Ferda Ataman
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Jörg Carstensen
Bildbeitrag

Ferda Ataman wurde zur Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewählt.

Bildbeitrag
> Kultur >

"Man kann sich dadurch als Gruppe nicht herabgewürdigt fühlen"

"Man kann sich dadurch als Gruppe nicht herabgewürdigt fühlen"

Wer will schon als Kartoffel oder Alman bezeichnet werden? Darüber gibt es Streit, weil die Mehrheitsgesellschaft nicht gewohnt ist, als Gruppe adressiert zu werden, sagt der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch.

Über dieses Thema berichtet: Sozusagen am .

Ferda Ataman wurde gestern zur Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewählt, nachdem wochenlang über diese Personalie diskutiert wurde. Und das bei weitem nicht immer fair. Einen kritischen Überblick über das, was in deutschen Medien über Ataman geschrieben wurde, bekommt man auf der Webseite des Journalisten Stephan Anpalagan. Ein Vorwurf wurde ihr dabei immer wieder gemacht: Dass gerade sie, die nomininerte Antidiskriminierungsbeauftragte, selbst diskriminiere und zwar uns Deutsche. Und wieso tut sie das? Weil sie es okay findet, wenn man Deutsche Kartoffeln nennt. Bzw. wenn man sie als Kartoffeln "verhöhnt", "verspottet" oder "beleidigt", wie zum Beispiel "Bild" oder "Welt" schreiben. Was also hat es mit der Kartoffel auf sich, dass so viele ihretwegen auf die Barrikaden gehen? Anatol Stefanowitsch ist Professor für Sprachwissenschaft an der Freien Universität zu Berlin.

Tobias Stosiek: Dürfte ich Sie denn eine Kartoffel nennen oder würden Sie das Interview dann empört abbrechen?

Anatol Stefanowitsch: Ich bin Schlimmeres genannt worden als Kartoffel. Ich habe selber Migrationshintergrund, stamme aber aus einer Familie, in der man sich sehr früh für ein sehr assimilatives Verhalten entschieden hat und habe dadurch eine sehr deutsche Identität. Deshalb würde ich mich persönlich eher freuen, wenn Sie mich Kartoffel nennen würden, weil das für mich ein Hinweis wäre darauf, dass sie mich tatsächlich als deutsch akzeptieren...

... dass ich Sie zur Mehrheitsgesellschaft rechne?

Genau.

Naiv gefragt: Was ist für Sie eine Kartoffel?

Der Begriff "Kartoffel" ist ursprünglich in migrantischen Communities unter Jugendlichen als allgemeine Bezeichnung für Deutsche entstanden. Sicher war damit kein großes Lob oder keine Bewunderung verbunden, aber auch per se keine besondere Abwertung. Es war quasi eine Gegenreaktion zu zusammenfassenden Begriffen, die sie sich selber häufig anhören mussten.

Sie sagen, die Begriffsprägung sei ursprünglich eine relativ neutrale gewesen. Wie kommt es dann, dass sich viele – zumindest viele Medienschaffende – von diesem Ausdruck so offensiv beleidigt fühlen?

Ganz neutral kann so ein Begriff schon deshalb nicht sein, weil er immer die bezeichnete Gruppe als Gruppe bezeichnet. Man möchte aber nicht als Mitglied einer Gruppe bezeichnet werden, sondern als Individuum. Das gilt auch für Menschen mit Migrationshintergrund, wenn sie auf verschiedene Weisen bezeichnet werden. Mal mit neutraleren Begriffen wie "Deutschtürken" – oder auch mit einem abwertenden Begriff wie "Kanaken".

Beide haben gemein, dass sie die Gruppenidentität in den Vordergrund stellen. Das tut der Begriff "Kartoffel" natürlich auch. Als Mitglied der Mehrheitsgesellschaft ist man aber genau daran nicht gewöhnt. Deswegen beschweren sich auch alte weiße Männer sich gerne, wenn sie "alter weißer Mann" genannt werden, obwohl das nun wirklich eine Tatsachen-Beschreibung ist. Aber sie werden damit zu einer Gruppe, man sieht sie nicht mehr als Individuum und das möchten sie nicht.

Die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft, würden Sie also sagen, genießen normalerweise das Privileg, als Individuen adressiert zu werden und gerade nicht als Angehörige einer Gruppe. Und in dem man sie jetzt zu Kartoffeln macht, provoziert man dieses Gefühl, nicht als Einzelne gemeint zu sein?

Man stellt es in Frage und man sagt: Du bist nicht nur Individuum. Deine Eigenschaften und das, was du im Leben erreicht hast, deine Ziele, deine Meinungen und was auch immer dich ausmacht, sind nicht nur durch dich und deinen eigenen wunderbaren Lebensweg geprägt, sondern auch durch die Tatsache, dass du zu einer Gruppe gehörst. In diesem Fall halt zur privilegierten Gruppe der Mehrheitsgesellschaft.

Aber wieso erzeugt die Kartoffel dann mehr Widerstand als Ausdrücke wie "Alman" oder "biodeutsch"? Die erfüllen doch eine ähnliche Funktion, nämlich die Mehrheitsgesellschaft als Gruppe sichtbar zu machen, oder?

Bei dem Begriff "Alman" wäre ich mir nicht sicher, das müsste man mal tatsächlich untersuchen, ob der weniger starke Reaktionen auslöst ...

... zumindest hat sich die Debatte über Ataman doch sehr auf die Kartoffel kapriziert.

... ja, weil die anfänglichen Artikel sich alle auf die Kartoffel fokussiert haben. Das könnte tatsächlich ein Hinweis darauf sein, dass die Kartoffel als etwas herabwürdigender empfunden wird. Und das könnte daran liegen, dass da so eine ganz leichte, entmenschlichende Metapher mit drinsteckt, indem man Personen als Pflanze bezeichnet. Bei dem Wort "Alman" hat man ja im Prinzip nur das türkische Wort für Deutsche. Insofern hat das vielleicht weniger Aufreger-Potenzial.

Kulinarische Kürzel sind ja nichts Neues, wenn es um die Bezeichnung von Nationalitäten geht. Die Briten spricht mitunter von Krauts, wenn sie Deutsche meinen. Manche sagen Spaghettis, wenn sie von Italienern reden, Sushis, wenn sie Japaner meinen. Ich merke aber, dass es mir unangenehm ist, das so auszudrücken, weil solche Redeweisen in der Regel despektierlich sind. Wieso ist die Kartoffel denn ein anderer Fall?

Wenn er in Deutschland verwendet wird, bezeichnet er die Mehrheitsgesellschaft. Und Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft können in dieser Funktion, also über ihre Mitgliedschaft in der Mehrheitsgesellschaft nicht diskriminiert werden, weil die Mehrheitsgesellschaft die privilegierte Position einnimmt. Sprachlich beleidigen kann man jede Person, jedes Individuum, jede Gruppe. Aber damit eine Herabwürdigung funktionieren kann, muss sie natürlich irgendein Korrelat in der Wirklichkeit haben.

Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ist es also entscheidend für die Beurteilung, ob mich jetzt ein Brite als Kartoffel bezeichnet oder ob das ein Deutscher mit sogenanntem Migrationshintergrund tut, weil es auch um die realen Machtverhältnisse geht?

Es wäre etwas anderes, wenn wir irgendwo wären, wo Deutsche tatsächlich in der Minderheit sind, wo das eine diskriminierte Minderheit wäre, über die verletzende kulturelle Stereotype existieren, an die sie ständig erinnert werden. In einer solchen Situation könnte auch ein Wort wie "Kartoffel" oder auch ein beliebiges anderes Wort diese verächtlichen Bedeutungsanteile annehmen. In Deutschland mag man sich davon beleidigt fühlen. Beleidigung ist ja etwas sehr individuelles. Aber man kann sich als Gruppe dadurch eigentlich nicht herabgewürdigt fühlen.

Zum Thema Beleidigung: Wenn es um um diskriminierendes Sprechen geht, dann gibt es ja diese Standardverteidigung: 'So habe ich es doch gar nicht gemeint!' Dem kann man immer entgegenhalten, dass es darum gar nicht geht, sondern wie es ankommt. Müsste das nicht auch für Kartoffeln gelten? Wenn die Redaktion der Bild geschlossen spielt, müsste man dann nicht sagen: 'Okay, wir lassen es, wir wollen eure Gefühle nicht verletzen'?

Es ist leicht, eine Herabwürdigung zu behaupten. Ich kann immer behaupten, dass ich mich herabgewürdigt fühle, dass ist erst einmal nur ein Sprechakt. Deshalb kann man auch nicht sagen, dass alles, von dem sich eine Person gekränkt fühlen könnte, zu vermeiden ist. Das würde einen Standard setzen, bei dem wir dann tatsächlich irgendwann gar nichts mehr sagen könnten. Weil natürlich alles, was wir sagen, das Potenzial hat, irgendeine Person irgendwo in einem Moment der Verletzlichkeit zu erwischen. Diese Person fühlt sich möglicherweise zu Recht oder möglicherweise aus ihrer subjektiven Position heraus gekränkt.

Deshalb muss man schon gucken, ob diese empfundene Herabwürdigung, die jemand signalisiert, auch nachvollziehbar ist. Man muss sie argumentativ untermauern. Und das kann man bei Wörtern, die für Minderheiten benutzt werden, sehr gut. Man kann sich die Geschichte dieser Wörter angucken, man kann sich die aktuelle Verwendung dieser Wörter angucken. Das N-Wort zum Beispiel wird nicht in neutraler Absicht verwendet, es wird nicht in positiver Absicht verwendet. Es wird immer in Kontexten verwendet, bei denen zumindest eine Minderwertigkeit mit kommuniziert wird.

Wenn sich also die gesamte Bild-Redaktion durch dieses Wort herabgewürdigt fühlt, dann müsste man sich die Erfahrungsgeschichte angucken, die die Bild-Redaktion mit diesem Wort hat. Sind das Leute, die potenziell Angst um ihr Leben haben müssen, Angst, ob sie als Menschen anerkannt werden und so weiter. Und da die Redaktion der Bild-Zeitung sowieso keine Bevölkerungsgruppe darstellt, sondern eine beliebige Gruppe, zu der jede Person dazugehören oder auch wieder aus der Gruppe austreten könnte, stellt sich die Frage hier nicht so sehr.

Ein Beitrag aus dem Sprachmagazin Sozusagen! auf Bayern 2 vom 8. Juli 2022.

Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!