Als der Oberste Gerichtshof Ende Juni das bis dahin US-weit geltende Grundrecht auf Abtreibung abschaffte, war Monica Eberhart gerade wieder schwanger geworden. Nur wusste die 23-Jährige aus Dayton, Ohio, es noch nicht. Als sie die Schwangerschaft bemerkte, war es für einen legalen Abbruch in ihrem Bundesstaat schon zu spät.
In Ohio sind Abtreibungen seit dem Urteil ab der 6. Schwangerschaftswoche verboten. Aber das Kind bekommen, war für die Afro-Amerikanerin, die schon zwei kleine Kinder hat, keine Option, erzählt Monica der Associated Press: "Ich kann mir absolut kein weiteres Kind leisten - weder finanziell, noch mental."
Zum Schwangerschaftsabbruch in einen anderen Bundesstaat
Also fuhr Monica Anfang August knapp zwei Stunden in eine Abtreibungsklinik im Nachbarstaat Indiana. Dort sind Abtreibungen momentan noch bis zur 20. Woche erlaubt. Monica ist kein Einzelfall.
Seit Ende Juni habe sich die Zahl der Patientinnen allein in ihrer Klinik verdoppelt, sagt ihre Ärztin Katie McHugh der Associated Press. Ihr Eindruck, unter den Frauen herrsche "ein Gefühl der Verzweiflung" gemischt mit Erleichterung, weil sie es gerade noch geschafft haben.
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Konservative Staaten erlassen Abtreibungsverbote
Mit dem Supreme-Court-Urteil ist es Sache der Bundesstaaten, das Thema Abtreibungen zu regeln. In einigen, wie New York und Kalifornien, sind sie weiter erlaubt, bis das Kind außerhalb des Mutterleibs lebensfähig ist, in der Regel in der 22. Woche. In einem Dutzend Bundesstaaten, vor allem den republikanisch-regierten, sind Abtreibungen jetzt fast komplett verboten, ein weiteres Dutzend plant Verschärfungen.
In Wisconsin beispielsweise sind Abbrüche ab dem Moment der Empfängnis illegal. Ausnahmen gibt es nur, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist. Alison Linton, Gynäkologin aus Milwaukee erklärt im New York Times-Interview, was das für ihre Patientinnen bedeutet:
"Wir hatten neulich eine Patientin, deren Fötus an einer Anenzephalie litt. Das heißt, die Schädeldecke hat sich nicht entwickelt. Das ist eine tödliche Diagnose, das Kind hat keine Überlebenschance. Früher hätten wir die Abtreibung hier durchführen können. Jetzt mussten wir sie in einen Nachbarstaat schicken." Alison Linton, Gynäkologin aus Milwaukee
Dazu kommt: Ärzte, die Abtreibungen durchführen, riskieren hohe Gefängnis- und Geldstrafen. Die Frauen selbst können allerdings nicht strafrechtlich verfolgt werden.
Zwischen Abtreibungstourismus und Lebensschutz
Aber gibt es wegen der Verbote jetzt tatsächlich weniger Abtreibungen? -- Abtreibungsgegner, wie die einflussreiche Lobby-Gruppe "Susan B. Anthony List" behaupten: Ja. In Texas beispielsweise sei die Zahl der Abbrüche schon vergangenes Jahr um fast die Hälfte zurückgegangen. Aber nicht mal alle Abtreibungsgegner sind davon überzeugt, dass Verbote Abbrüche verhindern. Aubrey Schlackman beispielsweise betreibt nördlich von Dallas die "Blue Haven Ranch": Die streng gläubige Evangelikale unterstützt alleinerziehende Mütter, die schon mehrere Kinder haben, und nun ungewollt wieder schwanger sind. Schlackmans Organisation finanziert den Frauen den Lebensunterhalt und eine Ausbildung, bis die Babys ein Jahr alt sind. Im Gegenzug müssen die Frauen beispielsweise an Bibelstunden teilnehmen.
Sie hätte eigentlich erwartet, dass sich durch das inzwischen komplette Abtreibungsverbot in Texas - ab dem Moment der Empfängnis - viel mehr Frauen an sie wenden, erzählt Aubrey im Video-Interview. Aber das sei nicht passiert. Vermutlich würden viele jetzt für den Abbruch eben in den Nachbarstaat reisen. Möglich sei das, weil New Mexico noch Abtreibungen erlaube.
Mehrheit der Amerikaner gegen ein Verbot
Aubrey, die ihre Arbeit für schwangere Mütter als göttlichen Auftrag versteht, will ungern politisch Position beziehen. "Für mich ist jedes Leben heilig", sagt sie beispielsweise, wenn es um Ausnahmen vom Abtreibungsverbot für die Opfer von Vergewaltigungen oder Inzest geht.
Aber Aubrey weiß auch, dass sie mit dieser Haltung eine extreme Minderheiten-Meinung vertritt: Laut Umfragen finden die meisten Amerikaner, dass Abbrüche grundsätzlich legal sein sollten. Und selbst in einigen sehr konservativ geprägten Bundesstaaten regt sich Widerstand: in Kansas beispielsweise stimmten über 60 Prozent der Wähler im August gegen ein geplantes Abtreibungsverbot.
Politisches Tauziehen: Republikaner contra Demokraten
In der Politik aber wird kaum ein Thema in den USA so ideologisch diskutiert. Ein Kompromiss scheint unmöglich. Erst diese Woche brachte der republikanische Senator Lindsay Graham ein Abtreibungsgesetz ein, das Abbrüche nach der 15. Woche landesweit verbieten würde. Striktere Landesgesetze könnten weiter gelten, liberalere müssten eingeschränkt werden, so der Entwurf.
Eine Mehrheit dafür gibt es nicht. Genauso wenig wie für den Vorschlag der Demokraten: Die wollen das vor dem höchstrichterlichen Urteil geltende Grundrecht auf Abtreibung jetzt per Gesetz fürs ganze Land wiederherstellen.
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