Die Corona-Pandemie hat die Niederlande hart getroffen. In Amsterdam liegt die Inzidenz bei 197 positiv Getesteten pro 100.000 Einwohner. Landesweit haben sich bislang rund 1,15 Millionen Menschen infiziert, derzeit werden etwa 6.000 Neuinfektionen pro Tag gemeldet (Stand: 14. März 2021). Gefeiert wird trotzdem, fast wie früher – und dennoch ganz anders: zu wissenschaftlichen Zwecken.
Corona: Wie können Live-Events sicher durchgeführt werden?
Hinter dem Projekt steckt die Initiative Fieldlab-Events, an der sich das niederländische Gesundheitsministerium, mehrere wissenschaftliche Einrichtungen und Teile der Veranstaltungsbrache beteiligen. Die wissenschaftliche Aufsicht übernimmt der niederländische Chef-Epidemiologe Andreas Voss. Gemeinsam wollen sie in der größten europäischen Feldstudie herausfinden, ob und wie Live-Veranstaltungen mit Publikum unter Corona-Bedingungen sicher durchgeführt werden können.
Was könnte trotz Corona bald möglich sein: Konzerte, Theater, Fußball, vielleicht auch Festivals? Oder ist die Gefahr zu groß, dass tanzende und singende Menschenmassen zu Superspreader-Events werden?
Jeder Konzertbesucher kommt in eine feste Bubble
Zum Live-Konzert im Ziggo Dome von Amsterdam dürfen dieses Mal nur 1.300 Menschen kommen. Alle Gäste brauchen am Eingang einen negativen Corona-Test. Zwölf werden positiv getestet und in Quarantäne geschickt. Alle anderen bekommen einen Sensor um den Hals gehängt. Damit wollen die Wissenschaftler am Ende all ihre Bewegungen und Kontakte in der Halle nachverfolgen und analysieren.
"Das Leben ist nicht frei von Risikos. Ich kann nicht sagen, es ist null Risiko. Wir haben unser Bestes probiert, um es so niedrig wie möglich zu kriegen. Alle Teilnehmer hier sind in den letzten 48 Stunden mit einem PCR getestet." Andreas Voss, Chef-Epidemiologe, Radboud-Universität Nijmegen
Zudem werden die Konzertbesucher in feste Grüppchen eingeteilt, sogenannte "Bubbles", die sie nicht verlassen dürfen. Einige müssen auf der Tribüne auf festen Sitzplätzen bleiben, andere dürfen mitten ins Getümmel, und wieder andere dürfen zwar tanzen, aber nur an einem festgelegten Punkt. Jede Gruppe hat ihre eigenen Toiletten, ihre eigene Bar, ihren eigenen Eingang.
Eigene Toilette und eigene Bar für jede Gruppe
In jeder Bubble gelten unterschiedlich strenge Corona-Regeln. Die einen müssen ihre Maske etwa nur zum Bierholen tragen, andere auch zum Tanzen. Alles hat seinen Sinn: Zum Beispiel wollen die Forscher bei Schwarzlicht dokumentieren, wie weit und wohin sich Aerosole und gegebenenfalls Viren verteilen.
"Wir haben Gruppen mit und ohne Mundschutz und mit Gesichts-Visier – um zu vergleichen, wie weit Tröpfchen fliegen und was sie aufhält. Mundmasken sind hier sehr effektiv." Rudolf Verdaasdonk, Spuckforscher, Universität Twente
Menschen begegnen sich, lachen, prosten sich zu
Dann geht es los: Hauptact ist der Sänger André Hazes jr. Der 27-Jährige ist ein Star in den Niederlanden. Doch die Musikrichtung ist an diesem Märzabend ohnehin zweitrangig. Nach langem Lockdown und nächtlichen Ausgangssperren sehnen sich alle Gäste danach, einfach wieder ein Konzert zu erleben.
Die Stimmung ist ausgelassen, Menschen begegnen sich, lachen, prosten sich zu und lernen sich kennen. Sie schließen die Augen und lassen sich von einem Gruppengefühl aus alten Tagen treiben, das sie fast schon vergessen hatten.
"Es ist herrlich – das Warten hat ein Ende! Als hätten wir nie aufgehört zu tanzen!" Konzertbesucherin Zola Schram
Problem: Der Alkohol und die Corona-Regeln
Das Problem dabei: Nach ein paar Bier nehmen es einige mit den Regeln nicht mehr so genau. Zwischen Live-Musik und Lichteffekten entwickelt sich in der Euphorie eine Eigendynamik, die Grenzen des Erlaubten und Verbotenen verschwimmen, ein paar Leute beginnen eine Polonaise mit der Nachbar-Bubble. Das ist zwar nicht erlaubt, aber gut für die Untersuchung.
"Wir zeichnen auf, wie oft die Besucher sich begegnen, wie lange und in welcher Entfernung. So bilden wir die Gruppendynamik ab. Das ist wichtig, weil im Moment alle Regeln und Entscheidungen nach Gefühl getroffen werden und wir dann endlich eine Datenbasis haben." Iris Kamphorst, Bewegungsforscherin, Fachhochschule Breda
Fazit: Großveranstaltungen mit Bubbles und Tests möglich
Das Fazit für Konzertbesucher und Veranstalter: Die Menschen sehnen sich nach solchen Events und brauchen diese Freiheit, das kurzzeitige Abtauchen aus dem Alltag, um ihre Sorgen zu vergessen. Aber es fällt ihnen schwer, bei all dem Spaß an die Regeln zu denken, um die Corona-Pandemie unter Kontrolle zu halten.
Die genaue Auswertung aller Faktoren wird dauern. Aber erste Erkenntnisse haben Forscher Andreas Voss hoffnungsfroh gestimmt: Die allermeisten Konzertbesucher sind in ihren Gruppen geblieben, es gab keine Vermischung. Nur eine Bubble hat sich nicht komplett an die Regeln gehalten.
"Wir wissen auch, was der Grund für das Leck war und was wir für zukünftige Events da machen müssen, um das zu verhindern." Andreas Voss, Chef-Epidemiologe, Radboud-Universität Nijmegen
Voss ist zuversichtlich, dass Großveranstaltungen bald möglich sind. Die Voraussetzung dafür: Grüppchenbildung und engmaschige Tests.
Wissenschaftlicher Test: Live-Konzert von Tim Bendzko
Auch in Deutschland gab es ähnliche Versuche, das Verhalten von Konzertgästen zu untersuchen. Vergangenen Sommer trat der Sänger Tim Bendzko vor Publikum in Leipzig auf. Die Regeln waren dabei deutlich strenger als nun in Amsterdam.
Das Ergebnis der Uni Halle-Wittenberg damals: Wenn Abstands- und Hygiene-Regeln eingehalten werden, treiben Live-Events mit begrenzter Zuschauerzahl das Infektionsgeschehen auch bei einer Inzidenz von 50 kaum voran. Entscheidend sei, dass die Luft im Raum gut zu- und abgeleitet werde.
- Die Ergebnisse der Studie
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