Ein Mann blättert in einem Gotteslob
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Schweres Erbe: Was tun mit der Musik eines Missbrauchstäters?

Schweres Erbe: Was tun mit der Musik eines Missbrauchstäters?

Wie umgehen mit dem Vermächtnis eines Missbrauchstäters? Damit beschäftigt sich derzeit das Bistum Passau. Es geht um das musikalische Erbe von Pater Norbert Weber, das nach und nach verschwinden soll. Er hatte sich jahrelang an Kindern vergangen.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

Vor einem Jahr erschütterte ein Missbrauchsskandal Passau. Es wurde bekannt, dass sich der langjährige Musikdirektor des Bistums, Pater Norbert Weber, über Jahrzehnte an Kindern und Jugendlichen vergangen hat. Das genaue Ausmaß ist unklar. Fest steht hingegen: Webers musikalische Werke sollen nicht mehr gespielt oder gesungen werden.

  • Zum Artikel - Missbrauchsskandal: "Staatsanwaltschaften tun zu wenig"

Dunkle Seiten eines Kirchenmusikers

Pater Norbert galt als einer, der für die Kirchenmusik begeistern konnte. Er starb im Jahr 2000. Als Kirchenmusikdirektor hinterließ er zahlreiche Orgel- und Chorsätze, komponierte etliche kurze Lieder, sogenannte Kehrverse, für das Gotteslob. Das Gesangs- und Gebetbuch liegt zehntausendfach in fast allen Kirchen des Bistums aus. Doch der Ordensgeistliche hatte auch eine sehr dunkle Seite. Ministranten, Musikschüler und Chorsänger berichten von Übergriffen. Dem BR liegen Aussagen von Betroffenen vor. Demnach blieb es nicht nur bei Berührungen. Es gab wohl auch gewaltsame Übergriffe – bis hin zur Vergewaltigung.

"Das ist unerträglich – das darf nicht sein"

Josef Feuchtgruber ist Organist in der Kirche St. Johannes in Neukirchen am Inn im Landkreis Passau. Er spricht von einem Schock. Dass sich ein hochgeachteter Kirchenmusiker so lange an Jungen und Mädchen vergehen konnte und niemand dahintergekommen sei, sei unfassbar. Pater Norberts Musik ist für Feuchtgruber jetzt tabu: "Die Vorstellung, dass eines seiner Opfer als Chorsänger in die Chorprobe kommt, die Noten aufschlägt und den Namen seines Peinigers liest, ist doch unerträglich. Das darf nicht sein." Der Neukirchner Organist würde den Namen Pater Norbert Weber am liebsten überhaupt nicht mehr lesen müssen. Nicht in den Orgelbüchern, nicht im Gotteslob.

Genauso denkt Alois Brunner, Organist und Chorleiter in Dommelstadl im Landkreis Passau: "Nachdem das alles bekannt wurde, war mir klar: Stücke von Pater Norbert musiziere ich nicht mehr. Keinen Kehrvers, keine Orgel- und Chorsätze. Alles gestrichen – aus Rücksicht und Respekt vor den Opfern." Brunner hat Pater Norbert zwar noch persönlich gekannt, dessen Missbrauchstaten allerdings "nicht im Ansatz geahnt".

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Ausschnitte aus Zeitungsartikeln über Pater Norbert Weber

Betroffene dürfen nicht verletzt werden

Wie reagieren die Verantwortlichen im Bistum Passau auf den Fall? Marius Schwemmer ist seit 2009 Kirchenmusikdirektor. Auch ihn machen die Schlagzeilen um seinen Vorvorgänger immer noch fassungslos: "Ich bin selber Vater. Und ich mag es mir gar nicht vorstellen, wenn man seine Kinder in die Obhut von so jemandem gibt." Hier sei die Nähe, die das Musizieren brauche, auf schlimme Art und Weise missbraucht und pervertiert worden.

Schwemmer blättert im Gotteslob, zeigt auf die kurzen Lieder, unter denen Pater Norberts Name als Texter und Komponist steht. Insgesamt sind es 27 Kehrverse. Daneben liegt der Chorsatz eines Kyries. Schwemmer: "Wir haben schon vor längerer Zeit alle unsere Kirchenmusiker informiert, damit sehr sensibel umzugehen. Betroffene dürfen nicht verletzt oder erneut traumatisiert werden." Schwemmers eindeutige Empfehlung: Webers Musik soll nicht gespielt werden.

Name verschwindet aus Gotteslob

In Arbeit sei eine Handreichung. Eine Art Heft, in dem Alternativen zu Pater Norberts Notenwerken aufgelistet seien und das in die Gesangsbücher eingelegt werden kann. Hier gehe es allerdings noch um urheberrechtliche Fragen, erklärt Schwemmer. Aus dem Gotteslob werden die Kehrverse und somit der Name des Kapuzinerpaters ganz verschwinden. Wann die nächste Neuauflage herausgegeben wird, steht allerdings ebenfalls noch nicht fest. Webers Chor- und Bläsersätze kommen in die Archive. In der Öffentlichkeit sollen sie nicht mehr zu hören sein.

Hohe Dunkelziffer

Im November 2021 kam der Missbrauchsfall, wohl einer der schwerwiegendsten im Bistum Passau, an die Öffentlichkeit. Als schwerer Missbrauchstäter habe Pater Norbert das Leben vieler Menschen negativ beeinflusst, so Generalvikar Josef Ederer im BR-Interview. Etliche litten heute noch darunter. Die Taten erstrecken sich von den 1960er bis in die 1990er Jahre hinein. Da sei lange weggeschaut worden, weiß Ederer. Niemand habe sich etwas sagen getraut. Wohl auch, weil Pater Norbert ein prominenter Kirchenmann gewesen sei. "Jetzt wollen wir genau wissen, was war", betont der Generalvikar mit Blick auf die Missbrauchsstudie, die im Sommer für das Bistum Passau in Auftrag gegeben wurde.

Betroffene: Aufarbeitung nicht mit Tilgung der Musik getan

Im Fall des langjährigen Kirchenmusikdirektors haben sich laut Bistum bei den offiziellen kirchlichen Stellen bisher 17 Betroffene gemeldet. Rolf Fahnenbruck, Sprecher im Betroffenenbeirat, geht von weiteren Opfern aus. Bei ihm hätten sich weitere acht Opfer gemeldet, die in keiner Statistik auftauchen würden. Fahnenbruck: "Ich gehe von einem großen Dunkelfeld aus. Viele wenden sich aus Wut oder Scham nicht an die Kirche. Oder weil sie einfach damit abschließen wollen." Die Aufarbeitung des Falles müsse aber weit mehr sein, als sich mit der Musik des Täters zu beschäftigen. Fahnenbruck interessiert vor allem die Frage, warum so viele Verantwortliche über einen so langen Zeitraum weggeschaut hätten.

Entschädigungen beantragt

Die Pressestelle der Diözese bestätigte dem BR, dass im Fall Pater Norbert bisher fünf Entschädigungsanträge eingereicht worden seien. Drei Betroffene hätten bereits eine Anerkennungsleistung von insgesamt 26.000 Euro bekommen. Zwei Anträge seien noch in Bearbeitung.

Vor einem Jahr wurde bekannt, dass sich der langjährige Passauer Musikdirektor Pater Norbert Weber über Jahrzehnte an Kindern und Jugendlichen vergangen hatte - das Ausmaß ist noch immer ungeklärt. Was geschieht nun mit seinem musikalischen Erbe?
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Vor einem Jahr wurde bekannt, dass sich der Passauer Musikdirektor Pater Norbert Weber an Kindern und Jugendlichen vergangen hatte.

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