Eine Puppe, die Anne Frank darstellen soll, sitzt in einem roten Kleid auf einer Holzkiste, ihr Tagebuch auf dem Schoß.
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In Straubing präsentieren derzeit Puppenspieler von internationalem Ruf ihre Kunst. Mit "Anne Frank" wird ein ganz besonderes Stück gezeigt.

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Anne Frank als Puppenspiel: Ein eindringliches Erlebnis

Anne Frank als Puppenspiel: Ein eindringliches Erlebnis

In Straubing läuft aktuell das 28. Figurentheaterfestival. Das Berliner Puppenspielerduo Artisanen hat dort sein Stück "Anne Frank" präsentiert. Eine beeindruckende Darstellung der weltbekannten Geschichte in besonderer Atmosphäre.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

Im Saal des Straubinger Theaters am Hagen ist es völlig dunkel. Nur die Lampe im kleinen Schaukasten leuchtet. Anne Frank - in Form einer Holzpuppe - sitzt in einem roten Kleid auf einer Holzkiste, ihr Tagebuch auf dem Schoß. Leichte Klavierklänge sind zu hören. "Das Hinterhaus. Miete gratis. Spezielle Einrichtung für die Unterkunft für Juden und ihresgleichen."

Für einen Moment vergisst man als Zuschauer, dass hier Figurentheater gespielt wird. Die ruhige, dunkle Darstellung von Inga Spitzer und Stefan Schmidt zieht den Zuschauer in ihren Bann. Hier sind wir schon mittendrin in der Geschichte Anne Franks.

Originalfotos von Anne Frank und anderen Versteckten

Doch von vorn. Die Bühne ist minimalistisch ausgestaltet. Der Schaukasten mit seinen zwei Türen steht auf einem Tisch mit einer bodenlangen, rot-weiß-karierten Tischdecke. Davor andere ramponierte Utensilien wie ein Stuhl mit einem schmutzigen Lampenschirm oder ein altes Radio.

Stefan Spitzer und Inga Schmidt stehen links und rechts neben dem Schaukasten im Dunkeln. Spitzer knipst eine Taschenlampe an und erleuchtet ein Foto, das auf der jetzt noch geschlossenen Tür des Schaukastens klebt. Es ist ein Originalfoto von Anne Frank. Zeitgleich tauchen zwei Theaterstrahler die Szenerie in ein leichtes Licht. Es ist der Beginn des Stücks – noch bevor die Puppe Anne Frank zum ersten Mal in Erscheinung tritt.

Anne und Otto Frank als Puppen

"Das ist Anne Frank. Sie lebte von 1942 bis 1944 insgesamt 761 Tage versteckt mit sieben anderen Personen im Hinterhaus der Prinzengracht 263 in Amsterdam." Stefan Spitzer deutet auf das Foto und spricht zum Publikum. Dann übernimmt Inga Schmidt. Es folgen weitere Fotos, die das Puppenspielerduo auf die Türen des Schaukastens klebt. Unter anderem von Annes Vater Otto Frank, der im Stück als einziger neben Anne selbst auch mit einer Puppe dargestellt wird.

Ungewöhnliche Erzählung einer weltbekannten Geschichte

Schmidt und Spitzer erzählen auf beeindruckende wie ungewöhnliche Weise die Geschichte der Jüdin und beschränken sich dabei auf die Zeit im Amsterdamer Hinterhaus. Dorthin war die damals 13-Jährige mit ihrer Familie vor den Nationalsozialisten geflohen.

Schon vorher bekam sie von ihren Eltern ein Tagebuch geschenkt. Im Versteck entdeckte sie das Schreiben für sich. Am 4. August 1944 drangen Polizisten ins Hinterhaus ein. Helferinnen konnten einen Teil von Annes Aufzeichnungen vor den Nazis retten. Ihr Inhalt steht im Mittelpunkt der Darstellung, die auch für die Puppenspieler selbst eine ganze spezielle ist.

Puppenspieler: "Es ist Ehrfurcht im ersten Moment"

"Es ist Ehrfurcht im ersten Moment, wenn man die Puppen in die Hand bekommt", beschreibt Inga Schmidt. "Das macht ja auch emotional etwas mit einem, wenn man das spielt, und eben auch mit den Zuschauern. Deswegen ist das schon anders als andere Stücke." Ihr Duopartner Stefan Spitzer ergänzt: "Ja, da macht schon etwas mit einem. Und ihre Texte sind einfach unglaublich gut."

Seit 2019 haben die beiden das Stück in ihrem Repertoire. Eine Geschichte aus dem Nationalsozialismus für Jugendliche wollten sie damals machen, möglichst weiblich. Sehr schnell stand dann Anne Frank im Mittelpunkt – und damit auch eine Verantwortung.

Austausch mit Schülern

Schnell entschieden die Berliner auch pädagogisches Begleitmaterial erstellen zu lassen. Außerdem bieten sie nach den Vorstellungen ein Gespräch an. Auch an diesem Tag. Es sind unter anderem Schülerinnen und Schüler des Straubinger Anton-Bruckner-Gymnasiums zu Gast. Die Vorstellung hat sie nachhaltig beeindruckt. "Ich war überrascht, wie gut man das darstellen kann mit den Puppen und der Musik", sagt zum Beispiel Schülerin Shematale. "Was mit den Juden passiert ist, darf sich auf keinen Fall wiederholen."

Schüler wussten nicht, wer Hitler ist

Doch nicht immer sind die Reaktionen so reflektiert wie heute. "Wir hatten tatsächlich auch Vorstellungen, wo die Jugendlichen keine Ahnung hatten, wer Anne Frank ist. Die wussten nicht, wer Hitler ist. Die wussten gar nichts. Und da standen wir da und haben den Holocaust erklärt", erzählt Puppenspielerin Schmidt.

Doch negativ seien die Reaktion glücklicherweise noch nie gewesen. Davor hätte sie auch Angst, sagt die Berlinerin. Kollege Stefan Spitzer erinnert sich an emotionale Momente: "Wir hatten schon Leute, die wirklich auch angefangen haben zu weinen oder auch rausgehen mussten. Und das macht einen natürlich auch betroffen. Und für uns ist es immer so, wenn wir das gespielt haben, dass wir auch einen Moment brauchen, um es auch abzuschütteln."

Vorstellung einen Tag nach Beginn des russischen Angriffskriegs

Die Artisanen ordnen während des Stücks immer wieder den historischen Kontext ein. An einigen Stellen treten sie auf der dunklen Bühne einen Meter neben den Schaukasten, knipsen eine Stehlampe an und lesen Teile von Anne Franks Eintragungen aus einem Buch vor. Begleitet wird das Stück von eindringlicher Musik, Flieger- und Bombengeräuschen.

Sie hätten das Stück einen Tag nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gespielt, erzählen die Berliner. Allein das habe noch mal ein ganz anderes Gefühl für das Publikum und sie selbst erzeugt.

Geschichte aktueller denn je

Aber durch die Geschehnisse in Israel und dem Gaza-Streifen sei die Geschichte aktueller denn je. Ob sie es daher überhaupt irgendwann aus ihrem Repertoire nehmen könnten, wollen wir am Ende unseres Besuchs von den beiden Puppenspielern wissen. "Ich habe auch darüber nachgedacht. Ich glaube, das geht nicht. Das kann man nicht wegnehmen", überlegt Inga Schmidt. Stefan Spitzer stimmt ihr zu: "Das glaube ich auch. Das ist etwas, was bleiben wird."

Am Ende des Stücks ist die Bühne wieder ins Dunkle abgetaucht. Allein der Lichtkegel einer Taschenlampe erhellt das Bild von Anne Frank. Ein letztes Mal hört man die Stimme von Inga Schmidt. Sie liest aus Annes Tagebuch. "Ich werde nicht unbedeutend bleiben. Ich werde in der Welt und für die Menschen arbeiten. Ich will fortleben, auch nach meinem Tod." Dann erlischt das Licht.

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