Wie afghanische Ortskräfte in Unterfranken ankommen
Bildrechte: BR
Videobeitrag

Wie afghanische Ortskräfte in Unterfranken ankommen

Bildbeitrag
>

Wie afghanische Ortskräfte in Unterfranken ankommen

Wie afghanische Ortskräfte in Unterfranken ankommen

Vor drei Monaten kamen die ersten Ortskräfte der Bundeswehr aus Afghanistan nach Unterfranken. Gefährdet durch die Machtübernahme der Taliban konnten mittlerweile 93 dieser Menschen hier Schutz finden. Wie geht es ihnen heute?

Über dieses Thema berichtet: regionalZeit - Franken am .

"Übergangswohnheim der Regierung von Unterfranken" heißt es auf einem Schild neben dem Hauseingang. Die Briefkästen durchnummeriert von 1 bis 6. Hier in dem kleinen Ort im Landkreis Schweinfurt leben seit drei Monaten auch zwei Ortskräfte mit ihren Familien aus Afghanistan. Einer von ihnen ist Bismillah – den Familiennamen nennen wir aus Sicherheitsgründen nicht. Er hat 14 Jahre lang für die Bundeswehr in Masar-e Scharif gearbeitet. Ende Juli sind er, seine Frau und seine Kinder evakuiert worden.

Leben in Sicherheit – Sohn musste in Afghanistan bleiben

"Wir sind hergekommen, weil wir hier sicher sind. In Afghanistan sind viele terroristische Gruppen auf dem Vormarsch. Deswegen mussten wir herkommen, um unser Leben zu retten. Aber unser ältester Sohn musste dort bleiben und ist jetzt in Gefahr", sagt Bismillah. Der älteste Sohn ist volljährig und durfte deshalb nicht mit ausreisen. Für die Familie emotional extrem belastend. Immer wieder müssen er und seine Frau Monisa die Tränen zurückhalten.

Hintergrund: Bundeswehr-Abzug aus Afghanistan

Nach der Machtübernahme in Afghanistan durch die Taliban nimmt Deutschland ehemalige Ortskräfte und andere Schutzbedürftige auf. Die Bundesregierung hat zugesagt, Ortskräfte aus Afghanistan aufzunehmen, die seit 2013 für deutsche Behörden gearbeitet haben. Sie und andere Schutzbedürftige können ihre Familie (Ehepartnerin oder Ehepartner und eigene, minderjährige Kinder) mitbringen. Auch ein späterer Familiennachzug ist möglich. Dafür müssen aber Einkommen, Wohnung und zum Teil Sprachkenntnisse nachgewiesen werden.

18-jährige Tochter alleine in Afghanistan

Auch die Nachbarsfamilie im Wohnheim musste ihre Heimat ohne die älteste Tochter verlassen, sagt Mutter Zahra: "Als wir erfahren haben, dass wir nach Deutschland dürfen, hat meine Tochter geweint. Sie hat gefragt, warum sie alleine zurückbleiben muss – was soll sie denn jetzt machen? Jetzt warte ich auf meine Tochter und hoffe, dass sie auch kommen darf. Ich sorge mich sehr um sie."

Patenschaftsnetzwerk befürchtet Rache-Aktionen der Taliban

Nicht ohne Grund, weiß Alexander Fröhlich vom Patenschaftsnetzwerk afghanischer Ortkräfte. Die Organisation agiert deutschlandweit und unterstützt die Ortskräfte überall im Land unter anderem bei Behördengängen. "Da ist große Unsicherheit. Die Leute wissen nicht, was wird aus ihnen in Deutschland. Und sie ängstigen sich zugleich um Familienangehörige, die sie in Afghanistan zurücklassen mussten. Sie fürchten sich zurecht, dass die Taliban an den Angehörigen stellvertretend Rache nehmen werden."

Regierung nur für Unterbringung zuständig – Wohlfahrtsverbände für Integration

Auf Nachfrage erklärt die Regierung von Unterfranken sie sei lediglich für die Unterbringung zuständig. Für alles Weitere die Wohlfahrtsverbände in Bayern als Träger der Flüchtlings- und Integrationsberatung – vorausgesetzt sie wissen von der Ankunft der Ortskräfte. Sozialpädagogin Petra Langer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Unterfranken betreut in Schweinfurt unter anderem die beiden Familien von Bismillah und Ali Mohammad. Einige Familien kamen schon Anfang Juli – die Mitteilung des Bayerischen Innenministeriums über deren Ankunft kam aber erst jetzt: "Ich habe am 13. September eine Mail bekommen, dass afghanische Ortskräfte in die von uns betreuten Unterkünfte zugeteilt worden sind – das ist zweieinhalb Monate zu spät!"

Personell und zeitlich sei die Beratung ohnehin schon kaum leistbar. Um zusätzlich so kurzfristig ein vernünftiges Beratungsangebot für die Familien zu gewährleisten, hagelt es oft Überstunden. "Ohne uns wären die Familien im Übergangswohnheim aber ohne jegliche Unterstützung."

Wohlfahrtsverbände: Zeitnot und Personalmangel

Denn es gibt viel zu tun: Bei der Krankenkasse anmelden, Konto eröffnen für das Geld vom Jobcenter, die Kinder zur Schule und im Kindergarten anmelden – die To-Do-Liste für die Sozialpädagoginnen ist bei allen Neuankömmlingen lang - manchmal gehen Wochen ins Land, sagt Langer. "Die Zeit reicht nie aus. Und am Ende sind das halt verpasste Integrationschancen."

Betreuung der Ankommenden nicht ausreichend

Eine frustrierende Situation, die auch das Patenschaftsnetzwerk afghanischer Ortskräfte scharf kritisiert: "Von großen Plänen kann man leider nicht sprechen. Die bekommen ihre Aufenthaltserlaubnis und Hartz4, kriegen dann vielleicht einen Integrationskurs – das war's. Weitere Unterstützung zur Integration ist regierungsseits nicht vorgesehen. Die sind dann auf sich gestellt."

Patenschaftsnetzwerk: Bundeswehr müsste sich um Ortskräfte kümmern

Der Sozialarbeiter sieht die Bundeswehr in der Verantwortung, sich jetzt um die Ortskräfte zu kümmern. "Diese Mitarbeiter haben die Einsätze der Bundeswehr und Bundespolizei und anderer Regierungsorganisationen in Afghanistan erst ermöglicht", so Fröhlich. Bismillah etwa war als Sicherheitskraft für die Bundeswehr in Masar-e Scharif tätig. Ali Mohammad, Zahras Mann, als Bauarbeiter.

Rückkehr keine Option für viele

Dabei hätte die Regierung den Hilfe-Bedarf der Ortskräfte kommen sehen müssen, sagt er. Nach echter Perspektive für diese Menschen klingt das nicht – doch die beiden Familien im Landkreis Schweinfurt sind unendlich dankbar, dass sie hier in Sicherheit leben können. Zurück nach Afghanistan ist für sie auch keine Option, sagt Mutter Zahra: "Afghanistan ist gefährlich geworden, niemand ist dort mehr sicher. Das Land, so wie ich es kenne, gibt es nicht mehr."

Rechtliche Grundlage: Aufenthaltsgesetz nach Paragraph 22

Die Ortskräfte aus Afghanistan und ihre Angehörigen bekommen eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz und sind damit keine Asylbewerber. Als Migrantinnen und Migranten bezeichnet man im Völkerrecht Menschen, die ihre Heimat freiwillig verlassen. Flüchtlinge fliehen dagegen aus einer Notsituation - wie etwa die drohende Verfolgung durch die Taliban in Afghanistan.

Wer eine Aufenthaltserlaubnis hat, darf uneingeschränkt in Deutschland arbeiten. Arbeitsagentur und Jobcenter helfen bei Arbeitssuche und Kursen zur Qualifizierung. Ausbildung und Studium sind ebenfalls möglich. Abschlüsse von Schulen und Universitäten können unter bestimmten Bedingungen anerkannt werden.

Zwei Ortkräfte und ihre Familien aus Afghanistan sind derzeit in einem Übergangswohnheim in Unterfranken untergebracht.
Bildrechte: BR/Carolin Hasenauer
Bildbeitrag

Zwei Ortkräfte und ihre Familien aus Afghanistan sitzen an einem gedeckten Tisch.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!