Deutsche Ermittlungsbehörden führen zur Stunde eine großangelegte Durchsuchungsaktion in Wohn- und Geschäftsräumen des kremlnahen Oligarchen Alisher Usmanov durch. Die Staatsanwaltschaft München II hat dem BR auf Anfrage bestätigt, dass es eine Razzia gegen einen russischen Staatsbürger sowie vier weitere Beschuldigte gibt. Allein in Rottach-Egern am Tegernsee befinden sich drei Anwesen, die über verschachtelte Firmenkonstrukte Alisher Usmanov zugeschrieben werden. Insgesamt werden laut Staatsanwaltschaft 24 Objekte bundesweit durchsucht, 250 Beamte sind im Einsatz. Schwerpunkt ist Bayern.
Verdacht auf Steuerhinterziehung
Alisher Usmanov soll sich immer wieder und längere Zeit in Rottach-Egern aufgehalten haben. Damit – so heißt es aus Insiderkreisen – sei er verpflichtet gewesen, seine Einkünfte beim Finanzamt anzuzeigen, habe dies aber nicht getan und damit womöglich Steuern in Millionenhöhe hinterzogen.
Die Staatsanwaltschaft München II will das aus rechtlichen Gründen nicht bestätigen. Eine Sprecherin erklärte, es bestehe unter anderem der Anfangsverdacht eines Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Der Tatverdächtige habe vermutlich Immobilien in Oberbayern überwachen lassen und die Securityfirma aus eingefrorenen Geldern bezahlt.
Ein Milliardär mit vielen Gesichtern
Alisher Usmanov gilt als einer der reichsten Russen der Welt und – trotz mehrerer Dementis – als Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zu Reichtum kam der gebürtige Usbeke zunächst durch Plastiktüten und Zigaretten, später stieg er unter anderem in die Metallindustrie und Telekommunikation ein und investierte in Medien.
Usmanovs Name taucht unter anderem in den Panama Papers auf, demnach ist er Anteilseigner mehrerer Offshore-Firmen. Solche Firmenkonstrukte erschweren es dem Fiskus, fällige Steuern und Besitzverhältnisse bzw. wirtschaftliche Profiteure zu ermitteln.
Öffentlich bekannt ist unter anderem das inzwischen beendete Engagement Usmanovs beim Londoner Fußballklub FC Arsenal. Der Multimilliardär hielt rund 30 Prozent an dem Traditionsverein, die er 2018 für einen dreistelligen Millionenbetrag verkauft haben soll. Usmanov war allerdings nicht persönlich an dem Fußballklub beteiligt, die Anteile gehörten der Red & White Holding auf der britischen Insel Jersey, einer Steueroase.
Alisher Usmanov bezeichnet sich in Interviews als Philanthrop, also als Menschenfreund, und betont seine Spendenbereitschaft. Seit 2009 war er Präsident des Weltfechtverbands (FIE), kurz nach Verkündigung der EU-Sanktionen legte er das Amt nieder. In seinem Statement schrieb er damals: "Ich bin der Meinung, dass diese Entscheidung ungerecht ist und die Gründe, die zur Rechtfertigung der Sanktionen angeführt werden, eine Reihe von falschen und verleumderischen Behauptungen sind, die meine Ehre, meine Würde und meinen geschäftlichen Ruf schädigen."
Aktion steht in Zusammenhang mit Russland-Sanktionen der EU
Am 24. Februar 2022 griff Russland die Ukraine an. Die EU verurteilte dies umgehend, bereits vier Tage später sanktionierte der Rat der Europäischen Union etliche russische Firmen und Oligarchen, darunter auch Alisher Usmanov. Damit werden Vermögen in der EU eingefroren und die sanktionierten Personen können nicht mehr in der EU reisen. Als Gründe werden im Fall Usmanov die Nähe zum Kreml, insbesondere zum russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie ein ukraine-feindlicher Artikel in Usmanovs Zeitung Kommersant aufgeführt.
Unmittelbar nach dieser Entscheidung soll Usmanov Bayern verlassen haben. Der Multimilliardär will die Sanktionen nicht hinnehmen und hat rechtliche Schritte eingeleitet. Neben ihm haben drei weitere Oligarchen, Roman Abramovich, Mikhail Fridman und Petr Aven, Klagen beim Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg eingereicht. Laut EuG sind noch keine Termine festgesetzt.
Oligarchenparadies Deutschland?
Deutsche Behörden taten sich bisher beim Einfrieren von Oligarchenvermögen recht schwer. Seit Ende Mai aber gilt das Sanktionsdurchsetzungsgesetz I. Seitdem haben zuständige Bundes- und Landesbehörden mehr Kompetenzen, um etwa Vermögens- und Besitzverhältnisse aufzuklären und Gelder oder andere Besitztümer sicherzustellen. Darunter fallen auch Durchsuchungen.
Vor allem aber müssen russische Firmen und sanktionierte Oligarchen seit Ende Mai deutschen Behörden ihr Vermögen melden. Diese Auskunftspflicht ist strafbewehrt. Wer gegen sie verstößt, muss mit einer Geldstrafe, bis zu einem Jahr Haft und sogar dem Verlust des nicht angezeigten Vermögens rechnen. Trotzdem haben sanktionierte Personen nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz bis Anfang August keine Vermögenswerte angezeigt.
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