Im Münchner Stadtteil Schwabing, direkt an der Kreuzung Zentner- und Agnesstraße, bietet sich dem Spaziergänger ein kurioses Bild: Blauregen und Efeu haben dort eine Hausfassade überwuchert. Mehrere Fenster sind komplett zugewachsen. Wollte jemand die Balkone betreten, er hätte wohl besser eine Machete dabei. Das Gebäude in der Agnesstraße 48 erinnert an ein Urwald-Haus - mitten in der Großstadt. Dutzende Risse durchziehen die Eingangstür aus blind gewordenem Sicherheitsglas. Das Klingelschild ist mit dunklem Panzerband überklebt.
Seit sechs Jahren stehen hier 15 Wohnungen leer. Stefan Jagel blickt auf die abgeklebten Klingeln und schüttelt den Kopf. Er sitzt für die Linke im Münchner Stadtrat und hält den Fall Agnesstraße für einen Skandal: "Seit Jahren sieht man hier dem Investor zu, wie er das Gebäude verfallen lässt und nichts passiert!" Erst nach einer Anfrage seiner Partei Ende 2024 seien die Behörden aktiv geworden, so Jagel.
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Mietenexplosion und Leerstand seit 2016
Das Haus mit den sichtbaren Anzeichen von Verfall steht als Beispiel für den überhitzten Münchner Mietmarkt, den manche Investoren mit Tricksereien weiter anheizen. Das Gebäude gehört einer Firma namens "Agnes 48 UG", eine Tochter des Immobilien-Entwicklers "M-Concept". Beide Firmen haben denselben Geschäftsführer.
Als der 2016 die Agnesstraße 48 übernahm, vertrieb er mit extremen Mietsteigerungen von bis zu 300 Prozent innerhalb von drei Jahren sämtliche Mieter. Das war durch die volle Umlage von Sanierungskosten auf Mieter damals noch möglich. Andrea Nahles, seinerzeit SPD-Fraktionsvorsitzende, kritisierte den Fall 2019 öffentlich in der Haushaltsdebatte des Bundestages als Beispiel für Profitgier und Mietenexplosion.
Als alle Mieter weg waren, holte sich der Eigentümer von der Stadtverwaltung eine Sondererlaubnis, das Haus leer stehen zu lassen. Er bekam die Genehmigung, weil er versprach, im Gegenzug Ersatzwohnungen in Pasing zu bauen. Seitdem steht die Agnesstraße 48 leer und verfällt.
Gebrochene Versprechen des Investors
Das Pikante: Demselben Investor gehörte auch die vollgelaufene Baugrube an der Alramstraße, die als sogenanntes "Sendlinger Loch" traurige Berühmtheit erlangt hat. Hier wie dort ist die Immobilien-Firma durch gebrochene Versprechen aufgefallen. Die Baugrube in Sendling drohte am Ende einzustürzen, weil der Unternehmer weder baute noch Sicherheitsmaßnahmen veranlasste. Beinahe hätte die Stadt gut zwei Millionen Euro Steuergeld für die Absicherung ausgeben müssen – durch einen Verkauf in letzter Minute ging die Instandhaltungspflicht an einen neuen Eigentümer über, der seinen Verpflichtungen nun nachkommt.
Die versprochenen Ersatzwohnungen für die Agnesstraße hätten 2022 fertig sein sollen. Das Gelände in Pasing ist aber bis heute eine Baustelle. Ein Muster zeichnet sich bei dem Investor ab: Grundstücke kaufen, tatenlos liegen lassen und wenige Jahre später mit Profit verkaufen. Bisher ging die Rechnung auf. Aber nach dem Debakel mit dem Sendlinger Loch stellen sich einige Mitglieder des Stadtrats die Frage, ob sie dem Investor nicht zu lange bei seinem Treiben zugesehen haben.
Grün-rote Rathauskoalition fordert Konsequenzen
Sibylle Stöhr von den Grünen fordert Änderungen für die Baugesetzgebung, für die Bund und Länder verantwortlich sind: "Uns sind bei Strafmaßnahmen oft die Hände gebunden. Wir hätten gerne mehr Instrumente an der Hand, mit denen wir bei untätigen Investoren viel früher Zwangsgelder verhängen können", sagt die Stadträtin.
Auch Lars Mentrup von der SPD ist für städtische Sanktionen gegen den Investor: "Es ist auf jeden Fall richtig, dass das Gefühl, dass hier etwas Unmoralisches passiert, am Ende auch mit rechtlichen Folgen geahndet werden kann." Die Stadt werde dafür kämpfen, M-Concept ein Zwangsgeld aufzuerlegen, obwohl es Gerüchte gebe, der Investor sei pleite, so Mentrup. Eine BR-Interviewanfrage zu dem Thema ließ M-Concept unbeantwortet.
Rathaus-Opposition kritisiert zu investorenfreundliche Politik
Stefan Jagel von der Linken meint, das sei alles zu wenig und zu spät. München würde Investoren viel zu weit entgegenkommen, wie man am Beispiel Agnesstraße sehe: "Es kann einfach nicht sein, dass hier in der angespannten Lage, so viel Wohnraum über Jahre ohne Konsequenzen leer steht und damit vernichtet wird", kritisiert der Oppositionspolitiker. Künftig will die Landeshauptstadt beim Wohnungsbau wegen leerer Kassen sogar noch mehr auf Investoren setzen, das wurde gerade im Stadtrat beschlossen.
Beim "Dschungel-Haus" in der Agnesstraße 48 wird wohl erst ein Eigentümerwechsel Bewegung in die Sache bringen. Bis dahin bleibt das Gebäude mit seiner von Kletterpflanzen überwucherten Fassade und 15 leerstehenden Wohnungen mitten in Schwabing ein groteskes Symbol für den Wildwuchs im Münchner Immobilienmarkt.
Dieser Artikel ist erstmals am 3.8.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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