Flüchtlingsunterkunft / Containerlandschaft im sogenannten Bernayspark zwischen Rathenaustraße und Thalhoferstraße im Münchner Norden
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Migrationsgipfel: Was bringen die Beschlüsse?

Migrationsgipfel: Was bringen die Beschlüsse?

Bund und Länder hatten ein gemeinsames Ziel: "Die irreguläre Migration zurückzudrängen", so Kanzler Scholz. Das Ergebnis: zehn Maßnahmen und die Frage: Was bringen die Beschlüsse? Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Nach harten und langen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern sind erste Schritte vereinbart. Die Beschlüsse zur Migration machen aber auch deutlich: Es hakt innerhalb Deutschlands an einigen Stellen. Es braucht von vielem mehr - insbesondere Personal, um die Pläne überhaupt umzusetzen. Schnellere Abschiebungen könnten dazu im Kontrast stehen, wie eine Migrationsforscherin aus Bayern meint.

Lindner: "Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduzieren"

Einige der Beschlüsse verfolgen das Ziel, Deutschland unattraktiver für irreguläre Migration zu machen. Deutlich wird dies bei den geplanten Kürzungen der Leistungen für Asylbewerber. Konkret sollen sie erst nach 36 und nicht wie bisher nach 18 Monaten ausbezahlt werden.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) rechnet einerseits mit Einsparungen von einer Milliarde Euro und sieht dadurch Länder und Kommunen entlastet. Andererseits erhofft er sich, wie er auf X, ehemals Twitter schreibt: "Durch diese Maßnahme wird auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert."

Ein ähnliches Ziel wird mit einem weiteren Beschluss verfolgt: Bezahlkarten statt Bargeld. Zum einen soll damit der "Verwaltungsaufwand bei den Kommunen" minimiert werden, wie es im Papier heißt. Zum anderen sollen Asylbewerber künftig bargeldlos einkaufen und bezahlen – damit wolle man verhindern, dass Geld zurück in Heimatländer überwiesen wird.

Bezahlkarte: Kommunen haben die Möglichkeit bisher nicht genutzt

Doch ob weniger Leistungen und die Abkehr von Bargeld tatsächlich etwas bewirken? Wissenschaftliche Studien kommen hinsichtlich der sogenannten "Pull-Faktoren" zu anderen Ergebnissen. Es gebe keine Erkenntnisse, dass Bargeldauszahlungen ein wichtiger Fluchtanreiz nach Deutschland seien. Hinzu kommt: Bereits nach derzeit geltender Rechtslage hätten Länder und Kommunen bereits auf Bezahlkarten umsteigen können – die meisten haben das aus Sorge vor mehr Verwaltungsaufwand gescheut. Bund und Länder haben sich jetzt aber für eine bundesweite Bezahlkarte entschieden, sodass kein Flickenteppich entsteht. Ein Modell hierfür soll bis Ende Januar 2024 stehen.

Bund will Kommunen finanziell unterstützen – woher kommt das Geld?

Den größten Knackpunkt der Verhandlungen stellten die Kosten für Geflüchtete dar. Jetzt ist geeint: Der Bund wird eine Pro-Kopf-Pauschale von 7.500 Euro jährlich pro Asylbewerber zahlen. Damit sollen vor allem Kommunen entlastet werden – das Geld wird für die Unterbringung, Versorgung und Integration von Geflüchteten verwendet. Mit dem sogenannten "atmendem System" will man ebenfalls das Prinzip Solidarität bei den entstehenden Kosten zwischen Bund, Ländern und Kommunen anwenden. "Atmendes System" bedeutet nichts anderes als: Kommen weniger Asylbewerber, gibt es weniger Geld; kommen mehr, zahlt der Staat mehr.

Zwar wird damit gerechnet, dass durch Leistungskürzungen Geld eingespart wird – doch das dürfte nicht reichen, um damit die Pro-Kopf-Pauschale bei steigenden Flüchtlingszahlen zu finanzieren. Wie der Bund die Pauschale und weitere Zahlungen bei höheren Flüchtlingszahlen stemmen will – gerade in Zeiten, in denen die Schuldenbremse eingehalten werden soll – bleibt bislang offen.

Planungsbeschleunigung: Tempo bei Flüchtlingsunterkünften

Fest steht: Mehr Geld allein ist für Kommunen nicht die Lösung, was bereits Landräte und Ministerpräsidenten im Vorfeld des Treffens deutlich gemacht haben. Kommunen klagen oft über fehlende Unterkünfte für Geflüchtete – hinzukommt der angespannte Wohnungsmarkt. Mit einem "Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung" haben sich Bund und Länder jetzt auf schnellere Genehmigungsverfahren in sämtlichen Bereichen, die vom Ausbau der Erneuerbaren Energien bis zum Wohnungsbau reichen, geeint. Damit könnten auch Flüchtlingsunterkünfte in serieller oder modularer Bauweise zum Einsatz kommen – ein Baustein. Damit Integration aber gelingen kann, braucht es mehr als Unterbringung: Personal sowie Kita- und Schulplätze. Daran ändern die Beschlüsse nichts.

Mehr Abschiebungen, gleichzeitig mehr Integration – woher soll das Personal kommen?

Tempo soll es hingegen bei Asylverfahren geben: Die Verfahren von Menschen aus Staaten, deren Anerkennungsquote weniger als fünf Prozent beträgt, sollen zügiger abgeschlossen werden. Das Ziel: drei statt bisher sechs Monate. Im Beschlusspapier heißt es: "Bund und Länder werden dafür die personellen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen" – bedeutet: mehr Personal beispielsweise beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder auch Richter. Doch auch hier bleibt ein Fragezeichen: Woher soll das in Zeiten des Personal- und Fachkräftemangels kommen?

Das Papier liefert zunächst eine Antwort: denn Bund und Länder wollen zwar irreguläre Migration senken, anerkannte Asylbewerber hingegen schneller in Arbeit bringen. Damit werde ein "Beitrag zur Fachkräftesicherung" geleistet. Konkret sollen Jobcenter Absolventen von Integrationskursen und auch Personen mit "einfachen deutschen Sprachkenntnissen" schneller in Arbeit vermitteln – doch dafür brauchen die Jobcenter zunächst selbst mehr Angestellte.

Migrationsforscherin: "Integration müsste im Fokus stehen, nicht Abschiebungen"

Yuliya Kosyakova vom Lehrstuhl für Migrationsforschung an der Universität Bamberg, sieht im BR24-Interview einen Widerspruch: Einerseits werden mehr und schnellere Abschiebungen verfolgt, andererseits machten die Beschlüsse deutlich, dass ein Bedarf an Fachkräften bestehe: "Wir machen Deutschland weniger attraktiv. Wir brauchen aber Fachkräfte – wenn die mitbekommen, dass in Deutschland so ein negativer und häufig sogar populistischer Diskurs ist, steigt auch das Risiko, dass weniger kommen wollen."

Die Professorin bezweifelt, dass durch die Maßnahmen mehr Geld in Deutschland gespart werde, rechnet hingegen mit einem Mehr an Bürokratie – gerade bei der Einführung einer Bezahlkarte. Bei der Pro-Kopf-Pauschale bleibt für Kosyakova ein Fragezeichen, aber: "Mindestens beruhigt es die Debatte für eine kurze Zeit. Ob es reicht?"

Für Kosyakova werde mit Abschiebungen und verstärkten Grenzkontrollen der falsche Fokus gelegt. Geht es nach ihr, müsste mehr über Integration gesprochen werden: „Mehr Menschen in Arbeit bringen, das würde das System entlasten.“ Generell habe sie "Bauchschmerzen bei den Debatten", die geführt werden.

Kommission für Migration als "Chance"

Eine Chance aber sieht sie bei den Beschlüssen: Bund und Länder wollen eine Kommission zu Fragen der Steuerung der Migration und der besseren Integration einrichten. Heißt: Gruppen aus der Gesellschaft wie Kirchen, Gewerkschaften oder Wissenschaftler sollen einbezogen werden. "Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diese Kommission zu bringen, finde ich wichtig", so Kosyakova, die die Hoffnung hat, mit der geplanten Kommission eine Balance zwischen Daten und Fakten schaffen zu können. Verschiedene Blickwinkel aus der Gesellschaft könnten zwar zu längeren Debatten führen, "aber vielleicht hören die Menschen aufeinander". Nach Kosyakove besteht darin die Möglichkeit, einen breiten gesellschaftlichen Diskurs voranzubringen.

Dieser Artikel ist erstmals am 7.11.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Im Video: Scholz spricht im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Migrationsgipfels von einem "historischen Moment"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

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