Jens Harzbecker steht mit einer Bierdose an einer Raststätte bei Schwabach. Es ist der erste Weihnachtsfeiertag, 10.00 Uhr morgens. Die Dose hat ihm gerade ein Lkw-Fahrer in die Hand gedrückt, als Dank. "Das kommt öfter vor. Normal bekommen wir aber eher Schokolade oder Kuchen", sagt Harzbecker und verstaut die Bierdose im Kofferraum neben den braunen Tüten. Die teilen er und sein Team an Lkw-Fahrer aus.
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Einsame Weihnachten
Weihnachten verbringen nicht alle im Kreis ihrer Familie. An Sonn- und Feiertagen gilt auf Deutschlands Autobahnen Lkw-Fahrverbot. Wer es nicht rechtzeitig ans Ziel geschafft hat, muss bis zum 27. Dezember am Rastplatz ausharren und sich dort mit Brot statt mit Festtagsbraten begnügen. Um den Gestrandeten die Feiertage ein wenig zu versüßen, fährt eine Freiwilligengruppe aus Kammerstein jedes Jahr auf die Rastplätze an der A6 zwischen Schwabach und Neuendettelsau. Dort verschenken sie gerettete Lebensmittel, selbstgebackene Plätzchen und gespendete Hygieneartikel.
Gefangen am Rastplatz
"Oh vielen Dank", sagt ein polnischer Fahrer auf Englisch. Große Gespräche kommen auf den Parkplätzen nicht auf. Die Lebensmittelretter sprechen kein Polnisch, Serbisch oder Italienisch und die Fahrer in der Regel kein Deutsch. "Trotzdem gibt einem das so viel zurück", sagt Klaus Elmer. Seit sieben Jahren beschenken er und die anderen die Trucker. Elmer kennt die Situation der Männer inzwischen gut: "Das Problem ist, dass die Autobahn eingezäunt ist. Das heißt, die kommen hier gar nicht weg", erzählt er. Und selbst wenn sie es kämen: "Sie haben gar nicht das Geld, um am Feiertag in eine Wirtschaft zu gehen und sich Bier und Schweinebraten zu kaufen."
Prekäre Berufsgruppe
Wie viel Lkw-Fahrer verdienen, hängt in erster Linie davon ab, von wo sie kommen. Berufskraftfahrer in Deutschland erhalten laut der Bundesagentur für Arbeit im Schnitt einen Bruttolohn von knapp 3.000 Euro. Bei Lkw-Fahrern aus Polen oder Italien sind es laut dem Fachmagazin Verkehrsrundschau zwischen 1.300 und 2.200 Euro. Rumänische, bulgarische oder ungarische Fahrer erhalten Löhne von 500 bis 1500 Euro brutto. Besonders Fahrer aus Ländern außerhalb der EU bekommen pro Monat nur wenige Hundert Euro gezahlt. Manche müssen deshalb fast durchgängig in ihren Fahrzeugen leben und schlafen, berichtete die Tagesschau im April. (Externer Link)
Für Menschen, gegen Verschwendung
Elmer kämpft für ein bisschen mehr Gerechtigkeit. Lebensmittel, die ohnehin weggeworfen werden würden, bringt er zu denen, die sie an diesem Tag möglicherweise dringend brauchen. In den rund 100 Tüten stecken Waren wie Obst und Schokolade. Die bekommen die Lebensmittelretter von Supermärkten, Bäckereien und anderen Lebensmittelanbietern aus der Region. Das Jahr über holen die Retter Lebensmittel ab, bei denen das Verfallsdatum abgelaufen ist. Essbar sind diese in der Regel nämlich trotzdem noch. Was die Retter nicht selbst verbrauchen, geben sie an andere weiter.
In den Tüten stecken aber nicht nur gerettete Waren, sondern auch selbstgebackene Plätzchen, Socken und Hygieneartikel. Letzteres bekommt das Team als Spenden aus ihrem Umfeld. "Das alles zu organisieren ist ein ganz schöner Aufwand", erzählt Elmer. Schließlich muss jemand kurz vor Weihnachten zum Großmarkt fahren, jemand anders holt Spenden ab und das Team backt und packt. "Aber es zahlt sich aus."
Wenig Abnehmer, viel Freude
In diesem Jahr stehen weniger Lkw auf den Parkplätzen als sonst. "Aber darüber freuen wir uns", sagt Elmer. "Das heißt ja, dass die Menschen daheim bei ihren Familien sind." Wegwerfen wird das Team die übriggebliebenen Tüten natürlich nicht: Sie gehen an eine Einrichtung für Obdachlose.
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