Im Lauf der kommenden Woche soll die Impf-Priorisierung bei den Hausärzten in Bayern aufgehoben werden. Das heißt, die Mediziner können dann selber entscheiden, in welcher Reihenfolge sie die Patienten gegen Covid-19 impfen. Die Neuregelung gilt für alle Corona-Impfstoffe, also auch den von Biontech/Pfizer.
Impfstoff-Freigabe: Kritik von mehreren Seiten
Die Deutsche Gesellschaft für Immunologie warnte, die rasche Aufhebung der Impfpriorisierung sei eine Gefahr für viele Menschen aus Risikogruppen. "Wenn wir jetzt zu schnell freigeben, schützen wir nicht gut und früh genug die Menschen, die den Schutz am nötigsten haben", sagte der Generalsekretär Carsten Watzl der "Augsburger Allgemeinen". Es gebe noch sehr viele nicht geimpfte Menschen in der Prioritätsgruppe drei, darunter viele mit Vorerkrankungen. "Diese Risikogruppen und Menschen im Alter zwischen 60 und 70 Jahren haben schon sehr lange gewartet, bis sie endlich drankommen", betonte Watzl.
Skeptisch zeigt sich auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz: Solange es nicht genügend Impfstoff gebe, setze die Politik mit einer solchen Entscheidung einen "Spaltpilz" in die Gesellschaft, sagte Vorstand Eugen Brysch. "Nicht die Priorisierung ist der Hemmschuh beim Impffortschritt, sondern einzig der Mangel an Impfstoff." Die Entscheidung in Bayern sei ein Beispiel, "wie man sowohl den Impfdruck auf Ärzte erhöhen kann" als auch Frust in der Gesellschaft schaffe.
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CSU-Landrat spricht von politischem Fehler
Die SPD-Landtagsabgeordnete Ruth Waldmann kritisierte ebenfalls die vorzeitige Aufhebung. Es gebe "keinen Grund für einen Sonderweg", da Bayern längst nicht Spitze bei der Durchimpfung sei, sagte sie. Die völlige Freigabe, während noch nicht alle Risikogruppen erstgeimpft sind, sei "verantwortungslos".
Der Landsberger Landrat Thomas Eichinger (CSU) nannte die Aufhebung der Priorisierung einen "politischen Fehler". Lasse man Hausärzten freie Hand bei der Auswahl der Personen, führe das möglicherweise dazu, dass Personen aus vulnerablen Gruppen länger auf eine Impfung warten müssten und stattdessen Freunde, Familie oder Nachbarn des Arztes oder der Ärztin eine Impfung erhielten.
Hausärzteverband begrüßt Freigabe - Warnung vor "Impfchaos"
Der Bayerische Hausärzteverband begrüßte dagegen die angekündigte Aufhebung der Priorisierung für alle Corona-Impfstoffe in den Arztpraxen grundsätzlich. "Wir stehen für Pragmatismus", sagte der Landesvorsitzende Markus Beier dem BR. Man erlebe in den Praxen eine wachsende Ungeduld der Patienten, außerdem gebe es hohen Abstimmungsbedarf mit den Impfzentren.
Auch Petra Reis-Berkowic vom Hausärzteverband betonte bei Bayern 2, sie erwarte, dass sich nun das Impftempo beschleunige. Voraussetzung müsse aber sein, dass es genügend Impfstoffe gebe: "Das haben wir nach wie vor nicht", sagte sie. "Wir bestellen nach Höchstmengen, bekommen dann aber am Donnerstag mitgeteilt, dass aber nur zwei Drittel oder die Hälfte geliefert wird." Dann beginne das "Impfchaos".
Auch Baden-Württemberg hebt Impf-Priorisierung auf
Neben Bayern hatte auch Baden-Württemberg die Aufhebung der Impfpriorisierung in Hausarztpraxen für die kommende Woche angekündigt. Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen lehnen die Entpriorisierung mit Blick auf Millionen bisher nicht geimpfte Angehörige der Risikogruppen zum jetzigen Zeitpunkt ab.
Das Bundesgesundheitsministerium verwies auf den nach wie vor knappen Impfstoff und reagierte ebenfalls skeptisch. Man werde den mit den Ländern vereinbarten Zuteilungsschlüssel auf Impfzentren und Arztpraxen nicht verändern, hieß es.
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Reihenfolge in Impfzentren bleibt
Bislang sind lediglich die Impfstoffe von Astrazeneca und Johnson & Johnson unabhängig von der Priorisierung freigegeben. Für die anderen Impfstoffe wie Biontech/Pfizer und Moderna hatte dies der Bund für Juni in Aussicht gestellt - Ministerpräsident Markus Söder setzt nun die Ankündigung, dass Bayern schneller vorangehe, in die Tat um. Die Ärzte brauchten aber noch etwas Zeit, sich vorzubereiten - deshalb erfolge die Freigabe erst im Laufe der nächsten Woche. Das Vorgehen sei durch die Impf-Verordnung des Bundes gedeckt. In den Impfzentren soll es laut Söder aber bei dem bisherigen Verfahren mit Priorisierungen anhand von Vorerkrankungen und Berufsgruppen bleiben.
Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte zur Aufhebung der Priorisierung in Bayern: "Die Ärzte kennen ihre Patienten und können am besten einschätzen, wer die Corona-Schutzimpfung am dringendsten braucht. Diese Entscheidung sorgt für eine noch flexiblere und raschere Verimpfung der vorhandenen Impfstoffe." Holetschek bat aber "um Verständnis, dass in den Praxen zunächst anstehende Zweitimpfungen durchgeführt werden müssen und dass die Umsetzung der neuen Strategie auch in den Praxen noch etwas Vorlauf braucht". Impfstoff sei zudem immer noch ein sehr knappes Gut – auch wenn in den kommenden Wochen steigende Mengen für die Praxen vom Bund angekündigt worden seien.
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