Auf Klingelschildern in Borkwalde (Brandenburg) stehen die Schriftzüge CDU und SPD (Archivbild).
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Auf Klingelschildern in Borkwalde (Brandenburg) stehen die Schriftzüge CDU und SPD (Archivbild).

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Führungssuche bei SPD und CDU: Die Ironie der Geschichte

Führungssuche bei SPD und CDU: Die Ironie der Geschichte

Sowohl SPD als auch CDU sind auf der Suche nach einer neuen Führung. Bei der SPD hat Norbert Walter-Borjans seinen Rückzug angekündigt, bei der CDU Armin Laschet. Beide Parteien stehen vor großen Herausforderungen. Eine Analyse.

Die Entwicklung der vergangenen Wochen bei CDU und SPD hat etwas Komisches, fasst Albrecht von Lucke zusammen. Er beobachtet, dass sich die Ausgangssituation von vor zwei Jahren völlig ins Gegenteil verkehrt habe. "Das ist die eigentliche Ironie der Geschichte", sagt der Politikwissenschaftler und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.

Saskia Esken muss sich entscheiden

Bis vor kurzem waren es die Sozialdemokraten, die eine Führung nach der anderen verschlissen. 2019 votierte die Basis dann überraschenderweise für das relativ unbekannte Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Letzterer will nicht mehr antreten und Platz für Jüngere machen. Esken wiederum muss sich wohl zwischen einem Platz im Kabinett oder dem Vorsitz entscheiden. Laut übereinstimmenden Medienberichten tendiert sie dazu, Vorsitzende bleiben zu wollen.

Der Favorit für die Nachfolge von Walter-Borjans heißt Lars Klingbeil, bisheriger Generalsekretär. Klingbeil betonte zuletzt, er fühle sich geehrt, dass sein Name im Zusammenhang mit dem Posten genannt werde. Eigentlich wurde davon ausgegangen, dass er zusammen mit Manuela Schwesig, der Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, das neue Vorsitzendenduo bilden würde. "Sie sind die naheliegende Wahl", sagt von Lucke. Beide stünden für solides, pragmatisches Regieren. Nun aber, wo Esken offenbar ihren Platz nicht zu räumen vermag, ändert sich die Lage.

Der SPD fehlen Parteiintellektuelle

Von der Frage, ob Esken an der Spitze bleibt, hängt der Einfluss des linken Parteiflügels ab. Sollte die 60-Jährige nicht mehr Vorsitzende sein, so würde die Parteilinke in entscheidenden Positionen nicht vertreten sein. Weder den SPD-Vorsitz würde sie stellen, noch eines der wichtigsten Staatsämter: Der Bundeskanzler, die Bundestagspräsidentin und auch der Bundespräsident würden allesamt durch realpolitische Sozialdemokraten ausgefüllt. Hier zeige sich ein entscheidendes Problem, sagt der Politologe von Lucke.

Neben der soliden Regierungsarbeit fehle den Sozialdemokraten ein visionärer Unterbau: "Die SPD hat keine Parteiintellektuellen mehr", sagt von Lucke. In Fragen der Ökologie bleibe sie weiterhin nackt. Spannend wird auch zu beobachten sein, wie sich die Rolle des stellvertretenden Vorsitzenden Kevin Kühnert entwickelt. Dieser könnte beispielsweise Klingbeil als Generalsekretär beerben. Die beiden gehören zwar unterschiedlichen Flügeln an – Kühnert ist Parteilinker, Klingbeil Mitglied der konservativen Vereinigung Seeheimer Kreis –, sind aber Freunde.

Kann die Union die Mitte wieder zurückgewinnen?

Besorgniserregender beurteilt von Lucke die Lage der CDU: "Man merkt plötzlich, wie schwer es ist, selbst eine Parteispitze neu zu konstituieren in einer Situation, in der die Union erstmal nach Boden unter den Füßen suchen muss."

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die unterschiedlichen Kandidaten für den Parteivorsitz auf eine gemeinsame Lösung einigen, ist nicht hoch einzuschätzen. Die Vorstellungen, wie die CDU nach der herben Schlappe bei der Bundestagswahl wieder Erfolge einfahren soll, weichen stark voneinander ab. Die Anhängerschaft des zweimal auf dem Parteitag unterlegenen Friedrich Merz wünscht sich ein klar konservativeres Profil, durchaus getrieben von einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. Kulturelle Fragen wie Einwanderungspolitik und Gendersprache spielen ebenfalls wichtige Rollen. Auf der anderen Seite warnt der ehemalige Umweltminister Norbert Röttgen davor, den Kurs der Mitte zu verlassen. Dieser habe die CDU erfolgreich gemacht. Im ZDF sagte Röttgen in dieser Woche: "Wenn wir eine Rechtsverschiebung erleben würden, dann würden wir den anderen Parteien – SPD, Grüne und FDP – freien Raum lassen, sich zu etablieren und uns zu verdrängen."

Damit spreche Röttgen das Grundproblem der Union an, sagt von Lucke. Mit der Führungsfrage allein sei es nämlich nicht getan. "Die Grundfrage besteht darin, ob die Union überhaupt noch einmal in der Lage sein wird, die Mitte, die sie 16 Jahre lang mit Angela Merkel dominierte, zurückzuerobern." Momentan habe sie diese in einem gewissen Maße an die Ampel verloren.

Die CDU habe aber noch ein weiteres, nämlich ein Nachwuchsproblem, findet von Lucke. Während sich bei der SPD die zwei aussichtsreichsten Kandidaten für den Vorsitz in ihren Vierzigern befinden, sind die jüngeren CDU-Kandidaten laut Umfragen nahezu chancenlos bei der Wahl des nächsten Vorsitzenden. Weder Gesundheitsminister Jens Spahn noch Wirtschaftsexperte Carsten Linnemann reichen laut Meinungsforschungsinstituten auch nur annähernd an die Werte von Merz und Röttgen heran. "Deswegen glaube ich in der Tat, das ist schon sehr originell und auch ironisch, dass Friedrich Merz im zarten Alter von 66 Jahren die große Chance bekommt, die Partei zu führen", sagt von Lucke.

Mitgliederbefragung als letzter Ausweg

Vorstand und Präsidium der Partei haben sich am Dienstag auf das Verfahren geeinigt, wie über die Nachfolge von Armin Laschet bestimmt werden soll. Ab Samstag werden die Bewerbungen entgegengenommen. Ab dem 15. November sollen die 400.000 Mitglieder per Mitgliederbrief über die Befragung zum Parteivorsitz informiert werden. Bis Anfang Dezember sollen die Wahlzettel versendet werden, ab dem 3./4. Dezember könnte dann abgestimmt werden. Am 17. Dezember soll ausgezählt und das Ergebnis verkündet werden. Eine mögliche Stichwahl würde im Anschluss stattfinden. Das Mitgliedervotum ist allerdings nicht bindend. Die wirkliche Entscheidung über den neuen Vorsitzenden wird auf dem Parteitag am 21. und 22. Januar durch die 1.001 Delegierten gefällt.

Das Verfahren der CDU erinnert ziemlich an das der SPD aus dem Jahr 2019. Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles befanden sich die Sozialdemokraten in einer schweren Führungskrise, in Umfragen stand die Partei bei 13 bis 16 Prozent. Viele Christdemokraten und –soziale empfanden das Vorgehen damals als abschreckend. Dass man sich nun daran anlehnt, deutet darauf hin, dass die Beteiligung der Basis als letzter Ausweg wahrgenommen wird. Zwei Parteien suchen also nach einer neuen Führung, die eine scheint der anderen jedoch zwei Jahre voraus zu sein. Mindestens.

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