Wendy Sherman, Vizeaußenministerin der USA, und Sergej Rjabkow, Vizeaußenminister von Russland, stehen bei einem bilateralen Treffen zwischen Russland und den USA nebeneinander.
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Wendy Sherman, Vizeaußenministerin der USA, und Sergej Rjabkow, Vizeaußenminister von Russland, bei einem bilateralen Treffen am 10.1.21.

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Ukraine-Konflikt: Die Positionen von USA, Nato und Russland

Ukraine-Konflikt: Die Positionen von USA, Nato und Russland

USA und Russland haben beim Auftakt der Beratungen über die Sicherheitslage in Osteuropa Hoffnungen auf eine rasche Lösung des Konflikts gedämpft. Beide Seiten beharren auf ihren Standpunkten. Doch wie sind die Positionen? Ein Hintergrundbericht.

Zu Beginn der Beratungen über die Sicherheitslage in Osteuropa sind beide Seiten auf ihren bisherigen Standpunkten geblieben: Nato-Vertreter werfen dem Kreml vor, die Spannungen zu schüren und verlangen von Moskau, russische Truppen von der Grenze zu Ukraine abzuziehen. Der russische Verhandlungsführer, Vizeaußenminister Sergej Rjabkow, betont unterdessen, dass sich die amerikanische Seite auf Kompromisse einstellen müsse. Moskau jedenfalls würde von seiner bisherigen Position keinesfalls abrücken.

Putin: "Angst vor russischer Invasion unbegründet"

Russland hat nach westlichen Schätzungen mindestens etwa 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen, was zu wachsenden Sorgen vor einer Invasion geführt hat. Der russische Präsident versucht dennoch seit Wochen zu beschwichtigen. Invasionsbefürchtungen in der Ukraine – so Wladimir Putin – seien vollkommen unbegründet. Russland habe keine Absicht in das Nachbarland einzumarschieren.

Gleichwohl bestreitet der Kreml keineswegs, große Truppenverbände entlang der ukrainischen Grenze stationiert zu haben. Das sei auch vollkommen normal, heißt es in Moskau. Schließlich könnte man auf eigenem Territorium überall so viele Soldaten aufstellen, wie es nach Ansicht der Armeeführung als erforderlich erscheine. Mit dieser Maßnahme, lautet die Argumentation des Kremls, reagiere Russland lediglich auf die seit Jahren zunehmende Präsenz der Nato in Osteuropa. Abgesehen davon – so der Vorwurf in Moskau - würde die Ukraine eine Offensive zur Rückeroberung der von prorussischen Separatisten kontrollierten ostukrainischen Gebiete vorbereiten. Was wiederum die russischstämmige Minderheit in der Donbass-Region gefährden könnte.

Die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba beschwört derweil das westliche Militärbündnis, ja keine Zugeständnisse an Moskau zu machen. Der Kalte Krieg, schreibt Kuleba auf Twitter, sei vorbei, der Krieg der Einflusssphären ebenfalls. Eine aus ukrainischer Sicht nachvollziehbare Argumentation. Angesichts der seit 2014 im Osten der Ukraine anhaltenden Konfliktlage ist die Realität indes eine etwas andere.

De facto begann der russisch-ukrainische Disput kurz nach der sogenannten Maidan-Revolution, in deren Folge in Kiew der moskautreue ukrainische Präsident Janukowitsch gestürzt wurde. Kurz darauf, Ende Februar 2014, erschienen Soldaten ohne Hoheitsabzeichen auf der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim. Sie behaupteten, die Rechte der russischstämmigen Bevölkerung auf der Krim beschützen zu wollen. Anschließend besetzten die Soldaten strategisch wichtige Punkte, darunter das Regionalparlament, und setzten eine neue Regionalregierung ein. Der russische Präsident Putin leugnete zwar zu Beginn eine Beteiligung eigener Soldaten an der völkerrechtswidrigen Annexion. Monate später gab er dann aber doch öffentlich zu, dass es sich bei der Invasion der Krim um russische Spezialeinheiten gehandelt hatte.

Der Kampf um Einfluss im Donbass

Im April 2014 wurde in der Ostukraine von prorussischen Separatisten die sogenannte Volksrepublik Donezk ausgerufen. Nach ähnlichem Muster wurde wenig später auch die sogenannte Volksrepublik Luhansk gegründet. Nach Überzeugung der ukrainischen Regierung waren an der Abspaltung der Donbass-Region von der Ukraine maßgeblich sowohl ehemalige als auch aktive Mitglieder des russischen Militärgeheimdienstes GRU unmittelbar beteiligt.

Ab August 2014, so der Vorwurf in Kiew, habe Russland zudem auch reguläre Streitkräfte im Osten der Ukraine eingesetzt. Seitdem reißen die Auseinandersetzungen zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Streitkräften nicht mehr ab. Insbesondere in der Grenzregion zu Russland im südöstlichen Donbass kommt es nach wie vor zu blutigen Kämpfen. Und das trotz des unter anderem auf Initiative Deutschlands im belarussischen Minsk vor Jahren bereits mehrfach vereinbarten Waffenstillstands.

UN-Schätzungen zufolge sollen mehr als 14.000 Menschen, darunter sehr viele Zivilisten, in dem seit rund acht Jahren andauernden Konflikt getötet worden sein. Nachdem Russland äußerst starke Truppenverbände entlang der Grenze zur Ukraine stationiert hat, wächst nun sowohl in Kiew als auch bei der Nato die Befürchtung, dass Moskau jetzt ganz offen in den Konflikt zugunsten der prorussischen Separatisten eingreifen könnte. Was wiederum nicht nur einen Krieg mit der Ukraine, sondern auch zu einer gewaltigen Eskalation der ohnehin angespannten Lage zwischen Russland und dem Westen führen würde.

Potentielle Nato-Erweiterung als Bedrohung

Der Streit zwischen Nato und Russland ist nicht neu. Im Grunde genommen schwelt der Konflikt seit mittlerweile mehr als 14 Jahren. Bereits 2008 gab es eine Zusage der westlichen Militärallianz, dass die Ukraine und Georgien dem Bündnis grundsätzlich beitreten könnten. Eine Haltung, die in Moskau seit jeher als Bedrohung empfunden wird. Auch wenn es bis dato eigentlich keinen konkreten Plan zur Umsetzung einer dementsprechenden Nato-Erweiterung gibt. Ja, mehr noch: Mit der offiziellen Anerkennung der staatlichen Unabhängigkeit der von Georgien gewaltsam abgespaltenen Regionen Abchasiens und Südossetiens durch Russland hat Moskau im August 2008 einen bis heute ungelösten Grenzkonflikt im Kaukasus zementiert.

Ähnlich die Lage auch in der Ukraine. Hier hat Putin mit der Besetzung der Krim im März 2014 ebenfalls Fakten geschaffen. Solange nun in Georgien und in der Ukraine ungelöste Grenzkonflikte herrschen, können beide Staaten de facto – zumindest derzeit - nicht in die Nato aufgenommen werden. Zumal die Grundvoraussetzungen für die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten in die Nato lauten: Beitreten können nur Staaten, die keine ungelösten Konflikte in die Allianz einbringen, in denen Demokratie und Marktwirtschaft fest verankert sind und die in der Lage seien, einen angemessenen Teil der gemeinsamen Kosten zu tragen.

Vieles eine Frage der Perspektive

Derzeit gelten weder die Ukraine noch Georgien als baldige Aufnahmekandidaten. Aber die Nato besteht darauf, dass die Tür der Allianz beitrittswilligen Staaten jederzeit offen stehen muss. Die Allianz werde das Recht auf Selbstbestimmung der Staaten Europas nicht antasten, betont Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Damit wird Moskau klar gemacht, dass über den Ausschluss einer Mitgliedschaft der Ukraine, Georgiens und anderer Länder nicht verhandelt werden kann.

Präsident Putin hat seinerseits wiederholt die Möglichkeit eines Nato-Beitritts der Ukraine und die Stationierung von Nato-Waffen dort als "rote Linie" für Moskau bezeichnet. Der Kreml verlangt, dass die USA und ihre Verbündeten eine Erweiterung der Nato mit der Ukraine, Georgien und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken verbindlich ausschließen. Zudem soll sich die Nato verpflichten, in der Ukraine und anderen früheren Sowjetrepubliken keine Waffen zu stationieren und keine militärischen Aktivitäten auszuführen.

Moskau fordert Sicherheitsabkommen

Als Ausgangspunkt für die Verhandlungen in Genf hat der Kreml den Entwurf eines amerikanisch-russischen Sicherheitsabkommens präsentiert. Demnach soll die Nato keine Truppen in Gebieten stationieren, in denen sie 1997 nicht präsent war - das war vor der Aufnahme ehemaliger Warschauer-Pakt-Staaten und früherer Sowjetrepubliken in die Allianz. Moskaus Vorschlag sieht auch das Einfrieren von Patrouillen von Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen beider Seiten in jeweiligen Grenznähen vor. Zudem sollen Risiken von Zwischenfällen mit russischen und Nato-Kriegsschiffen insbesondere in der Ostsee und im Schwarzen Meer reduziert, Manöver dort zurückgefahren und vertrauensbildende Maßnahmen sowie größere Transparenz vereinbart werden.

Die USA und ihre Verbündeten haben Moskaus Forderung auf einen Ausschluss einer Aufnahme der Ukraine in die Nato rundweg abgelehnt. Außenstehende – so die Argumentation der Nato – hätten sowohl hinsichtlich der Aufnahme neuer Mitglieder als auch in Fragen der Waffenstationierung kein Vetorecht. Ein Nato-Beitritt sei alleine die Entscheidung sowohl der Ukraine als auch Georgiens und der Mitgliedstaaten des Bündnisses. Zugleich warnt Nato-Generalsekretär Stoltenberg Russland nachdrücklich vor einer militärischen Aggression gegen die Ukraine. Dies hätte unabsehbare politische und wirtschaftliche Folgen, heißt es auch in Washington.

Nato stellt Kompromisse in Aussicht

Trotz der festgefahrenen Fronten zeigt sich das westliche Militärbündnis offenbar doch zu gewissen Kompromissen bereit. Nato-Vertreter erklären, das Militärbündnis sei durchaus bereit, mit Moskau über Waffenkontroll- und vertrauensbildende Maßnahmen zu sprechen. Angestrebt werde damit größere Transparenz und Gefahrenreduzierung, heißt es. Vorausgesetzt allerdings, dass Russland seinerseits auch eine konstruktive Haltung einnehme.

Vor diesem Hintergrund wird eine Begrenzung der Stationierung offensiver Raketen in der Ukraine angeboten. Dasselbe gelte auch für eine Manöverbeschränkung der Nato in Osteuropa. Als Geste des guten Willens verlangt die Nato im Gegenzug vom Kreml, die an die ukrainische Grenze verlegten russischen Truppen wieder abzuziehen. Eine Forderung, die von Moskau allerdings bislang strikt abgelehnt wird.

Moskau macht Druck

Der stellvertretende Außenminister und gleichzeitig russische Verhandlungsführer in Genf betont, dass die Garantie einer Nicht-Aufnahme der Ukraine in die Nato für sein Land weiterhin unverzichtbar sei. Russland, so Sergej Rjabkow, werde jedenfalls diesbezüglich keine Zugeständnisse machen. Die unverrückbare Haltung Moskaus wird in Nato-Kreisen als Teil einer Strategie des Kremls erachtet. Russland, so die Vermutung, würde absichtlich vollkommen unrealistische Forderungen stellen, um die Gespräche scheitern zu lassen – und die Schuld dafür anschließend der Nato geben.

Bereits vor geraumer Zeit hat der russische Präsident zudem militärisch-technische Maßnahmen für den Fall angedroht, dass der Westen nicht auf seine Forderungen eingehen sollte. Konkreter wird der er aber nicht. Die angekündigten Maßnahmen, so Putin, würden von den Vorschlägen seiner Militärexperten abhängen.

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