Eine FFP-2-Maske liegt am Straßenrand inmitten von vertrockneten Blättern.
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Die Tage werden kürzer, die Temperaturen kühler, Menschen halten sich wieder vermehrt in Innenräumen auf. Damit steigt auch das Infektionsrisiko.

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Wie der zweite Herbst mit Corona werden könnte

Wie der zweite Herbst mit Corona werden könnte

Die Infektionszahlen sind stabil, die Corona-Impfquote steigt aber nur langsam. Und der Herbst - der vergangenes Jahr zur zweiten Welle führte - steht vor der Tür. Wird es erneut einen Lockdown geben? Und: Werden sich alle Ungeimpften anstecken?

Es mag ein bisschen wie ein Blick in eine Glaskugel anmuten, wie der Corona-Herbst dieses Jahr verlaufen wird. Doch im Gegensatz zum vergangenen Jahr gibt es mittlerweile vier in Deutschland zugelassene, sichere und geprüfte Impfstoffe, die zuverlässig vor einem schweren Verlauf durch Corona schützen. Sie sind der beste Schutz, die Infektionszahlen niedrig zu halten und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Doch reichen dafür etwa 65 Prozent Geimpfte mit vollständigem Impfschutz? 2020 gab es noch keine Delta-Variante in Deutschland, die wesentlich ansteckender als alle bisherigen Varianten ist.

Wie werden sich die Infektionszahlen im Herbst entwickeln?

Das Robert-Koch-Institut (RKI) rechnet in seinem Strategiepapier zur Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22 mit einem Anstieg der Infektionszahlen - auch, weil der Anstieg im Sommer wesentlich früher eingetreten ist als vergangenes Jahr und weil von einer höheren Ansteckungsrate durch die Delta-Variante in den kälteren Jahreszeiten ausgegangen wird.

Demnach reichen die bisherigen Impfquoten noch nicht aus, "um eine erhebliche Belastung des Gesundheitssystems in der vierten Welle zu verhindern" - auch, wenn die besonders vulnerablen Gruppen mittlerweile teilweise eine dritte Impfung als Booster bekommen. Wichtig sei vor allem, die Impfquote unter den 18- bis 59-Jährigen zu steigern, um eine vierte Welle abzuflachen. Diese Erkenntnisse beruhen auf Modellrechnungen und sind keine Vorhersagen, sondern illustrieren mögliche Szenarien.

Laut dem Virologen Christian Drosten von der Berliner Charité bräuchte es wegen Delta mehr als 85 Prozent vollständig Geimpfte, um einen Weg aus der Pandemie zu finden. Rechnet man das hoch - mit einem derzeitigen Stand von etwa 200.000 verabreichten Impfdosen pro Tag - würde dieses Ziel erst an Ostern im April erreicht werden, erklärt er im Coronavirus-Update vom 28. September.

Allein, um auf das Niveau von Dänemark zu kommen - etwa elf Prozent mehr Geimpfte - würde das bei dem momentanen Impf-Tempo in Deutschland etwa 90 Tage dauern.

Wie kann die Impfquote weiter gesteigert werden?

Mit dem Ende der kostenlosen Corona-Tests für die meisten Menschen in Deutschland am 11. Oktober hoffen einige Politiker, das Impftempo anzukurbeln.

Zwar steigt die Impfbereitschaft in Deutschland einer aktuellen Umfrage des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) zufolge auf einen Höchstwert von 82 Prozent, jedoch zeigen sich viele Ungeimpfte unbeeindruckt von Maßnahmen wie dem Ende der kostenlosen Tests oder einem beschränkten Zugang nach der 2G-Regel. Gerade mal vier Prozent der Ungeimpften würden demnach eine Impfung in Erwägung ziehen. Bei 30 Prozent der noch nicht Geimpften passiert jedoch das Gegenteil: Eine Impfung wird für sie noch unwahrscheinlicher. Die größten Sorgen machen sie sich über die Sicherheit der Impfstoffe, zwei von drei Ungeimpften fühlen sich durch solche Maßnahmen der Politik unter Druck gesetzt.

Helfen sollen da mobile Impfteams, die vielerorts in Deutschland die Impfzentren ablösen, welche nach und nach schließen oder schon geschlossen haben. Die mobilen Teams sollen für einen Aufschwung der Impfquote sorgen, niederschwellig und noch näher an den Menschen sein. Des Weiteren wird zusätzlich auf Hausärzte gesetzt. Ob die Impfquote maßgeblich steigt, werden wohl die nächsten Wochen zeigen.

Was passiert mit den Ungeimpften im Herbst?

Von einer "Pandemie der Ungeimpften" sprechen schon jetzt viele Politiker, Mediziner und Wissenschaftler. RKI-Chef Lothar Wieler geht davon aus, "wer sich nicht impfen lässt, wird sich auf absehbare Zeit mit dem Coronavirus infizieren." Daher appelliert er an alle, die sich impfen lassen können, dies auch zu tun.

Noch ist die Studienlage nicht eindeutig, ob die Delta-Variante "nur" ansteckender oder auch gefährlicher als bisherige Varianten des Coronavirus ist. Fakt ist aber, dass sich deutlich mehr Ungeimpfte anstecken als Geimpfte. Virologin Ulrike Protzer von der TU München schätzt diese Zahl auf über 90 Prozent. Geimpfte würden demnach auch sehr selten erkranken. Das belegten auch Zahlen aus den USA und England, wo 95 Prozent derer, die bei einer Ansteckung symptomatisch würden und ins Krankenhaus kämen, nicht geimpft seien.

  • Zum Artikel: "Covid-19 in den Kliniken: Die Welle der Ungeimpften"

Wie wirken sich die Infektionszahlen auf die Kapazität der Intensivbetten aus?

Ähnlich verhält es sich mit den Betten auf den Intensivstationen, die in den Krankenhäusern meist von Ungeimpften belegt sind. So vermeldet die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), dass mehr als 90 Prozent der Intensivpatienten ungeimpft sind. Zwar hätte der Impffortschritt die Krankenhäuser spürbar entlastet, dennoch füllen sich die Betten wieder - und zwar hauptsächlich mit Ungeimpften, so DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß.

Betroffen seien vor allem Patienten jüngeren und mittleren Alters. Daher appelliert Gaß, die niedrigschwelligen Impfangebote zu nutzen. Nur so könne das Gesundheitssystem vor einer Überlastung geschützt werden. Unter den geimpften Patienten befinden sich vor allem solche, die schon sehr alt sind und ein geschwächtes Immunsystem haben. Parallel wächst die Sorge vor steigenden Krankheitsfällen mit schwerem Verlauf - so auch in Münchens Kliniken, die diesen Anstieg schon seit einigen Wochen beobachten können.

Wird es einen erneuten Lockdown im Herbst geben?

Geht es nach den Aussagen der Politiker wird es im Herbst und Winter keinen erneuten Lockdown geben - zumindest nicht für vollständig Geimpfte. Das war vor der Bundestagswahl 2021 überall zu hören und zu lesen. Dass es örtlich dennoch - je nach Infektionsgeschehen - zu Einschränkungen kommen kann, ist nicht auszuschließen. Das glaubt auch Virologe Christian Drosten: Zwar vermeidet er den Begriff "Lockdown", er ist sich aber sicher, dass die Politik in Herbst und Winter nicht um "eingreifendere Maßnahmen" herumkommen werde.

Das RKI empfiehlt, die Kontakte auf individueller Basis zu reduzieren, sollte die Lage ernster werden. Des Weiteren geht das Institut davon aus, dass - wenn keine "bevölkerungsbezogenen Maßnahmen" ergriffen werden - die vierte Welle in Bezug auf die Infektionsfälle die bisherigen Wellen deutlich übertreffen kann.

Wie wirkt sich das kalte Wetter auf die Infektionszahlen aus?

Virologe Christian Drosten kann die Zahlen zwar nicht modellieren, sie aber mit dem letzten Jahr vergleichen. Für ihn spielt der Temperatureffekt eine große Rolle, der Mitte Oktober 2020 für einen exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen gesorgt hat. Gleiches erwartet er auch für dieses Jahr, da die Impfquote seiner Meinung nach nicht ausreicht, um eine "Winterwelle" zu verhindern.

Und da sich auch Geimpfte und Genesene mit der Delta-Variante anstecken können, obgleich das Risiko sehr viel geringer ist, ist es wichtig, dass die "Basismaßnahmen" wie Abstand, Hygiene, Maske und Lüften weiterhin eingehalten werden, betont das RKI. Mit der Möglichkeit der Impfung werden individuelle Maßnahmen immer wichtiger - man weiß, wie man sich und andere schützt und sollte entsprechend handeln.

Kann man im Herbst Urlaub machen?

Das RKI schreibt in seinem Strategiepapier, dass "Reisen in andere Regionen oder Länder vermieden, und die individuelle Mobilität eingeschränkt werden" sollte. Das bezieht sich vor allem auf Reiserückkehrer aus Ländern, in denen die Impfquote noch nicht so hoch ist, wo es andere Schutzmaßnahmen gibt oder auch andere, besorgniserregende Varianten, die in Deutschland noch nicht auftauchen.

Für Reisen in Deutschland empfiehlt der Deutsche Tourismusverband (DTV) auf BR-Anfrage, vor dem Start in den Herbsturlaub einen Blick auf die gültige Corona-Schutzverordnung am Urlaubsziel zu werfen. "Außerdem sollten sich Reisende zur Sicherheit auch nochmals zu den individuellen Regelungen in Bezug auf 3G oder 2G im Hotel, in der Ferienwohnung oder am geplanten Ausflugsziel erkundigen. Das gilt ebenso, wenn man die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln plant," so Huberta Sasse vom DTV.

Schaffen wir noch die Herdenimmunität?

Unwahrscheinlich. So formuliert es das RKI. Zumindest wird es keine Herdenimmunität geben, um so das Virus komplett auszurotten und aus unserem Leben zu verbannen. Mittlerweile geht nicht nur das RKI davon aus, dass das Coronavirus uns auch weiterhin begleiten, sich die Lage allerdings von einer pandemischen zu einer endemischen entwickeln wird. Daher ist das Ziel der Impfungen der individuelle Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf.

Langfristig gesehen erwartet das RKI Ausbrüche und auch schwere Krankheitsfälle - allerdings in geringerem Umfang. "Durch weitere Impfungen sowie Infektionen ist zu erwarten, dass die Grundimmunität in der Bevölkerung in den Folgejahren zunehmend stabiler wird und die saisonalen Wellen damit kleiner werden," heißt es im entsprechenden Papier.

Zur Wirkung der Impfstoffe gegenüber der Delta-Variante gibt es viele Studien, die teilweise unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen. Was sie gemeinsam haben, ist, dass die Impfstoffe vielleicht nicht immer sehr, sehr gut vor einer Infektion schützen, aber gut vor einem symptomatischen Verlauf und noch besser vor einem schweren Krankheitsverlauf.

"Vor asymptomatischen Infektionen ist der Schutz bei Delta deutlich geringer. Aber das ist ja, ganz banal gesagt, nicht so schlimm, wenn man eine Infektion hat, die man nicht bemerkt. Also für einen selber ist das nicht schlimm. Wenn man Kontakt mit Ungeimpften hat, kann das für die Person sehr unangenehm sein," fasst es Sandra Ciesek, Virologin am Universitätsklinikum Frankfurt, im NDR-Podcast Coronavirus-Update vom 14. September zusammen. Daher ist es wichtig, dass Personen im Umfeld geimpft sind - zumindest die, die sich impfen lassen können.

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