Nahaufnahme des Gesichts von Markus Braun
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Markus Braun am 19. November 2020 als Zeuge vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag.

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Stadelheim statt Silicon Valley: Der tiefe Fall des Markus Braun

Stadelheim statt Silicon Valley: Der tiefe Fall des Markus Braun

Apple, Google und Co.: Mit diesen globalen Tech-Riesen wollte sich Markus Braun immer messen. Als CEO führte er Wirecard bis in den DAX - am Ende landete er in Untersuchungshaft. Ein Portrait.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Für den Parlamentsbetrieb in Berlin ist der 19. November 2020 fast schon ein historischer Tag. Ein früherer DAX-Vorstandschef ist als Zeuge vorgeladen. Er kommt direkt aus der U-Haft. Markus Braun soll dem Wirecard-Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen. Um kurz vor halb zwei öffnet sich die graue Stahltür. Braun huscht hindurch, sein Anwalt Alfred Dierlamm geht direkt hinter ihm. Sicherheitspersonal in dunklen Anzügen eskortiert den Untersuchungshäftling in den Sitzungsaal 2.600 im Paul-Löbe-Haus, einem zum Deutschen Bundestag gehörenden Büro-Komplex, der Nüchternheit und Kälte ausstrahlt.

  • Zum Artikel: Wirecard-Prozess beginnt - Mammutverfahren in München

Jackett und Rollkragenpulli – Braun-Outfit erinnert an Steve Jobs

Nüchtern und kalt wirkt auch Markus Braun an diesem Tag. Der Ex-Wirecard-CEO nimmt an einem halbrunden Holztisch Platz. Sein Gesicht ist aschfahl, sein Blick durch die randlosen, eckigen Brillengläser ist leer. Er verliest eine kurze Erklärung und beantwortet keine der zahlreichen Fragen.

Das einzige, was in dieser Situation an seine Zeit als Chef eines DAX-Konzerns erinnert, ist sein Outfit: dunkles Jackett und schwarzer Rollkragenpulli - so ähnlich war auch Steve Jobs oft zu sehen, der Chef des Tech-Giganten Apple. Ein Säulenheiliger des Silicon Valley, dem Braun schon immer nacheifern wollte.

In Stadelheim beginnt das Gerichtsverfahren

Zwei Jahre später, 8. Dezember 2022: Von Donnerstag an muss Braun auf der Anklagebank des Gerichtssaals in Stadelheim in Süden Münchens Platz nehmen. Er schließt direkt an das dortige Gefängnis an. Stadelheim statt Silicon Valley: Das ist jetzt die Welt des 53-jährigen gebürtigen Wieners.

Seit Sommer 2020 sitzt Markus Braun in Untersuchungshaft. Mindestens bis ins Jahr 2024 hinein wird sich Braun in einem Prozess für seinen mutmaßlichen Anteil am Wirecard-Skandal verantworten müssen. Braun sieht sich als Opfer, hintergangen von einer Bande rund um den untergetauchten Ex-Vorstand Jan Marsalek. "Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirecard AG in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden ist", erklärte Braun in einem in der Nacht vom 18. auf den 19. Juni 2020 von Wirecard veröffentlichten Video. Unmittelbar danach brach der Konzern zusammen. Braun ein Opfer: Kann das sein?

Von KPMG zu Wirecard

Im Januar 2002 übernimmt Braun bei Wirecard den Vorstandsvorsitz. Der promovierte Wirtschaftsinformatiker kommt von KPMG, ausgerechnet also von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die später mit einer zwischen Oktober 2019 und April 2020 laufenden Sonderprüfung ihren Beitrag dazu leistet, dass das Kartenhaus Wirecard zusammenbricht. Braun erarbeitet sich früh den Ruf des akribischen IT-Nerds, der immer wieder neue, ambitioniertere Ziele formuliert.

"Er war immer sehr visionär unterwegs und auch in seinen Gedanken immer schon sehr weit weg von der Normalität", sagt eine ehemalige Wirecard-Mitarbeiterin 2020 in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Ihren Namen will sie damals nicht nennen. Gabriele Kotsis, Informatik-Professorin von der Universität Linz, spricht hingegen gerne und offen über Markus Braun. Sie kennt ihn noch aus der Zeit, als er für seine Doktorarbeit geforscht hat. Das ist über 20 Jahre her. Es ging dabei unter anderem um die Frage, wie mehrere Computer zusammen an einem bestimmten Problem arbeiten und es im besten Fall lösen können. Kotsis beschreibt Braun in einem Telefonat als Menschen, "der immer an neuen Fragestellungen interessiert war. Ich habe ihn wirklich als sehr ehrlichen, strebsamen Menschen erlebt."

Wirecard mischt sich unter die Global Player

Ehrgeizig gibt sich Braun auch als Wirecard-CEO. Als er prognostiziert, dass es Wirecard irgendwann in den Dax schaffen wird, in den Aktien-Index der größten Unternehmen in Deutschland, belächeln ihn selbst die eigenen Mitarbeiter. Im September 2018 gelingt dieser Aufstieg tatsächlich. "Der Dax ist hier nur ein Zwischenschritt. Ich glaube, dass die nächsten zehn Jahre an Wachstumsdynamik die letzten zehn Jahre bei weitem in den Schatten stellen werden", sagt Braun.

Sein Unternehmen mit damals etwa 5.000 Mitarbeitern befindet sich nun in der Gesellschaft von Global Playern wie VW und Siemens. Braun bleibt sich treu: "Unser Ziel ist jetzt, der größte Dax-Konzern zu werden."

Ein Bier mit Dr. Braun? "Es gibt angenehmere Leute"

Woher das kommt, was manche als Größenwahn bezeichnen würden? "Als Vorstand eines der am schnellsten wachsenden Unternehmen im Finanzbereich und treibender Akteur der digitalen Finanztechnologie kann ich voller Überzeugung sagen, dass ich ein Optimist bin", schreibt Braun Anfang Mai 2019 in einem Essay für das "Handelsblatt".

Der frühere Geschäftspartner Peter Herold kennt ihn noch aus der Zeit vor Wirecard. Er sagt: "Würde ich mit Herrn Dr. Braun ein Bier trinken? Ich glaube, es gibt angenehmere Leute." BR Recherche hat interne Unterlagen und tausende E-Mails aus dem Wirecard-Konzern gesichtet. Sie zeigen, wie Braun den Konzern führte. Der Vorstandschef beantwortet E-Mails oft nur mit "ja" oder "ok". Anweisungen an sein direktes Umfeld sind nicht viel länger: "das ist nicht stark" und "macht das so" ist da zu lesen.

Markus Braun: Nüchtern, aber Lust auf Luxus

Der nüchterne Informatiker hat auch einen Sinn für Luxus. Sein persönlicher Chauffeur fährt Braun zwischen den Wohn- und Arbeitsorten in München, Wien und Kitzbühel hin und her. In dem österreichischen Ski-Nobelort nennt er ein Chalet sein eigen, mit Freunden besucht er das berühmte Hahnenkammrennen. Brauns Dienstwagen: eine Mercedes S-Klasse Maybach mit 4.0-Liter-Motor, "Listenpreis Brutto 203.401,94 Euro", wie in einer Wirecard-Fuhrparkübersicht aus dem Jahr 2018 vermerkt ist.

Für moderne Kunst scheint sich Braun ebenfalls zu interessieren. Eine Wiener Galerie schickt ihm unmittelbar vor dem Zusammenbruch des Unternehmens eine Rechnung mit Datum 15. Juni 2020. Sie bedankt sich für den Ankauf von neun Bildern, Gesamtpreis: 246.000 Euro. Als größter Wirecard-Einzelaktionär ist Braun zeitweise Milliardär.

Enger Kontakt zur Familie

Wie es Markus Braun in der Untersuchungshaft geht? Dazu schweigt sein Verteidiger Alfred Dierlamm, der ihn in den vergangenen Monaten regelmäßig in der Justizvollzugsanstalt gesehen hat, eisern. Es heißt, Braun habe regelmäßig Kontakt zu seiner Familie. Wann er sie wieder in Freiheit treffen kann, ist offen. Die Staatsanwaltschaft München hat gegen Braun und zwei weitere frühere Wirecard-Manager schwerwiegende Vorwürfe erhoben: Untreue, unrichtige Darstellung, Marktmanipulation, gewerbsmäßiger Bandenbetrug. Experten gehen von einem langwierigen Verfahren aus.

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