Sarah Paulson als Mildred Ratched und Alice Englert als Schwester Dolly in der Serie "Ratched"
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Sie durchschaut alle und hält die Fäden in der Hand: Schwester Mildred Ratched.

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Serie "Ratched": Wie Oberschwester Ratched so kaltherzig wurde

Serie "Ratched": Wie Oberschwester Ratched so kaltherzig wurde

Sie ist eine der legendärsten Filmbösewichte aller Zeiten: Die Psychiatrie-Krankenschwester Mildred Ratched aus "Einer flog über das Kuckucksnest". Jetzt will "American Horror Story"-Erfinder Ryan Murphy ihre Vorgeschichte in Serienform erzählen.

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Mildred Ratched ist die Art Krankenschwester, die in Horrorfilmen und Psychothrillern mit ihrer Engelsgeduld, der tadellosen Hochsteckfrisur und einem eiskalten Lächeln auf den Lippen ihre Patient*innen ständig unter Kontrolle hält, sie psychisch unter Druck setzt und gegeneinander ausspielt – zu ihrem Besten selbstverständlich.

Ratched steht für ein menschenfeindliches System – und braucht darum auch eigentlich keine eigene Geschichte, die erklärt, wieso sie so grausam ist. Die Serie "Ratched" versucht aber genau das und spult dafür die Zeit zurück ins Jahr 1947, etwa eine Dekade vor den Ereignissen im Film "Einer flog über das Kuckucksnest". Damals, kurz nach dem 2. Weltkrieg, bewirbt sich die junge Mildred Ratched mit einer kleinen Schwindelei um einen Job als Krankenschwester in einer luxuriösen Privat-Psychiatrie in Kalifornien. Sie setzt alles dran, in diesem Krankenhaus zu arbeiten, weil dort ein verurteilter Massenmörder untergebracht werden soll: Edmund Tolleson.

Intrigen, Mord und Manipulation

Die beiden verbindet ein gemeinsames Geheimnis. Und wie es eben ist mit Geheimnissen: sie holen einen immer ein. So ergeht es auch dem egomanischen Klinikleiter Dr. Hanover (Jon Jon Briones) , ihn belastet ein Fehler aus seiner Vergangenheit schwer. In seinem Eifer Gutes zu tun und zu helfen, bringt er seine Patient*innen mit seinen neuartigen, aber barbarischen Behandlungsmethoden immer wieder in Lebensgefahr. Mildred Ratched hat ein ganz besonders ausgeprägtes Gespür dafür, diese Geheimnisse herauszufinden, um damit ihre Mitmenschen zu manipulieren und ihre eigenen Ziele zu erreichen.

Der Moralkompass von Mildred Ratched hängt mehr als nur ein bisschen schief. Diese Frau lügt nicht nur wie gedruckt, sie hat auch selbst ein paar Leichen im Keller. Trotzdem werden ihre guten Absichten und ihre innere Zerrissenheit immer wieder deutlich. Das ist der großartigen Hauptdarstellerin Sarah Paulson zu verdanken. Nach unzähligen Staffeln "American Horror Story" darf sie in "Ratched" endlich mal im Mittelpunkt stehen – mit einer Rolle, die, wie sie selbst, Frauen liebt. Wie in allen seinen aktuellen Serien erzählt Schöpfer Ryan Murphy auch in "Ratched" neben allerhand wirklich bizarren Nebenplots eine queere Liebesgeschichte – und von den vielen Hindernissen und Demütigungen, mit der die Gesellschaft und die Geschichte homosexuelle Menschen bis heute konfrontiert.

Mehr Style als Substanz

Typisch für Ryan Murphy ("Pose", "The Politician", "Hollywood") sieht die Serie einfach unglaublich schön aus. Er hat sich von der Farbsymbolik und Kamera in Alfred Hitchcocks "Vertigo" inspirieren lassen und lebt sein Faible für epische Blutbäder, ikonische Kulissen und eine aufwändige Ausstattung voll aus.

Allein dadurch deutet sich die Entwicklung, die Oberschwester Ratched vor sich hat, an: Die Schwester Ratched aus dem Filmklassiker "Einer flog über das Kuckucksnest" von 1975 trägt ausschließlich schwarze oder weiße Kleidung – in der Serie strahlen ihre Kostüme in den leuchtendsten Farben des Regenbogens, keine Falte, kein Fussel stört den perfekten Look. Man spürt regelrecht, wie verliebt der Serienschöpfer in seine Bilder ist: Die Kamera verharrt immer wieder einen Tick zu lange in den wohlüberlegten Einstellungen. Leider gerät dabei der Erzählrhythmus aus dem Takt. Die Handlung mäandert in der ersten Hälfte der Staffel auf Kosten der letzten beiden Folgen, in denen sich das ohnehin schon hanebüchene Geschehen in Splitscreens überstürzt.

So schön Kulisse, Kameraarbeit und Kostüme auch sind: Zwei Folgen weniger hätten es auch getan. Und selbst nach allen acht Episoden erschließt sich nicht so richtig, warum Oberschwester Ratched unbedingt eine Serien-Vorgeschichte brauchte.

"Ratched" ist seit dem 18.09. bei Netflix verfügbar. Weitere Staffeln sind bereits geplant.

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