Bei seinem Besuch in Prag hat Ministerpräsident Markus Söder Ende 2024 bekräftigt: "Bayern braucht Atomstrom." Der bayerische Ministerpräsident und sein Gastgeber, der tschechische Premier Petr Fiala, haben eine Absichtserklärung für eine Energiepartnerschaft unterzeichnet. Die tschechische Regierung plant seit längerer Zeit, ihre Atomkraftwerkstandorte auszubauen und mehr Strom aus Kernenergie zu produzieren.
Und nun sieht es so aus, als würde das Vorhaben einen entscheidenden Schritt vorankommen. Am Atomkraftwerk Dukovany, 31 Kilometer von der Grenze zu Österreich entfernt, sollen mindestens zwei neue Reaktorblöcke gebaut werden. Die Verhandlungen mit dem südkoreanischen Unternehmen KHNP, das den Bau übernehmen soll, stehen kurz vor Vertragsunterzeichnung. Laut Plänen der Regierung soll der erste Reaktorblock 2036 ans Netz gehen.
Mehr Angebot dämpft die Preise
"Wenn Tschechien zum Beispiel zwei Gigawatt zubaut", dann ist das ordentlich, aber nicht weltverändernd, sagt Serafin von Roon, Geschäftsführer der Forschungsstelle für Energiewirtschaft in München. Allein in Bayern sind bereits heute 34 Gigawatt erneuerbare Energien installiert.
Aber Auswirkungen auf den Strommarkt wird es dennoch geben. Mehr Atomstrom aus Tschechien würde das Angebot im europäischen Stromangebot etwas erhöhen und könnte im Winter die Preise dämpfen, sagt der Wissenschaftler. "Das könnte dann in einzelnen Stunden schon mal den Preis deutlich reduzieren", so von Roon. "Aber wir reden hier von 2036. Bis dahin werden wir auch in Bayern die installierte Leistung an erneuerbaren Energien mindestens verdoppeln, vielleicht sogar verdreifachen", so von Roon.
Serafin von Roon ist Geschäftsführer der Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V.
Überangebot durch Atomstrom: Bremse für erneuerbare Energien
Aber: Dem preissenkenden Effekt in einzelnen Winterstunden steht ein Überangebot in den Mittagsstunden gegenüber. Bereits heute liefern erneuerbare Energien an vielen Tagen im Jahr in Deutschland mehr als genug Strom. Wenn dann Atomkraftwerke zusätzlich einspeisen, erhöht sich das Angebot weiter. Und das bedeutet: die Preise sinken. Schon jetzt aber gibt es Zeiten mit negativen Strompreisen, mit dem zusätzlichen Angebot an Atomstrom könnten die Preise weiter gedrückt werden. "Das könnte den Anreiz, weiter in erneuerbare Energien zu investieren, mindern", sagt Serafin von Roon.
Atomenergie und erneuerbare Energien ergänzen sich nicht gut
Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist davon überzeugt, dass Atomenergie die erneuerbaren Energien blockiert. "Atomanlagen sind keine gute Ergänzung zu den erneuerbaren Energien", so Kemfert. Atomkraftwerke seien auf Dauerbetrieb ausgerichtet, nicht auf das ständige Hoch- und Runterfahren für bestimmte Stunden.
Gas- und auch Wasserstoffkraftwerke sind als Ergänzung zu den erneuerbaren Energien besser geeignet, sagt auch Serafin von Roon. "Die sind wesentlich günstiger im Bau als Atomkraft. Das ist ein sehr wichtiger Faktor, da diese Kraftwerke nur in wenigen Stunden im Jahr gebraucht werden", so von Roon.
Ist Atomstrom günstig?
"Atomenergie ist die mit Abstand teuerste Form der Stromerzeugung. Wenn die wahren Kosten eingepreist würden, wäre der Strompreis bis zu viermal so hoch wie der aus erneuerbaren Energien", erklärt Claudia Kemfert. Atomenergie sei daher nicht wettbewerbsfähig, müsse hoch subventioniert werden, die Risiken von potenziellen Unfällen trage die Gesellschaft, so die Energieökonomin weiter. Und dann müsse der Atommüll noch über Jahrtausende eingelagert werden: "Bis heute fehlt ein Endlager, die Kosten sind gigantisch. Würden diese Kosten eingepreist, wäre Atomenergie unbezahlbar."
Prof. Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
Wie kann sich Bayern mit Strom versorgen?
Mit dem Abschalten der Atomkraftwerke im Freistaat kann sich Bayern nicht mehr ganzjährig mit Strom selbst versorgen. Dass Atomstrom aus Tschechien dann eine wichtige Lücke schließen könnte, sehen beide Energie-Experten nicht. Strom bezieht Bayern derzeit aus anderen Bundesländern oder auch aus den Nachbarländern. Es gibt aber auch Stunden, in denen Bayern Strom exportiert. "Insbesondere an sonnigen Tagen", so Serafin von Roon.
Wie Versorgung sichern und Strom günstig halten?
Der Netzausbau ist für den Energie-Experten von Roon neben dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien der wichtigste Schlüssel für günstige Strompreise und sichere Versorgung in Bayern. "Wenn Strom in Europa möglichst gut weiter transportiert und verteilt werden kann, sind wir gut aufgestellt", so von Roon. Wetter und Sonnenstunden variieren in der EU so, dass das Angebot an erneuerbaren Energien innerhalb der EU gut genutzt werden könne.
Skepsis, ob Tschechien Atompläne wirklich umsetzt
Dass die Atompläne in Tschechien wirklich realisiert werden, hält Claudia Kemfert für unwahrscheinlich. "In England oder Finnland kann beobachtet werden, wie teuer und langwierig der Bau eines Atomkraftwerks ist. In Finnland hat der Bau 18 Jahre gedauert, und die Kosten von über zehn Milliarden Euro waren viermal so hoch wie ursprünglich veranschlagt."
Zum Audio: Dafür braucht es dynamische Strompreise und Smart Meter (11.2.2025)
Dafür braucht es dynamische Strompreise und Smart Meter
Dieser Artikel ist erstmals am 05.04.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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