Eine Frau bekommt eine Behandlung in einem Schönheitssalon
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Langlebigkeit: Was steckt hinter dem Trend?

Langlebigkeit: Was steckt hinter dem Trend?

"Longevity" nennt sich ein Trend aus den USA. Seine Anhänger wollen sich selbst verjüngen. Die Radikalsten unter ihnen träumen gar von der Abschaffung des Todes durch Technik oder Medikamente. Die Bewegung ist inzwischen auch in Bayern angekommen.

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Brigitte Meller trägt eine grasgrüne Daunenjacke, Jeans und Sneaker, ihr dunkelblondes Haar ist kinnlang. Blaue Augen hat sie, und einen offenen Blick. Neben ihr sitzt ihr Mann Georg: weißes Haar, Vollbart, Brille, ebenfalls mit Jeans und Turnschuhen. Brigitte Meller wirkt ein ganzes Stück jünger als er, und laut Personalausweis ist sie das auch: 51 Jahre ist sie alt, ihr Mann ist 64.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit, jedenfalls laut dem Langlebigkeitsmediziner Dominik Duscher, dem die beiden an diesem verregneten Novembermittag in München-Schwabing gegenübersitzen. Er präsentiert den Eheleuten, die eigens aus Regensburg angereist sind, deren "biologisches" Alter – das man angeblich losgelöst vom herkömmlichen, "chronologischen" Alter betrachten könne.

Speicheltest soll echtes Alter verraten

Demnach ist sie stolze 55, er hingegen lediglich 50,7 Jahre alt. Ergebnisse, die man optisch nicht sieht. Die Werte hat ein "epigenetischer Test" ergeben, errechnet aus dem Speichel der Patienten. Dominik Duscher ist eigentlich plastischer Chirurg, den bislang ungeschützten Titel des "Longevity"-Mediziners hat er sich als Autodidakt angeeignet.

"Das chronologische Alter ist für die medizinische Sichtweise relativ irrelevant", meint Duscher. "Ich interessiere mich viel mehr für die biologische Alterssituation."

Auch, weil man die gewissermaßen selbst in die Hand nehmen könne, so das Credo von "Longevity" (dt. Langlebigkeit) Anhängern. Der in den USA schon länger bekannte Begriff umfasst ein breites Spektrum: vom Ziel, die Gesundheitsspanne der Lebensspanne anzupassen, also den Körper länger gesund zu erhalten, über neueste pharmakologische Entwicklungen hin zu futuristischen Unsterblichkeits-Fantasien. Geeint werden all diese Facetten vom Fokus auf die Zelle, die kleinste selbst erhaltende Einheit des Körpers, die mit neuer Energie versorgt werden soll.

Der letzte Schritt der Selbstoptimierung?

Wie so oft in der digitalen Marktgesellschaft des 21. Jahrhunderts kreist auch dieser Lifestyle-Trend stark um Performance, Selbstoptimierung und technizistische Lösungen. "Genetik ist wie die Hardware", sagt Dominik Duscher, "und das biologische Alter, die epigenetische Signatur, ist wie die Software, die kann man updaten!"

Updaten, das meint zunächst: gesunde Lebensführung, gute Ernährung, Bewegung, ausreichend Schlaf, wenig Stress und soziale Kontakte. Wem das nicht reicht, für den oder die hat die "Longevity"-Medizin zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel, aber auch verschreibungspflichtige Medikamente im Angebot. Die durchaus teuren Tabletten und Pülverchen kommen mit dem Versprechen, Körperzellen zu verjüngen. Brigitte und Georg Meller nehmen täglich jeweils um die 30 Kapseln ein. Circa 5.000 Euro jährlich gibt das Ehepaar für den Traum von langer Gesundheit und langem Leben aus.

Lebenslänge vs. Lebensqualität

Philosophen wie Martin Booms aus Bonn sehen den Trend allerdings kritisch. "Epikur würde sagen, es ist eine sinnlose Einstellung, das Leben verlängern zu wollen", sagt Booms. "Wir müssen uns an das Leben halten, das wir jetzt haben, und das möglichst intensiv leben." Ein zu starkes Streben nach Langlebigkeit könne dem im Weg stehen, die Vermeidung aller potenzieller Risiken würde eine "Sterilität der Lebensführung" nach sich ziehen, wie es Booms ausdrückt. "Am Ende kann ich vielleicht sagen, ich habe ein paar Jahre rausgeholt - aber war es das wirklich wert?"

Patienten, die dem Ziel eines möglichst langen Lebens alles andere unterordnen, hat Langlebigkeitsmediziner Dominik Duscher durchaus. Nicht selten seien das Menschen, die "unlimitierte finanzielle und zeitliche Ressourcen" hätten. "Die haben alles, was es gibt, haben Flugzeuge, sind auch bei jedem Arzt schon gewesen", sagt Duscher. "Irgendwann heißt es, ich hab einen Ernährungsberater, den besten Coach beim Sport, ich war ich beim Kardiologen, beim Neurologen, was kann ich noch machen? Und dann sitzen sie bei mir." Mit der Hoffnung, ein Mehr an Lebensjahren herauszuholen, den Tod möglichst weit wegzuschieben.

Die Nachfrage nach Duschers Diensten steigt, der umtriebige Mediziner berichtet von guten Geschäften. Duscher ist mit seinen blauen Augen, rosiger Haut und blitzend weißen Zähnen laut Pass 36 Jahre alt. "Biologisch" sei er allerdings 27 Jahre jung. Bei 120 Jahren Lebenszeit, sagt er, sei nach aktuellem wissenschaftlichen Stand Schluss. "130 bis 150 Jahre ist wahrscheinlich biologisch denkbar. Da müssten wir aber wirklich frühzeitig mit wirklich guten Interventionen beginnen. Die Wissenschaft hat da noch einiges drauf, da wird noch einiges kommen."

Verleugnung der Vergänglichkeit?

Das Alter betrachten Longevity-Verfechter wie Duscher als Krankheit. Im Januar 2022 hat die WHO den Faktor Alter erstmals in ihren Krankheiten-Katalog mit aufgenommen, eine umstrittene Entscheidung. Kritiker sagen, dass damit eine Verleugnung der prinzipiellen Begrenztheit und Vergänglichkeit des menschlichen Lebens einhergehe.

"Das würde bedeuten, dass ich kein voll gültiges Leben mehr führen kann, wenn ich in einer bestimmten Altersphase bin", sagt der Philosoph Martin Booms. "Das ist ein selbstentwürdigendes Bild. Man schaut, dass man das Leben quantitativ verlängert, um den Preis einer Entmenschlichung."

Von US-amerikanischen Zuständen ist man hierzulande noch weit entfernt: Der Amerikaner Bryan Johnson ist wohl der radikalste Vertreter des "Longevity"-Trends. Der kalifornische Tech-Millionär arbeitet mit sich selbst als Versuchskaninchen an der ewigen Jugend. Die soll erreicht werden durch ein strenges Fastenregime, die tägliche Einnahme von 111 Pillen und eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung unzähliger Körperfunktionen durch 30 Ärzte. Zwischenzeitlich ließ sich der 46-Jährige gar Blutplasma seines Teenager-Sohnes spritzen. Den Tod hält Johnson für "ein technisches Problem, das sich lösen lässt".

"Segen der Sterblichkeit"

Eine Einstellung, die selbst "Longevity"-Mediziner Dominik Duscher kritisch sieht: "Wenn man die Zelle kennt, weiß man, dass dieses System Limits hat. Man kann die Zellgesundheit fördern, aber dass wir völlig wegkommen von einem Ende, das sehe ich nicht."

Und dass wir sterblich bleiben, sei auch gut so, findet Philosoph Martin Booms. Denn der Tod gebe dem Leben überhaupt erst seine Bedeutung. "Ohne die Endlichkeitsperspektive könnten wir praktisch alles wiederholen, auch die besonderen Augenblicke im Leben. Wir sagen 'das ist einmalig' als Ausdruck für etwas besonders Intensives oder Schönes. Doch das ist gebunden an die Voraussetzung, dass es nicht noch einmal kommt." Besonders schön habe das der Philosoph Bernard formuliert: "Die Möglichkeit, sterben zu können, ist ein Segen für den Menschen."

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