Männer arbeiten am Dach eines Neubaus
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(Symbolbild) Könnte die Verwendung von alten Bauteilen die Baubranche revolutionieren?

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Neue Häuser aus alten Bauteilen: Ist das die Zukunft?

Neue Häuser aus alten Bauteilen: Ist das die Zukunft?

Der Abriss von Gebäuden produziert tonnenweise Müll und CO₂. Doch Forschende zeigen: Alte Bauteile lassen sich wiederverwenden. Könnte das die Baubranche revolutionieren?

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Im Münchner Stadtteil Haidhausen entsteht derzeit ein außergewöhnliches Wohnhaus: Statt auf neue Baumaterialien zu setzen, versucht das Projektteam möglichst viele Bauteile wiederzuverwenden. Eingebaut werden soll zum Beispiel eine ganze Fassade, die zuvor in einem Bürogebäude in Darmstadt verbaut war.

Der Rückbau der Fassade sei aufwendig gewesen, aber ökologisch lohne er sich allemal, erklärt Architekt Johannes Daiberl, der die Planung des Projekts begleitet. Addiert man die CO₂-Äquivalente aller verbauten Materialien – das sind Holz, Aluminium, Isolierverglasung, Granitplatten, Mineralwolle und eine Markise – so kommt man auf circa 25 Tonnen CO₂. "Das entspricht in etwa dem CO₂-Ausstoß eines typischen Einfamilienhauses mit Gasheizung über sieben Jahre", so Daiberl.

Ein zweites Leben für Stahl und Holz

Der Bausektor verursacht rund 40 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen und gut die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland. "Wir sind der Elefant im Raum der Nachhaltigkeitsziele", sagt Prof. Philipp Dietsch vom Karlsruher Institut für Technologie. Er fordert ein Umdenken: "Wir recyceln Flaschen, wir kaufen in Papiertüten und nicht mehr in Plastiktüten, aber ein Gebäude wegzuwerfen ist gesellschaftlich noch akzeptiert".

Um nachhaltiger zu bauen, müssten Materialien möglichst lange im Kreislauf gehalten werden. Das Prinzip der Wiederverwendung steckt in der Baubranche allerdings noch in den Kinderschuhen. Bislang wird Holz aus alten Gebäuden oft verbrannt, während Stahl eingeschmolzen und neu geformt wird – energieintensive Prozesse. Eine direkte Wiederverwendung wäre deutlich nachhaltiger. Doch alte Bauteile in neuen Gebäuden zu verbauen, ist kompliziert.

Rechtliche Hürden

Aktuell scheitert die Wiederverwendung oft an rechtlichen Vorgaben. Sobald ein Bauteil aus einem Gebäude abgerissen wird, gilt es rechtlich als Abfall. Um es wieder regulär nutzen zu dürfen, ist viel Aufwand notwendig.

"Das Baurecht kennt die Wiederverwendung tragender Bauteile noch gar nicht", erklärt Dietsch. Wiederverwendete Bauteile müssen im Gegensatz zu neuen Bauteilen individuell geprüft werden. Eine standardisierte Zulassung oder ein einheitliches Prüfverfahren gibt es nicht. Um diesen Prozess zu erleichtern, hat Dietsch mit anderen Forschenden nun einen neuen Leitfaden entwickelt.

Der Leitfaden: So gelingt Wiederverwendung

Der Leitfaden bietet Architekten und Ingenieuren eine strukturierte Vorgehensweise, mit der sie tragende Bauteile erneut nutzbar machen können:

  1. Bestandsprüfung: Vor dem Abriss werden Baupläne gesichtet. Es wird geprüft, welche Bauteile sich für eine Wiederverwendung eignen und ob sie sicher demontiert werden können.
  2. Selektiver Rückbau: Bauteile werden gezielt und vorsichtig ausgebaut, anstatt sie beim Abriss zu zerstören.
  3. Technische Prüfung: Mechanische Tests stellen sicher, dass die Bauteile weiterhin tragfähig sind.
  4. Aufbereitung: Die Bauteile werden gegebenenfalls gereinigt, repariert und nachbearbeitet.
  5. Wiederverwendung: Nach erfolgreicher Prüfung erfolgt der Wiedereinbau in neuen Gebäuden.

Kann das Münchner Projekt Schule machen?

Zurück zum Pilotprojekt im Münchner Stadtteil Haidhausen. Die Fertigstellung des Wohnhauses ist für kommendes Jahr angesetzt. Für Architekt Daiberl zeigt das Projekt aber auch: Noch ist diese Art des Bauens zu aufwendig und teuer, um wettbewerbsfähig zu sein. Neben rechtlichen Anpassungen bräuchte es deutlich mehr Bauteilbörsen für gebrauchte Bauteile – in der Schweiz ist dieses Konzept schon etablierter.

Um eine Infrastruktur für Wiederverwendung ins Rollen zu bringen, fordert Daiberl eine stärkere Subventionierung des zirkulären Bauens. Auf einen Antrag von Daiberl und anderen hin, führte die Stadt München Ende 2024 eine neue Förderrichtlinie für zirkuläres Bauen ein. Sogar eine städtische Bauteilbörse ist in Planung. München ist damit bislang aber eine Ausnahme.

Auch Prof. Dietsch wünscht sich mehr Förderung. Eine hilfreiche Maßnahme wäre Dietsch zufolge zudem die Errichtung einer Art "Infodienst-Re-Use". An diesen könnten sich Interessierte wenden, um sich von Fachleuten beraten zu lassen. So ließen sich erste Unsicherheiten rund um die noch ungewohnte Bauweise frühzeitig abbauen.

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