In der schwäbischen Marktgemeinde Neuburg an der Kammel haben die rund 3.150 Einwohner seit Ende vergangenen Jahres keine Apotheke mehr.
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In der schwäbischen Marktgemeinde Neuburg an der Kammel haben die rund 3.150 Einwohner seit Ende vergangenen Jahres keine Apotheke mehr.

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Arbeitsüberlastung: Immer mehr Apotheken in Bayern geben auf

Arbeitsüberlastung: Immer mehr Apotheken in Bayern geben auf

In Bayern gibt es immer weniger Apotheken. Nachfolger lassen sich schwer finden – zu hoch die Arbeitsbelastung, zu gering der Umsatz. Versandapotheken erhöhen den Druck und Lieferengpässe erschweren die Arbeit. Die Hintergründe des Apothekensterbens.

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In der Nähe des Dorfbrunnens in Utting am Westufer des Ammersees hat die Apothekerin Ursula Koch 27 Jahre lang die Menschen mit Medikamenten versorgt. Zehn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hatte sie angestellt. Jetzt, mit 71, ist Schluss. Für ihr Lebenswerk hat Ursula Koch lange einen Nachfolger gesucht – vergeblich.

Apothekerin: "Arbeitsbelastung nicht adäquat zum Umsatz"

Dabei ist ihre Apotheke auf dem neusten technischen Stand, um den über die Jahre gestiegenen Verwaltungsaufwand zu bewältigen. "Es ist heute tatsächlich ganz schwierig in den etwas kleineren Apotheken auch Nachfolger zu finden", sagt Koch. "Weil die Arbeitsbelastung letztlich nicht adäquat zum Umsatz ist, wovon man dann auch leben kann. Und, wenn sie 70 bis 80 Stunden pro Woche arbeiten, dann schnürt es einem am Ende den Hals zu."

In Utting bleibt den Einwohnern immerhin noch eine Apotheke – doch bayernweit sinken die Zahlen. Im Jahr 2009 gab es nach Informationen der Bayerischen Landesapothekerkammer noch 3.439 Apotheken. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 2.967.

Marktgemeinde ohne Apotheke

In der schwäbischen Marktgemeinde Neuburg an der Kammel haben die rund 3.150 Einwohner seit Ende vergangenen Jahres keine Apotheke mehr. Das ehemalige Ladengeschäft steht leer. Die frühere Inhaberin wohnt im selben Haus.

Christiane Barth führte das Geschäft mit drei Mitarbeiterinnen und der Hilfe ihres inzwischen verstorbenen Mannes. Wenig Freizeit, kaum Urlaub. Mit 64 gab sie auf. "Personalmäßig waren wir unterbesetzt. Die Menge der Anforderungen war in dieser Besetzung einfach nicht mehr zu bewerkstelligen. Und mehr Personal konnten wir vom Gewinn her nicht einstellen", erklärt Barth.

Schwierige Suche nach Apotheken-Nachfolger

28 Jahre lang versorgte Apothekerin Christiane Barth ihre Kunden. Und obwohl die Apotheke direkt neben einer hausärztlichen Praxis liegt – ein Nachfolger fand sich nicht. Selbst der Bürgermeister von Neuburg an der Kammel, Markus Dopfer, hat sich auf die Suche gemacht. Seine Idee: Eine Apotheke mit kürzeren Öffnungszeiten und ohne Notdienst – besser als nichts. Doch aus gesetzlichen Gründen war das nicht möglich. "Wir hatten über 50 Jahre eine Apotheke. Insofern ist die Entwicklung für uns ganz dramatisch. Wir sind eine Marktgemeinde, die im Wachsen ist", sagt Dopfer. "Wir haben eine tolle Grundversorgung, wir haben zwei Banken, wir haben auch einen Hausarzt hier und irgendwo gehört die Apotheke halt ganz einfach dazu."

Nun müssen die Neuburger mindestens sieben Kilometer bis zur nächsten Apotheke fahren, etwa nach Krumbach. Die Bahnhof-Apotheke ist dort eine von drei für die über 13.600 Einwohner. Ein voll digitalisiertes Ladengeschäft mit 25 Mitarbeiterinnen und einem Kommissionierautomaten, der die Medikamente schnell herbei bringt: Investitionen, mit denen Apotheker Mathias Müller seine Kundschaft schnell bedienen möchte, jetzt auch die aus Neuburg an der Kammel. Er bedauert die Schließung der Apotheke von Christiane Barth. "Weil wir Apotheken haben eine gesellschaftliche Aufgabe, die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Und speziell in Neuburg war das eine hoch geschätzte Kollegin. Wir haben uns kollegial immer ausgeholfen und ich finde es definitiv schade, dass sie nicht mehr da ist", so Mathias Müller.

Zusätzliche Arbeit durch Lieferengpässe

Das Arbeitspensum hat sich seitdem erhöht. Nachtdienst macht Mathias Müller jetzt alle zehn Tage statt wie zuvor einmal in zwei Wochen. Zuständig für den Einkauf ist seine Frau, Kathrin Müller, die die Apotheke von ihren Eltern übernommen hat. Lieferengpässe stellen sie vor Herausforderungen. "Wir haben ca. 8.000 verschiedene Medikamente auf Lager und allein von diesen 8.000 sind 350 im Moment nicht lieferbar", berichtet Kathrin Müller. "Das heißt, ich bin alle ein bis zwei Stunden am gucken, ob ich irgendetwas von diesen Medikamenten über die verschiedensten Bezugsmöglichkeiten beziehen kann. Ich könnte sagen: 'Dann habe ich eben keinen Ibu-Saft. Dann habe ich keinen Paracetamol-Saft auf Lager.' Aber das ist nicht mein Anspruch. Ich möchte jederzeit die Bevölkerung bestmöglich versorgen."

Dazu gehört auch ein kostenloser Lieferservice. Seit die Apotheke in Neuburg an der Kammel geschlossen hat, fahren die pharmazeutisch-technische Assistentin Marina Wirth und ihre Kolleginnen einige Male in der Woche dorthin. Heute ist ihr Ziel eine Senioren-Wohngemeinschaft. "Die können uns jederzeit erreichen. Wenn doch noch irgendwas ist, kommen wir auch gerne wieder. Wir bringen es innerhalb der nächsten halben Stunde, wenn wir es vorrätig haben vorbei, ansonsten am gleichen Tag, dass einfach alles da ist", sagt Marina Wirth.

Konkurrenzdruck durch Versandapotheken

Für die Hauswirtschafterin der Senioren-Wohngemeinschaft, Claudia Reimer, käme eine Bestellung bei einer Versandapotheke nicht infrage. Man sei sowohl mit dem Hausarzt als auch mit der Apotheke eng verbunden. "Und das ist Hand in Hand. Mit der Versandapotheke ist schön und gut, aber nein, das dauert uns zu lang." Zudem sei es zu umständlich.

Doch günstigere Online-Händler setzen den Apotheken vor Ort immer mehr zu. Diese leben vor allem vom Verkauf verschreibungspflichtiger Medikamente. Für jedes davon erhalten sie einen Fixbetrag, der seit rund zehn Jahren nicht mehr angepasst wurde. Zudem hat der Bundestag gerade ein Gesetz beschlossen zur "Finanzstabilisierung der Gesetzlichen Krankenkassen": In den nächsten zwei Jahren müssen die Apotheken den Kassen einen noch höheren Rabatt auf verschreibungspflichtige Medikamente gewähren.

Apothekerverband: "Fühlen uns abgewatscht"

Untragbar findet das der stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Apothekerverbands Josef Kammermeier, der auch selbst Apotheker ist. "Die Branche in Deutschland muss mit 120 Millionen Euro an Einkommensverlust pro Jahr rechnen. Das führt für Apotheken zum jährlichen Einkommensverlust von sechs bis sieben Tausend Euro. Weggenommen von einem Geld, so hören wir es hinter der Hand, was wir uns in Corona-Zeiten sauer verdienen mussten. Wir haben das gerne gemacht. Wir haben unseren Job, denke ich, gut gemacht. Wir wurden auch gelobt vom Gesundheitsministerium. Wir fühlen uns jetzt aber abgewatscht."

Dazu heißt es aus Berlin: Für das Bundesgesundheitsministerium sei "nachvollziehbar, dass Unmut entsteht, wenn zusätzliche Vergütungsmöglichkeiten gestrichen werden". Gleichwohl sei zu berücksichtigen, "dass sich die gesetzliche Krankenversicherung derzeit in einer angespannten finanziellen Situation" befinde.

Die Belastungen, die Ursula Koch mit der Leitung ihrer Apotheke in Utting am Ammersee auf sich genommen hat, wollen sich viele jüngere Menschen nicht antun. Sie lassen sich lieber anstellen. Ursula Koch freut sich nun auf das Leben nach der Arbeit. "Ich freue mich auf eine entspannte Freizeit, auf wieder mehr Sport, auf Kultur, auf Musik, auch auf mein Haus und Garten und natürlich, dass ich wieder mal reisen kann." Mit 71 Jahren geht sie in den Ruhestand. Ihre Mitarbeiterinnen haben aufgrund des Personalmangels sofort eine neue Stelle in umliegenden Apotheken gefunden.

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