Hendrik Wuest, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, gemeinsam mit Bundesfinanzminister Christian Lindner, Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bauministerin Klara Geywitz
Bildrechte: picture alliance / Flashpic | Jens Krick
Bildbeitrag

Bundeskanzler Scholz und die 16 Länderchefs und -chefinnen haben sich auf Neuerungen in der Asylpolitik geeinigt.

Bildbeitrag
>

Neue Migrationspolitik: "Reicht nicht" oder "sehr historisch"?

Neue Migrationspolitik: "Reicht nicht" oder "sehr historisch"?

Bundesregierung und Bundesländer haben Änderungen in der Migrationspolitik vereinbart. Während Kanzler Scholz von einem "sehr historischen Moment" spricht, gibt es gleichzeitig Kritik an den Beschlüssen. Auch aus Bayern kommen Zustimmung und Kritik.

Über dieses Thema berichtet: Nachrichten am .

Bundeskanzler Scholz und die 16 Regierungschefs der Bundesländer haben sich auf Neuerungen in der Asylpolitik geeinigt. Im Kern wollen sie erreichen, dass deutlich weniger Menschen nach Deutschland kommen. Obwohl Scholz von einem "sehr historischen Moment" spricht und auch Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil lobende Worte für die Einigung findet, wird auch Kritik laut.

Söder über Migrationspolitik: "Das reicht noch nicht"

So bewertet Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die Ergebnisse der Bund-Länder-Verhandlungen zur Migration als Fortschritt, aber als noch nicht ausreichend. "Positiv: Es bewegt sich was! Negativ: Das reicht noch nicht", schrieb der CSU-Chef auf der Plattform X, früher Twitter. "Wir müssen weiter Druck machen, um die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen", betont Söder.

Der bayerische Ministerpräsident fordert eine schnelle Umsetzung der Beschlüsse der Bund-Länder-Vereinbarung zur Asylpolitik noch in diesem Jahr. "Alle Maßnahmen werden jetzt nicht eins zu eins sofort wirken. Wichtig ist aber, dass die notwendigen gesetzlichen Änderungen jetzt so schnell wie möglich kommen", sagte der CSU-Chef der Deutschen Presse-Agentur. Noch vor Weihnachten sei ein großes Gesetzespaket nötig, das dann von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden könne.

CSU-Landesgruppenchef Dobrindt will Obergrenze für Flüchtlinge

Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisiert die Ergebnisse des Migrationsgipfels als nicht ausreichend kritisiert. "Das bringt keine Asylwende", sagt Dobrindt am Morgen im Bayerischen Rundfunk. Es sei zwar zu begrüßen, dass sich der Bund finanziell nun stärker an der Aufnahme von Geflüchteten und Asylbewerbern beteilige. "Das ändert aber nichts daran, dass die Menschen weiter in hoher Zahl zu uns kommen werden."

Die politische Stimmungslage und die gesellschaftliche Polarisierung werde weitergehen, vermutet Dobrindt. Er fordert, nur noch bis zu einer Obergrenze von 100.000 Menschen Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Die Kommunen wüssten nicht mehr weiter bei der Unterbringung, sagt der CSU-Politiker. "Deshalb muss man sich Ziele setzen, die unter dem liegen, was man in der Vergangenheit geplant hat. Ich glaube, dass eine Obergrenze näher an 100.000 liegt als an 200.000."

Im Audio: Dobrindt zu Migrationsgipfel - "Beschlüsse bringen keine Asylwende"

Alexander Dobrindt
Bildrechte: picture-alliance/dpa
Audiobeitrag

Alexander Dobrindt

Freie-Wähler-Chef Aiwanger: "Keine deutliche Reduzierung"

Der bayerische Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger ist der Ansicht, dass der Migrationsgipfel "keine deutliche Reduzierung der Zuwanderung" bringen werde. In seinem Post auf der Plattform X hält es für möglich, dass sogar das Gegenteil eintreten werde.

Bayerns SPD-Chef von Brunn lobt Ergebnisse des Migrationsgipfels

Der bayerische SPD-Chef, Florian von Brunn, lobt die Beschlüsse des Migrationsgipfels. Dem BR sagte von Brunn, auf dem Gipfel habe es jetzt wirklich Lösungen für dieses schwierige Problem gegeben, dank des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten. Man habe sich geeinigt, dass die Verfahren beschleunigt würden, die Menschlichkeit in der Asylpolitik bewahrt und gleichzeitig irreguläre Migration nach Deutschland begrenzt werde. "Es ist auch ein wichtiges Signal, dass die demokratischen Parteien zusammengefunden haben", so der SPD-Politiker. Ihm sei es wichtig, dass die Menschen, die jetzt schon hier seien, auch möglichst bald arbeiten und für ihren Lebensunterhalt aufkommen könnten.

Bayerischer Gemeindetag: Finanzierung "reicht nicht ansatzweise"

Kritisch äußert sich auch Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetags und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Etwa bei der vereinbarten Finanzierung der Flüchtlingskosten: "Das reicht nicht ansatzweise", sagt der CSU-Politiker Brandl auf BR24-Anfrage.

Der Hintergrund: Vom kommenden Jahr an zahlt der Bund für jeden Flüchtling jährlich pauschal 7.500 Euro und nicht mehr eine jährliche Gesamtsumme von derzeit rund 3,7 Milliarden Euro. "Wesentlicher ist allerdings, dass die Bundesregierung weiter keine schnell wirkenden Maßnahmen ergreift, um die hohen Zugangszahlen abzusenken", kritisiert Brandl, der bis Ende September 30 Jahre Bürgermeister im niederbayerischen Abensberg war. "So werden wir das eigentliche Problem nicht lösen."

Städtetag: Pauschale pro Flüchtling positiv - aber zu wenig

Auch der Deutsche Städtetag reagiert enttäuscht auf den Bund-Länder-Beschluss zur Flüchtlingspolitik. Die beschlossene Kopf-Pauschale pro Flüchtling sei zwar positiv, weil sie finanzielle Sicherheit gebe, sagt der Leipziger Oberbürgermeister und Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung (SPD). 7.500 Euro seien aber "deutlich zu wenig", ergänzt er. Zudem müsse man erst noch sehen, wie sich die Beschlüsse auf die Zuwanderungssituation auswirken. Das sei "noch sehr unklar".

Bund und Länder haben zudem die Einführung einer Bezahlkarte für Flüchtlinge beschlossen, die voraussichtlich das Verfügen über Bargeld einschränken wird. Jung fordert eine unbürokratische Lösung. Es dürfe nicht sein, dass die Kommunen damit noch mehr zu tun hätten, sagt er.

FDP zufrieden mit Finanzierung

Die FDP zeigt sich derweil zufrieden mit der Bund-Länder-Einigung zur Finanzierung der Migrationskosten. Die geplante Einschränkung bei den Leistungen für Asylbewerber könne zu Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro führen, schreibt Bundesfinanzminister Christian Lindner am Morgen auf der Plattform X. Dadurch würden nicht nur Länder und Kommunen entlastet. "Durch diese Maßnahme wird auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert", so der FDP-Chef.

Bundesjustizminister Marco Buschmann spricht von guten Schritten zu einer "neuen Realpolitik auf dem Gebiet der Migration". Der FDP-Politiker nennt auf X insbesondere die Verabredung, dass Asylbewerber mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf eine Bezahlkarte bekommen sollen. Auch würden Spielräume zur Reduzierung von Maßnahmen genutzt, die eine Sogwirkung auf Migranten haben.

CDU-Chef Merz: Bund-Länder-Beschlüsse reichen nicht aus

Die CDU hat die Beschlüsse als enttäuschend und unzureichend kritisiert. "Das Entscheidende ist, die Zahlen müssen runter. Und ob die tatsächlich runtergehen mit diesen Maßnahmen, da mache ich ein großes Fragezeichen dahinter", sagte CDU-Chef Friedrich Merz am Dienstag. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ergänzte: "Es ist ein erster Schritt, ja, aber es ist nicht der große Wurf."

Merz ging davon aus, dass die Ampel-Koalition die Maßnahmen in vielen Einzelgesetzen umsetzen wird. Er ließ offen, ob die Unionsfraktion diesen zustimmen wird. "Wenn es aus unserer Sicht richtig ist, stimmen wir zu, wenn es aus unserer Sicht unzureichend ist, lehnen wir es ab."

SPD-Vorsitzende Esken sieht Asylverfahren in Drittstaaten kritisch

Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken blickt kritisch auf die Forderung nach Migrationszentren in außereuropäischen Drittstaaten. Es gebe viele Modelle, die derzeit diskutiert würden und über die man sich Gedanken machen könne, sagt Esken.

In diesem Fall habe Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jedoch "höflich darauf verwiesen, dass sich erst einmal Herkunftsländer finden müssten, die überhaupt bereit wären, solche Migrationszentren einzurichten und zu verwalten", sagt die SPD-Politikerin. Zudem stellten sich erhebliche rechtliche Fragen.

Grünen-Chef Nouripour mahnt zur Ruhe

Grünen-Chef Omid Nouripour mahnt unterdessen mit Blick auf die Union nach dem Migrationsgipfel, sich an der Umsetzung der Beschlüsse zu beteiligen, statt neue Forderungen aufzustellen. Alle Beteiligten in dem Gespräch der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler hätten sich bewegt. Darunter auch die Unionsseite. Deshalb könne er nicht verstehen, wenn CDU-Generalsekretär Linnemann unmittelbar nach den Beschlüssen neue Forderungen aufstelle.

"Jetzt mal Ruhe reinbringen und umsetzen, das ist jetzt das Gebot", sagt Nouripour im ARD-Morgenmagazin. Es dürfe nicht so getan werden, als könne jemand mit dem Zauberstab herumwedeln und alles werde anders – es müssten nun einfach die zu Papier gebrachten Beschlüsse auch umgesetzt werden.

Katharina Schulze: "überfälliges Signal der Geschlossenheit"

Die Fraktionschefin der Grünen im Bayerischen Landtag, Katharina Schulze, wertet den gestrigen Migrationsgipfel als überfälliges Signal der Geschlossenheit. Sie finde es gut, dass der Bund und die Länder gemeinsam diese Entscheidungen gemeinsam getroffen hätten, sagte Schulze dem BR. "Jetzt geht es darum, die Dinge auch umzusetzen und pragmatische Lösungen zu finden." Viele Kommunen seien am Rande der Belastungsgrenze oder darüber hinaus. Laut Schulze fordern die Grünen seit Monaten von Bund und dem Freistaat Bayern finanzielle Entlastung für die Städte und Gemeinden. Sie sei sehr froh, dass der Bund eine verlässliche Grundfinanzierung zugesagt habe. Jetzt müsse der Freistaat Bayern dieses Geld an die Kommunen weiterleiten. Mit dem zusätzlichen Geld schaffe man den Kommunen zusätzlichen Spielraum, beispielsweise um dringend benötigten Wohnraum anzumieten, so Schulze.

Unterfränkischer Landrat zufrieden mit Ergebnissen

"Die Arbeit beginnt jetzt erst", sagt auch der Miltenberger Landrat Jens Marco Scherf – ebenfalls von den Grünen – im Gespräch mit BR24. Der unterfränkische Landrat zeigt sich relativ zufrieden mit den Ergebnissen des Migrationsgipfels von Bund und Ländern: "Es ist eine Anerkenntnis, dass dringend gehandelt werden muss." Die Beschlüsse würden in die richtige Richtung gehen, müssten jetzt aber überparteilich und mit großer politischer Konsequenz umgesetzt werden. "

Vor allem freut er sich darüber, dass die gemeinsame Forderung von Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann und der Union, Asylverfahren künftig in Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union auszuführen, geprüft werden soll. "Das ist die Grundlage dafür, den Schleppern das Handwerk zu legen und das furchtbare Sterben im Mittelmeer zu beenden – indem die Asylverfahren viel früher stattfinden und wir dadurch wieder die Kontrolle bekommen."

Deggendorfer Landrat fordert schnelle Umsetzung

Der Deggendorfer Landrat Bernd Sibler (CSU) spricht sich für eine rasche Umsetzung der Beschlüsse aus. "Je schneller, umso besser", sagte er im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Zur vereinbarten Pauschale von 7.500 Euro, die der Bund ab 2024 pro Schutzsuchendem zahlen soll, sagte Sibler, dass die bestimmt ein Stück helfen würde. Allerdings entspreche das nicht der Summe, die die Kommunen gefordert haben. Kostendeckend werde es nicht sein. Lob fand er auch für die geplanten Umwandlung von Bargeldleistungen in direkte und indirekte Leistungen – insbesondere die Bezahlkarte. Das zwar sei auch wieder mit Aufwand verbunden, aber ein wichtiges Signal nach außen und innen.

Tirschenreuther Landrat: Schritt in die richtige Richtung

Der Tirschenreuther Landrat Roland Grillmeier sieht in den Beschlüssen einen Schritt in die richtige Richtung. Ob sie in der Praxis funktionieren - und wie schnell - bleibe aber erstmal unklar, so der CSU-Landrat des Grenzlandkreises in der nördlichen Oberpfalz zum BR. Grillmeier befürwortet besonders die Beschleunigung der Asylverfahren, um "sich mehr um diejenigen zu kümmern, die tatsächlich Bleibeperspektiven haben."

Grillmeier warnte auch davor insbesondere kleinere Städte und Gemeinden zu überfordern. Man könne nicht in einer Gemeinde mit 1000 oder 2000 Einwohnern 100 oder 200 Flüchtlinge einquartieren. Außerdem fehle es auf dem Land oft an geeignetem Wohnraum und an der nötigen Infrastruktur; es gebe keinen ÖPNV, nur kleine Schulen und zu wenig Ärzte.

Lichtenfelser Landrat: Immerhin ein Anfang

Der Lichtenfelser Landrat Christian Meißner (CSU) bewertet die Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels verhalten. Im BR-Interview sagte er: "Es ist immerhin mal ein Anfang. Ich halte fest, dass man verstanden hat, dass wir hier auf kommunaler Ebene ein echtes Problem haben." Denn derzeit könne man nicht auf Wohnraum zugreifen und deshalb Flüchtlinge auch nicht unterbringen. Aus seiner Sicht sei auch ein wichtiges Ergebnis nicht erreicht worden, nämlich "dass man die Leute erst dann auf die Fläche verteilt, wenn sie einigermaßen eine Bleibeperspektive haben".

OBs von Nürnberg und Fürth: "Geld allein reicht nicht"

Die Oberbürgermeister von Fürth und Nürnberg können sich über die in der Nacht erzielten Beschlüsse zur Migration nicht so recht freuen. Der Einschätzung seines Parteigenossen, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), wonach ein "historisches" Ergebnis erzielt worden sein, wollte sich Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) nicht anschließen. Zur Wahrheit gehöre auch, dass die Geflüchteten aus der Ukraine behandelt würden wie deutsche Staatsbürger, kritisierte Jung im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. "Da zahlen die Kommunen alles, das ist noch keine gute Lösung." Er hoffe, dass das ausgehandelte Geld auch bei den Kommunen ankommt. Dennoch schaffe Geld allein weder Wohnungen, Kita- oder Schulplätze.

Das sieht auch sein Nürnberger Amtskollege Marcus König (CSU) so. Es sei auch eine Frage des Personals, der Abläufe und der Menge an Menschen, die zu uns kommen, ergänzte er. Zugleich forderte er mehr Mitspracherecht für die Kommunen. Sie müssten in die Verhandlungen mit dem Bund und den Ländern einbezogen werden, denn sie müssten die Ergebnisse am Ende auch umsetzen.

Bayerischer Flüchtlingsrat kritisiert Asyl-Beschlüsse

Der Bayerische Flüchtlingsrat hat scharfe Kritik an den Reformbeschlüssen zur Migrationspolitik geübt. Das System der Bezahlkarten anstelle der Auszahlung von Bargeld sei populistisch und stelle einen Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte der Geflüchteten dar, sagte Franziska Schmid vom Bayerischen Flüchtlingsrat im BR Fernsehen. Außerdem stelle sich die Frage, wie Geflüchtete im Asylverfahren einen Rechtsbeistand bezahlen sollen. Durch die Beschlüsse würden Asylbewerber ausgegrenzt und stigmatisiert, so Schmid weiter. Viele der in der vergangenen Nacht auf Bund-Länder-Ebene gefassten Beschlüsse nannte sie "menschenunwürdig".

Mit Informationen von dpa, epd und AFP

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!