Windkraftanlagen stehen auf einem Feld bei Erkelenz nahe des Braunkohletagebau Garzweiler II, dahinter das Kohlekraftwerk Neurath von RWE.
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Der neue Weltklimabericht wird deutlich: Um unsere Klimaziele zu erreichen, müssen wir sofort unsere Treibhausgasemissionen reduzieren.

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Weltklimarat IPCC: Staatengemeinschaft muss jetzt handeln

Weltklimarat IPCC: Staatengemeinschaft muss jetzt handeln

Der neue Synthesebericht des Weltklimarats wählt deutliche Worte: Die Staatengemeinschaft muss jetzt handeln, um die Schäden durch den Klimawandel zu begrenzen. Die bisherigen Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Die gute Nachricht lautet: Es ist in den letzten Jahren nicht nichts passiert in Sachen Maßnahmen und Anpassung an den Klimawandel. Der heute in Interlaken vorgestellte Weltklimabericht des Weltklimarats IPCC ("Intergovernmental Panel on Climate Change") macht aber mehr als deutlich: Es ist bei Weitem nicht genug – und die Zeit rennt uns davon.

Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, bräuchte es in allen Bereichen eine schnelle und nachhaltige Reduktion der Treibhausgase: Bis 2030 müssten sie fast halbiert werden.

Weltklimabericht des IPCC ist Bestandsaufnahme zum Klimawandel

Der jetzige Weltklimabericht ist der Synthesebericht des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates IPCC: Er fasst drei Sonderberichte sowie drei Weltklimaberichte zu den physikalischen Grundlagen des Klimawandels, den möglichen Klimaanpassungen sowie Maßnahmen gegen den Klimawandel zusammen. Der Weltklimarat IPCC ("Intergovernmental Panel on Climate Change") selbst hat keine Entscheidungsmacht. Aber die rund 40-seitige "Zusammenfassung für Entscheidungsträger" des Weltklimaberichts wurde Zeile für Zeile von den über 190 beteiligten Staaten abgenommen.

Daher wird vor allem der Synthesebericht eine große Rolle für die Klimapolitik der Staaten für die nächsten Jahre spielen: Da er alle vom IPCC erschienenen Klimaberichte mit je mehreren tausend Seiten zusammenfasst und die einzelnen Klimaberichte wiederum auf tausenden wissenschaftlichen Studien basieren, stellt er den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel, seinen Auswirkungen und die bisherigen Maßnahmen dagegen dar. Und weil ihm alle Staaten zugestimmt haben, gilt er als fundierter Leitfaden zum Thema Klimawandel, an dem sich Politik und Entscheidungsträger orientieren können.

Weit weg von der Netto-Null: Seit letztem Weltklimabericht nicht genug passiert

Der erste Teil des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC war im August 2020 erschienen und machte bereits deutlich: Eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 oder 2 Grad Celsius wäre nur noch möglich, wenn Treibhausgasemissionen schnell, umfassend und nachhaltig verringert werden. Der Synthesebericht liefert nun noch mehr Zahlen dazu: Um das 1,5 Grad-Ziel bis Ende des Jahrhunderts zu erreichen, ohne es in den Jahrzehnten vorher signifikant zu überschreiten, müssten die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Niveau von 2019 um 43 Prozent verringert werden – und das bis 2030. Bis 2035 müssten sie um 60 Prozent sinken.

"Wir müssen uns ernsthaft mit der Welt jenseits der 1,5 Grad beschäftigen", sagt Oliver Geden vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit und Mitautor des jetzigen Syntheseberichts. Das bedeute nicht, dass wir dieses Klimaziel aufgeben sollen oder uns von dieser Zahl paralysieren lassen sollten: "Wir haben immer schon damit kalkuliert, dass wir es zwischendurch überschreiten und dann im Laufe des Jahrhunderts drücken können." Allerdings bedeute das eben auch: noch mehr Hausaufgaben in Sachen Klimawandel für Politik und Gesellschaft. Denn dann würde es nicht mehr reichen, auf eine Netto-Null bei den Treibhausgasemissionen zu kommen, sondern dann müssten wir ein Netto-Negativ anstreben. Wie das konkret aussehen soll, ist derzeit noch völlig unklar. Dieses Netto-Negativ müsste dann auch Eingang in die Klimaziele der einzelnen Länder finden, was aber bislang nur bei einem Land – Dänemark – der Fall ist.

Was der Synthesebericht deutlich macht: Die derzeitigen Maßnahmen und Klimaziele der Staatengemeinschaft reichen bei Weitem nicht aus. Würden sie so umgesetzt, wie derzeit beschlossen, würde der globale Ausstoß an Treibhausgasen zwar nicht mehr so stark ansteigen, wie es in den letzten Jahren der Fall war, aber von dem Ziel der Netto-Null ist das sehr weit entfernt: Weder das 1,5-Grad Ziel noch das 2-Grad Ziel der Begrenzung der globalen Erderwärmung ließe sich somit erreichen.

Die Erde und der Mond, aus Sicht der internationalen Raumstation.
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Weltklimabericht: Risiken durch Klimawandel größer als gedacht

Verglichen mit seinem Vorgänger, dem Synthesebericht des fünften Sachstandsberichts aus dem Jahr 2014, wird der jetzige IPCC-Bericht um einiges deutlicher – vor allem, wenn es um die Auswirkungen sowie die konkreten Maßnahmen gegen den Klimawandel geht. "Das liegt daran, dass wir wissen, dass die Risiken stärker ausfallen werden als vor 8,5 Jahren", sagt Matthias Garschagen von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitautor des Syntheseberichts. Denn selbst wenn die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter begrenzt würde, gibt es demnach mehrere Risiken und Gefahren, die sich nicht vermeiden lassen.

Dazu gehören vor allem Extremwetterereignisse wie etwa Hitzewellen, Starkregen oder Stürme: Mithilfe der Attributionsforschung lassen sich derartige Einzelereignisse inzwischen dem Klimawandel zuordnen – und dann hat man es Schwarz auf Weiß, wie sehr uns der Klimawandel jetzt schon schädigt, bei einer Erwärmung von global 1,1 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter.

Weltklimabericht: Immer noch mehr Kapital für fossile Brennstoffe als für Kampf gegen Klimawandel

Die Deutlichkeit des IPCC-Berichts ergibt sich aber auch daraus, dass in den letzten Jahren bereits Maßnahmen gegen und Anpassungen an den Klimawandel ergriffen wurden. Diese konnten wissenschaftlich ausgewertet werden. "Wir lernen, was gut funktioniert und was nicht gut funktioniert", sagt Matthias Garschagen. Als Beispiel für eine schlechte Anpassung an den Klimawandel nennt er einen kurzfristig gedachten Küstenschutz, der vielleicht die nächsten 30 bis 40 Jahre eine Gemeinde oder Stadt vor dem steigenden Meeresspiegel schützen würde. Wenn der Meeresspiegel dann aber noch weiter steigt – und das wird er –, "dann haben wir in 80 Jahren ein riesiges Problem".

Auch das Thema Gerechtigkeit ist ein Thema im Klimabericht: Denn es ist nach wie vor so, dass die Menschen und Gesellschaften, die am wenigsten zum menschengemachten Klimawandel beitragen, davon viel stärker betroffen sind. Die zehn Prozent der Haushalte mit dem größten pro-Kopf-Treibhausgasausstoß verursachen 34 bis 45 Prozent der globalen Treibhausgasemission, die auf konsumbasierten Haushaltsausstoß zurückzuführen sind. Der Anteil der unteren Hälfte – vom Pro-Kopf-Treibhausgasausstoß gerechnet – an dieser Zahl beträgt nur 13 bis 15 Prozent.

Der Synthesebericht beschäftigt sich auch mit der Frage nach dem Geld: Es gäbe prinzipiell genügend globales Kapital, um Maßnahmen gegen den Klimawandel sowie Klimaanpassungen durchzuführen, um die Klimaziele zu erreichen. Allerdings gibt es eine Investitionslücke und es müsste sehr viel mehr Geld für den Kampf gegen den Klimawandel ausgegeben werden, als dies derzeit der Fall ist. Derzeit aber fließt – sowohl öffentlich als auch privat – immer noch mehr Geld in fossile Brennstoffe als in Maßnahmen gegen den Klimawandel.

IPCC-Bericht: "Es besteht eine Lücke zwischen dem Papier und dem Handeln"

Der jetzige Weltklimabericht ist damit ein dringender Aufruf an die Staaten dieser Welt, jetzt zu handeln, da er klar macht: Es reicht noch lange nicht. "Jedes Zehntel Grad weiterer Erwärmung sollte verhindert werden", sagt Gerhard Krinner von Université Grenoble Alpes und Mitautor des Syntheseberichts.

Auch sein Kollege Matthias Garschagen warnt davor, das Problem des Klimawandels in die Zukunft zu verschieben und auf neue Technologien etwa in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu hoffen: "Das ist mit massiven Risiken verbunden." Es gäbe irreversible Schäden, die wir auch nicht wiedergutmachen könnten, selbst wenn wir die globale Erderwärmung nicht nur aufhalten, sondern wieder umkehren könnten: den Verlust unserer Gletscher beispielsweise oder das Sterben der Korallenriffe. Auch das Auftauen der Permafrostböden ist ein solches Beispiel, da dadurch der Klimawandel noch befeuert werden würde.

Der IPCC-Bericht macht klar, welche Auswirkungen der Klimawandel jetzt schon hat und was wir dagegen tun könnten. Er macht auch klar, dass wir tatsächlich etwas dagegen tun können – noch. Aber: "Wir haben vom Papier bis zum tatsächlichen Handeln deutliche Lücken", so Matthias Garschagen. "Noch haben wir es selbst in der Hand – aber das Zeitfenster schließt sich rapide."

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