Herrenchiemsee
Bildrechte: picture alliance / dpa
Videobeitrag

Herrenchiemsee

Videobeitrag
>

Das Grundgesetz – alles bayerisch oder was?

Das Grundgesetz – alles bayerisch oder was?

Noch bevor in Bonn der Grundstein für die Bundesrepublik Deutschland gelegt wurde, verfassten rund 30 Juristen und Entsandte das Grundgesetz – auf der Herreninsel im Chiemsee. Sie hatten 13 Tage Zeit, um eine neue Verfassung zu entwerfen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Vor 75 Jahren wurde in Bonn der Grundstein für die Bundesrepublik Deutschland gelegt: Damals verabschiedete der parlamentarische Rat das Grundgesetz. Am 23. Mai wurde es feierlich verkündet.

Eine Verfassung sollte es noch nicht geben, zumindest solange, bis West- und Ostdeutschland wieder vereinigt sind. Die große juristische Vorarbeit für das Grundgesetz fand schon 1948 in Bayern statt.

Auf der damals vom Touristentrubel um das König-Ludwig-II-Schloss noch verschonten Insel Herrenchiemsee wurde in knapp zwei Augustwochen die Vorarbeit für das Grundgesetz geleistet. Eine Ausstellung auf der Insel erinnert an die Entstehungsgeschichte.

  • Zum Artikel: Demokratische Sternstunde - So entstand unser Grundgesetz

Verfassungskonvent im ehemaligen Kloster

Die abgeschiedene Herreninsel war vor 76 Jahren der ideale Ort für den Verfassungskonvent, sagt Rupert Grübl bei der Überfahrt vom Hafen Prien mit dem Schiff zur Herreninsel: "Man wollte einfach Abgeschiedenheit und in Ruhe arbeiten, an dieser Konzeption der Verfassung."

Der Direktor der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit war selbst an einer neuen Ausstellung im Verfassungsmuseum auf Herrenchiemsee beteiligt. Die Ministerpräsidenten der Länder einzuladen, Abgesandte auf die Insel zu schicken, bezeichnet Grübl als "Geniestreich" der bayerischen Staatskanzlei und des Chefs Anton Pfeiffer.

13 Tage Zeit für 30 Juristen

Nicht weit vom Bootsanleger steht ein ehemaliges Kloster. Im einstigen Augustiner Chorherrenstift kamen im Hochsommer 1948 insgesamt 30 Juristen und Abgesandte der Bundesländer zusammen. 13 Tage lang. Abgeschieden und fast eingesperrt auf der Chiemseeinsel.

Ihr Auftrag: Eine neue Verfassung für den Nachkriegsstaat erarbeiten. So wollten es die Westalliierten und die Ministerpräsidenten der westlichen Bundesländer. Auch heute noch lassen sich die Orte und Räume entdecken, in denen die 13 Personen an der Verfassung feilten.

Etwa der Plenarsaal im ersten Stock des Klosters: ein dunkler Raum mit kleinen, eng zusammengestellten Tischen, kargen Stühlen und einer nicht ganz zum Ort passenden grün gemusterten Tischdecke, dem Original von damals nachempfunden.

Täter und Opfer des Nationalsozialismus arbeiteten zusammen

Auf den Tischen stehen die Namen der Bundesländer und Teilnehmer. Rupert Grübl nennt diese beengte Situation im Plenarsaal außerordentlich heikel: "Etwas, was mich menschlich nach wie vor tief berührt, ist, dass hier am Tisch Täter und Opfer des Nationalsozialismus zusammengearbeitet haben."

Drei Jahre nach Ende des Krieges saßen hier Hermann Brill aus Hessen, der von den Nazis im Konzentrationslager eingesperrt war. Weiter hinten im Raum saß Theodor Maunz, einer der führenden Juristen des Nationalsozialismus.

Grübl fragt sich heute: "Wie hat das geklappt? Wie sind die Männer miteinander umgegangen?" Das seien Fragen, auf die man heute noch keine Antworten habe. "Aber es ist ihnen trotz allem gelungen, in zwei Wochen hier den Entwurf einer Verfassung unseres Grundgesetzes auszuarbeiten."

Verfassungskonvent nahm viele Grundsätze vorweg

Am Ende der 13 Tage wurde ein zusammenfassender Bericht mit 149 Artikeln zum parlamentarischen Rat nach Bonn geschickt, einem Vorparlament in der Zeit vor der Gründung des neuen Staates.

Über Monate hinweg debattierten Experten, Politiker und Juristen über den Grundgesetz-Entwurf – und trotzdem flossen viele Vorschläge der Herrrenchiemsee-Fassung in das Grundgesetz, sagt Rupert Grübl.

Ein Beispiel dafür: Der Artikel eins ("Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt"). Die Formulierung sei zwar erst im Parlamentarischen Rat entstanden, so Grübl: "Die Idee allerdings stammt vom Konvent von Herrenchiemsee."

Die ursprüngliche Wortwahl der Experten vom Chiemsee lautete: "Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen." "Das ist etwas, was wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen sollten."

Besucher finden Grundgesetz nach wie vor wichtig

Viele Besucher des Verfassungsmuseums sind eher zufällig in der Ausstellung, etwa weil sie nach der König-Ludwig-Schlossbesichtigung am Kloster-Gebäude vorbeilaufen. Eine Frau, die vor den leeren Stühlen im Plenarsaal steht und die Namen der Teilnehmer studiert, sagt: "Das Grundgesetz ist die Grundlage der Demokratie, unserer Demokratie, die wir ja auch durchaus verteidigen."

Ein Mann im Erdgeschoss beschäftigt sich mit den Grenzen, den Alliierten Sektoren in Westdeutschland: "Das Grundgesetz ist die Basis, auf der unser Staat agiert und was unsere Gesellschaft zusammenhält, unser Rechtssystem, unsere gesamte Einstellung zu den Werten, die wir hier in Deutschland haben."

Grundgesetz mit bayerischen Spuren?

Nach vielen Monaten der Debatte wurde am 23. Mai 1949 endlich das Grundgesetz in Bonn verlesen, die Bundesrepublik Deutschland war geboren. Wie bayerisch nun diese Gesetzesgrundlage mit ihrer stark föderalistischen Ausrichtung für den neuen Staat tatsächlich war – da müsse man differenzieren, sagt Rupert Grübl: "Dadurch, dass die Bayern eingeladen haben und die Tagesordnung vorgelegt haben, hatten Sie natürlich eine Art Heimvorteil und sie waren mit klaren Vorstellungen hierhergekommen."

Weil jedoch nicht nur Bayern dabei gewesen seien, sondern auch Vertreter anderer Bundesländer, könne man bei der Verfassung nicht von einer "bayerischen Schöpfung" sprechen, so Grübl.

Bayerischer Landtag lehnte Grundgesetz ab

Später lehnte der Bayerische Landtag das Grundgesetz ab, weil unter anderem die Eigenständigkeit des Freistaats nicht genügend berücksichtigt gewesen sei. Das bayerische Votum fiel jedoch nicht mehr ins Gewicht, weil die nötigen zwei Drittel der westdeutschen Bundesländer das Grundgesetz akzeptiert hatten.

Der Bayerische Landtag ergänzte also die Ablehnung des Grundgesetzes mit einem Bekenntnis zur neuen Bundesrepublik und erkannte die Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes an.

Zum Nachhören: Herrenchiemsee und die Vorarbeit für das Grundgesetz

Blick auf den Gebäudeteil der Anlage von Schloss Herrenchiemsee, in dem die Verfassungsväter 1948 tagten
Bildrechte: pa/dpa/Frank Mächler
Audiobeitrag

Blick auf den Gebäudeteil der Anlage von Schloss Herrenchiemsee, in dem die Verfassungsväter 1948 tagten

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!