konventioneller Haltung. Außerdem ist sein Preis nach unten gedeckelt. Er bekommt also einen Mindestpreis, auch wenn der Schweinepreis stark fällt. Planungssicherheit bedeutet für den Landwirt auch langfristige Zusagen zu bekommen.

Denn so ein Stall ist auch eine langfristige Investition, die in der Regel über einen Zeitraum von 20 Jahren abgeschrieben wird. Kein Unternehmer will schließlich auf seinen Investitionen sitzenbleiben. Darum fordern selbst Tierschützer, die den Vorstoß von Aldi, bis 2030 nur noch Frisch-Fleisch mit mehr Tierwohl anzubieten, und die damit ausgelöste Entwicklung im Einzelhandel ausdrücklich begrüßen, entsprechende Zusagen.

"Der Handel ist in der Pflicht, die Landwirte und die Zulieferer so zu entlohnen, dass die Standards entsprechend umgestellt werden. Das wird sich in den Preisen im Regal widerspiegeln. Der Verbraucher ist auch in der Pflicht, diese Preise dann zu bezahlen", sagt Claudia Salzborn vom Tierschutzbund. Für Roland Nass war die Umstellung nur möglich sagt er, da er mit seinem Partner im Einzelhandel einen Vertrag über zehn Jahre abschließen konnte.

Großflächige Umstellungen notwendig

Genaue Zahlen darüber, wie viele bayerische Ställe den jeweiligen Haltungsstufen des Einzelhandels entsprechen, gibt es nicht. Klar scheint jedoch, dass die Haltungsstufen eins und zwei dominieren und die beiden höheren Stufen noch eine Nische sind. Aldi will laut seiner Ankündigung den Anteil der höheren Stufen in diesem Jahr noch auf 15 Prozent steigern. Heißt also, der weit überwiegende Anteil des Sortiments entspricht bisher den niedrigeren Haltungsstufen. Zuletzt hatten auch andere Handelsketten wie Lidl, Kaufland und Rewe ähnliche Zielsetzungen angekündigt. Auf die Landwirtschaft dürfte also ein gehöriger Druck für großflächige Umstellungen zukommen.

Achim Spiller ist Professor für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte und Mitglied der sogenannten Borchert-Kommission, die für die Bundesregierung Vorschläge zur Umsetzung von mehr Tierwohl erarbeitet hat. Der Wissenschaftler ist relativ optimistisch, dass so eine Umstellung in der Landwirtschaft durch Druck aus dem Handel gelingen kann. Dabei zieht er vor allem Parallelen zum Ausstieg aus der Käfighaltung bei der Eierproduktion, wo das ähnlich abgelaufen sei.

Spiller geht davon aus, dass die Lebensmitteleinzelhändler den Landwirten langfristig höhere Preise und langfristige Zusagen geben müssen: "Natürlich muss der Handel am Schluss, wenn er diese Ware bekommen will, auch Lieferanten finden, die das produzieren können. Und wenn das dauerhaft unter Kosten wäre, dann würde das ja niemand liefern." Er geht von einer Zunahme von langfristigen Verträgen, gerade in der Schweinehaltung, aus. Der Handel müsse dafür auch im Segment der verarbeiteten Produkte wie Wurstwaren umstellen. Dafür sieht er neben den vier großen Handelsketten auch die drei großen Schlachtunternehmen, die den Markt in Deutschland dominieren, in der Pflicht. Laut Achim Spiller sei es für die deutsche Landwirtschaft eine Chance, "auf ein Marksegment zu setzen, in dem es international vielleicht gar nicht so viel Wettbewerber gibt". Im Ausland habe man die höheren Haltungsformen teils gar nicht. "Insofern hat man dann auch einen gewissen Schutz gegenüber Billigimporten", so Spiller.

Erleichterungen im Baurecht nötig

Schweinehalter Roland Nass sieht neben den Preisen aber noch ein weiteres Problem: Um die Haltungsstufe vier umzusetzen, hätte es nicht ausgereicht die bestehenden Ställe umzubauen. Das sei nur sehr selten überhaupt möglich, sagt Nass. "Wir haben verschiedenste Voraussetzungen. Wir brauchen einen Auslauf, die Gebäude stehen oft falsch von der Windrichtung her." Auch beim Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) bestätigt man, dass für eine Umstellung auf eine der höheren Haltungsstufen in der Regel ein Neubau nötig ist.

Doch den müssen die Landwirte erst einmal genehmigt bekommen. Gerade bei den offenen Ställen ist das deutlich schwieriger, da der Stall durch das offene System mehr Emissionen verursacht. Dabei geht es um Geruchsbelastung, vor allem aber auch um Ammoniak, der im Gegensatz zum geschlossenen Stall nicht kontrolliert im Stall gehalten werden kann. Landwirt Nass meint, dass viele Behörden nicht genau wüssten, wie sie bei der Genehmigung mit den Ställen umgehen müssten, da sie bisher noch eher die Ausnahme sind. Und auch beim Bayerische Bauernverband spricht man von einem "Riesenproblem", Genehmigungen für entsprechende Ställe zu bekommen. Darum fordert der Verband, wie übrigens auch der Tierschutzbund, von der Politik, dem Tierwohl im Baurecht Vorrang bei den Genehmigungen einzuräumen.

Das bayerische Landwirtschaftsministerium verweist auf die EU. Die schreibe eine Reduktion von Ammoniakemissionen vor. Bayern habe sich bei der nationalen Umsetzung für praktikablere und weniger bindende Regelungen eingesetzt, sei aber an den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat gescheitert. Mit einem eigenen Tierwohlprogramm will Ministerin Kaniber ab kommendem Jahr Landwirte beim Stallbau finanziell unterstützen, bis das auf Bundesebene von der Borchert-Kommission ausgearbeitete Konzept zur Finanzierung von mehr Tierwohl in den Ställen praxisreif sei.

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