Der Geschäftsführer des Café Leonar, Arnold Simmenauer, schmückt am Mittwoch (21.12.2011) vor seinem Cafe in Hamburg einen "Weihnukkah"-Tannenbaum mit jüdischem Weihnachtsschmuck.  Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert hat es nach Aussage der Leiterin des Jüdischen Museums Berlin Familien gegeben, die Weihnachten und Chanukka feierten. Daraus sei der Begriff "Weihnukkah" entstanden
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Gemeinsam Feste feiern fördert menschliche und kulturelle Annährung, zum Beispiel "Weihnukkah", eine Kombination von Weihnachten und Hanukkah.

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Weihnukkah und Bildungsreisen: Jugendliche und der Nahostkrieg

Weihnukkah und Bildungsreisen: Jugendliche und der Nahostkrieg

Der Krieg in Israel und Gaza sorgt auch unter Jugendlichen für Konflikte. Gegen Eskalation hilft mehr Verständnis für unterschiedliche Kulturen und Religionen. Dafür setzen sich verschiedene Initiativen ein.

Von
Philip Artelt
Jan-Claudius Hanika

Über dieses Thema berichtet: Campus Magazin am .

Oskar ist der Neue an der Schule. Mit seinen Kumpels spielt der 14-Jährige Fußball. Sein neuer bester Freund ist Eren, mit dem er gerne Playstation zockt und Rap-Musik hört. Unbeschwert ist das, ein bisschen multikulti. Doch eines Tages erfährt die Klasse mehr über Oskar, als ihm lieb ist. Als die Lehrerin nach Gotteshäusern fragt, spricht Oskar über die Synagoge. Kurz darauf eskaliert auf der Toilette die Situation zwischen Mustafa, seinen Freunden und Oskar. Selbst Eren wendet sich von ihm ab, weil er Jude ist.

Der halbstündige Kurzfilm "Kippa" des jungen Filmemachers Lukas Nathrath überträgt den Konflikt zwischen Juden und Muslimen, zwischen Deutschen, Israelis und Palästinensern in den Mikrokosmos eines deutschen Klassenzimmers. Ein Stellvertreterkrieg im Kleinformat. Die Parteien: Jugendliche, die eigentlich nur ihr Teenager-Dasein leben sollten.

Der Film "Kippa" wird in der Arbeit mit Jugendlichen eingesetzt und von kirchlichen Medienzentren an Schulen verliehen. Er hält den Schülern einen Spiegel vor, will zum Diskutieren anregen und so Verständnis fördern, damit es erst gar nicht zu Konflikten wie im Film kommt. Gesprächsbedarf gibt es gerade jetzt, das zeigen die Diskussionen um angeblichen und tatsächlichen Judenhass an deutschen Schulen. Der Jude, das unbekannte, unverstandene Wesen: Dagegen wollen nicht nur Filmemacher angehen.

Gemeinsam feiern für menschliche Annäherung

Sofija Pavlenko ist Studentin, 24 Jahre alt und engagiert sich in der Initiative YouthBridge in München. Ein Projekt der Initiative heißt "Mehr als Hummus und Falafel", bei dem jüdische und muslimische Jugendliche Gemeinsamkeiten entdecken sollen. Eingeladen dazu sind auch explizit Nichtjuden und Nichtmuslime. Im Rahmen des Projekts werde zum Beispiel gemeinsam ein Film zum Thema verschiedene Kulturen und Religionen angeschaut, erklärt Pavlenko, die selbst jüdische Wurzeln hat.

Wichtig findet sie unter anderem die gegenseitigen Einladungen zu Festen: "So waren zum Beispiel die jüdischen Teilnehmer, aber auch die nichtmuslimischen Teilnehmer des Projekts zum Fastenbrechen im Münchner Forum für Islam eingeladen. Oder wir haben auch letzten Dezember Weihnukkah gefeiert." Das Wort "Weihnukkah" ist zusammengesetzt aus Weihnachten und Hanukkah: Das Fest der Christen trifft auf das jüdische Fest zu Ehren des Zweiten Tempels in Jerusalem. So sollen sich die Jugendlichen menschlich und kulturell annähern und Konfliktpotential abbauen. Das Highlight für Sofija Pavlenko sind aber die Studienreisen nach Israel, zu denen Youthbridge immer wieder eingeladen hat - bis der aktuelle Konflikt in Israel und Gaza eskalierte und Reisen nicht mehr möglich waren.

Das Erlebnis, diese besonderen Orte selbst zu besuchen, können Bücher, Filme und Kamingespräche nicht ersetzen. Eine ganze Reihe von Einrichtungen organisiert ebenfalls solche Reisen und berät jene, die solche Jugendbegegnungen selbst organisieren möchten: Wie stelle ich ein gutes Programm zusammen? Wie steht es um die Sicherheit? Die deutsche und die israelische Regierung unterstützen solche Initiativen.

Wenig Wissen zu Antisemitismus im Netz und israelbezogenem Antisemitismus

Deborah Schnabel von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt findet diesen gegenseitigen Austausch gut, aber er reicht ihr nicht aus: "Ich finde es wichtig, dass Israel bereist wird, einfach um zu verstehen, wie dieses Land funktioniert, wie diese unterschiedlichen Kulturen und Religionen an einem Ort zusammenkommen, wie klein das Land ist, wie die Grenzgebiete aussehen. Aber das bedient eben nicht die Masse." Schnabel und ihre Kollegen fordern, dass das Thema Nahostkonflikt stärker in die Lehrpläne eingeht und mehr über Antisemitismus gesprochen wird. Es gebe häufig Bezug zur Geschichte und zum historischen Antisemitismus, aber zu wenig Wissen unter den Lehrkräften zu Antisemitismus im Netz oder Antisemitismus, der sich auf den Staat Israel bezieht.

Das Wichtigste ist nach Ansicht von Deborah Schnabel: zu schauen, wie in den Klassenzimmern mehr Raum geschaffen werden kann für die Entwicklung von Empathie und den Wechsel der Perspektive. Denn die aktuelle Krise werde nicht die letzte sein.

Verständnis füreinander statt gegenseitiges Beschuldigen

Bei Youthbridge in München setzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf, dass die Jugendlichen ihre positiven Erfahrungen mit anderen Kulturen und Religionen in ihre eigenen Gemeinschaften tragen. Das verändert noch nicht die ganze Welt, aber Sofija Pavlenko freut sich schon über einzelne Erfolge: "Wir haben zum Beispiel eine türkische Teilnehmerin, eine religiöse Muslima. Neulich hat sie eine Story auf Instagram gepostet, die mich bewegt hat. Weder bei jüdischen Aktivisten, die ganz viele Follower haben, noch bei muslimischen Aktivisten aus Deutschland. Die war so bewegend, weil sie auf den Punkt gebracht hat, welches Leid dieser Krieg für beide Seiten vor Ort, aber auch für Juden und Muslime auf der ganzen Welt mit sich bringt. Sie hat dieses ständige gegenseitige Beschuldigen ganz scharf kritisiert. Ich bin mir sicher, dass das so ohne Youthbridge nicht gewesen wäre."

Die junge Türkin war auch schon einmal dabei auf einer Bildungsreise nach Israel. Derzeit sind solche Reisen zwar kaum denkbar, umso wichtiger ist es aber, hier in Deutschland die Bildungsarbeit über den Nahostkonflikt fortzusetzen.

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