Das zerstörte Mariupol
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Warum Russland einen Vernichtungskrieg führt

Warum Russland einen Vernichtungskrieg führt

Putin zerstört gerade ein Land, von dem er sagt, es gehöre zu Russland. Wie das zusammenpasst? Gar nicht, sagt der Politikwissenschaftler und Autor Herfried Münkler. Und er erklärt, warum Russland zur Praxis der "totalen Zerstörung" greift.

Die Bilder und die Berichte sind so entsetzlich, dass man sich geradezu zwingen muss, ihnen nicht aus dem Weg zu gehen: Zu den Verbrechen, die in den Wochen der russischen Besatzung in den Vororten von Kiew verübt wurden, zur totalen Zerstörung ziviler Infrastruktur in den ukrainischen Städten, die weiter unter Beschuss stehen. Über die unmittelbaren Berichte hinaus hat die OSZE gerade bestätigt, dass sie Beweise für Kriegsverbrechen sieht. Judith Heitkamp spricht mit dem Politikwissenschaftler und Buchautor Herfried Münkler über die Putin'sche Politik der verbrannten Erde.

Judith Heitkamp: Eine Definition des Begriffs Vernichtungskrieg besagt, dass in einem solchen Krieg "alle physisch-psychischen Begrenzungen aufgehoben sind". Wenn man die Nachrichten über die russische Kriegsführung verfolgt, muss man dann von einem Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine sprechen?

Herfried Münkler: Ich glaube schon, dass man das tun kann. Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass die üblichen kriegsvölkerrechtlichen Einschränkungen und Begrenzungen, die im späten 19. und im Verlauf des 20. Jahrhunderts entwickelt worden sind, in diesem Krieg eine relevante Position einnehmen. Im Prinzip handelt es sich um ein verselbstständigtes militärisches Agieren, bei dem angenommene militärische Erfordernisse dominieren und die kriegsrechtlichen Beschränkungen in den Hintergrund treten.

Wenn sich im Laufe einer Art 'Kriegskulturgeschichte' Regeln entwickelt haben -  macht ihre Verletzung auf irgendeine furchtbare Art Sinn? Können Sie in der überbordenden Gewalt, in den Massakern, in den Bomben auf Krankenhäuser und Theater und Flüchtlings-Konvois eine Strategie erkennen?  

Das ist immer die große Herausforderung, dass man versucht, etwas Rationales dahinter zu entdecken, einen Sinn, eine Absicht, eine Zielsetzung. Das mag es in einzelnen Fällen geben: Häuser- und Straßenkampf ist eine schwierige Angelegenheit, die in der Regel mit sehr hohen Verlusten für den Angreifer verbunden ist; man versucht zu demoralisieren, indem man die Vorstellung nimmt, etwa im Falle einer Verwundung könne in Krankenhäusern oder Lazaretten versorgt werden. Das ist eine Form der Kriegsführung, die sich über die Zerstörung von physischen Strukturen gegen die Psyche der Verteidiger wendet.  Und wir wissen aus vielen Berichten, auch von ukrainischer Seite, dass innerhalb der Gruppe der Verteidiger, etwa von Mariupol, auch sehr viele Freiwillige sind, also nicht nur das übliche ukrainische Militär. Und dass die Russen frustriert sind darüber, dass ihre "Spezial-Operation", wie sie das nennen, nicht so schnell vorangekommen ist, wie sie sich das vorgestellt haben. Ich glaube, wir haben es hier mit einer Mischung aus durchaus taktischen Überlegungen auf der einen Seite zu tun und auf der anderen Seite mit einer tiefen Frustration. Und wenn wir in die Vergangenheit zurückschauen: Grosny, der zweite Tschetschenienkrieg, Aleppo – dann ist das etwas, was man durchaus als strategisches Rational der russischen Art von Kriegführung beobachten kann.  

Eine russische Art der Kriegsführung - wie in Tschetschenien und Syrien?  

Es gibt eine historisch tiefe Linie etwa seit den Kriegen Friedrichs des Großen, nach der es für die Russen üblich sei, in hohem Maße mit Zerstörung und Vernichtung dessen, was sie vorfinden, zu agieren. Das ist natürlich auch so etwas wie ein deutscher Abwehr-Mythos, der sich bis 1945 durchzieht - deswegen muss man auch aufpassen, dass man nicht bestimmte Vorstellungen aus der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges ohne Weiteres fortschreibt. Aber selbst, wenn man damit sehr vorsichtig und zurückhaltend ist, kann man sagen: Bestimmte Formen der Begrenzung und Zivilisierung des Krieges haben bei den Russen nie so Platz gegriffen, wie das bei westlichen Armeen der Fall gewesen ist, die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg mal ausgenommen. Das spielt auch eine Rolle, neben dem Umstand, dass offensichtlich die eingesetzten Verbände nicht besonders gut versorgt worden sind, so dass dass es eine Fülle von Berichten über Plünderungen gibt. Sei es, um Hunger zu stillen, andererseits auch, um sich Güter anzueignen.  

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Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler

Putins Argumentation in seiner Rede vor dem Angriff war, dass die Ukraine immer schon zu Russland gehört habe und 'zurückgeholt' werden müsse. Wie passt das zusammen mit dieser Strategie der totalen Zerstörung?  

Überhaupt nicht. Man kann sagen: Die Strategie, zu der die Russen im Verlaufe dieses Krieges immer mehr gegriffen haben, die Praxis der totalen Zerstörung, ist so etwas wie ein Dementi der geschichtspolitischen Ideologie Putins, nämlich der Erzählung "Eigentlich sind die Ukrainer ja Russen, die nur nicht genau wissen, dass sie Russen sind, und die Ukraine gehörte schon immer zu Russland". Also der großen Legitimation dieses Angriffskrieges als Rückgängigmachen eines historischen Irrtums.

Was das russische Militär vor allen Dingen schafft mit seiner Praxis der Zerstörung und der offenbar willkürlichen Exekution von Personen, die ihm vielleicht am falschen Ort und zur falschen Zeit über den Weg laufen, vielleicht aber auch der Tötung nach Plan oder nach Abarbeitung von Hinrichtungszetteln: Alles läuft darauf hinaus, dass in der Ukraine eine tiefe Feindschaft gegenüber den Russen entsteht, nicht nur ein Selbstbehauptungswillen. Dann könnte man sagen – dann werden sie wohl versuchen, die Gebiete, die sie erobert haben, von Ukrainern zu "säubern", um dann eigene Leute dorthin zu schicken. So wie sie das in vielerlei Hinsicht auf der Krim gemacht haben. Und das Land gewissermaßen als leeres Land, als entleertes Land, in Besitz zu nehmen. Das könnte ein gewisses Rational hinter dem brutalen Agieren der Russen sein.

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