Nachfahrin Miriam Oles hatte gemischte Gefühle bei ihrer Reise nach München. Ihre Eltern seien hier geboren, aber viele aus ihrer Familie wurden von den Deutschen ermordet, berichtet sie. Sie sei hier herzlich empfangen worden, doch damals seien so schreckliche Dinge hier passiert. Sie versuche, das alles gerade in ihrem Kopf zu sortieren.
Gemeinsam mit ihrer Familie hat Miriam Erinnerungszeichen im Münchner Glockenbachviertel angebracht. Ihr Urgroßvater Abraham Schindler lebte mit seiner Familie in der Buttermelcherstraße 14. Er betrieb dort ein Lebensmittelgeschäft und war Vorbeter in der Synagoge, bis er von den Nazis deportiert und in Theresienstadt ermordet wurde. Auch seine Schwester Mina Blumenberg, seine Tochter Judith Steinberg und ihre Familien wurden Opfer der Nazis.
Widersprüchliche Gefühle über die Heimat der Vorfahren
Für die 78-jährige Miriam Oles ist es der erste Besuch in München. Ihr Großvater, der Sohn von Abraham Schindler, konnte mit seiner Frau und den Kindern in die USA emigrieren. Sie lebt heute in New Jersey und ist das älteste Mitglied der Familie. Miriam erzählt, dass sie früher eine sehr negative Sicht von Deutschland hatte, sie konnte nicht einmal die deutsche Sprache ertragen. In den letzten Jahren habe sie viel über die Vergangenheit ihrer Vorfahren geforscht. Die Aktion mit den Gedenktafeln gefalle ihr sehr. Sie sagt: "Ich glaube, die Stadt versucht zu heilen."
Auch ein anderer Nachfahre der Familie, Bernard Frieder, berichtet, dass Deutschland für ihn immer ein No-Go gewesen sei, besonders München als Hauptsitz der Nationalsozialisten. Sein Vater sei der einzige, der sich aus seinem Teil der Familie vor dem NS-Regime retten konnte.
Familie in allen Ecken der Welt verteilt
Von München sei er nun aber sehr beeindruckt. Es habe ihn umgehauen, als er vor einigen Tagen am Marienplatz ausgestiegen sei. Die Stadt sei toll, die Menschen freundlich. Bernard ist froh, die Reise angetreten zu haben, um einige negative Gedanken loslassen zu können.
Für die Nachfahren der Schindlers sei dies außerdem eine Gelegenheit aus allen Ecken der Welt wieder zusammenzukommen. Auch wenn sie immer an den Teil der Familie denken, der von den Nazis für immer ausgelöscht wurde.
20 Angehörige aus Israel nicht dabei
Mehr als 40 Familienmitglieder aus Israel und den USA hatten sich für die Gedenkfeier und das Anbringen der Erinnerungszeichen angekündigt, bevor der Krieg zwischen Israel und dem Iran die Pläne umwarf. 20 Angehörige aus Israel konnten nicht anreisen. Die Rede einer Nachfahrin von Abraham Schindler aus Israel wurde deshalb bei der Gedenkveranstaltung digital übertragen.
Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, erklärte in ihrer Rede, dass die Erinnerungszeichen auf Wunden hinweisen, auf das, was geschehen ist. Die elf Opfer der Familie Schindler gehören zu den mehr als 5.000 Münchner Juden, die den Holocaust nicht überlebten.
Schicksal der Schindler-Familie
Mit dem Beginn der NS-Herrschaft wurde Abraham Schindler und seine Familie verfolgt und entrechtet. 1941 mussten die Schindlers in ein sogenanntes "Judenhaus" ziehen. Abraham Schindler wurde schließlich in das Ghetto Theresienstadt deportiert und im Mai 1943 dort ermordet.
Tochter Judith Steinberg lebte mit ihrer Familie zuerst in München, später in Berlin. Im September 1942 deportierte die Gestapo die Familie nach Riga in Lettland, wo sie vermutlich drei Tage später im Wald von Biķernieki ermordet wurden. Judith Steinbergs Brüdern gelang mit ihren Familien die Emigration in die USA beziehungsweise Israel.
Die anderen Erinnerungszeichen in der Westermühlstraße gedenken Mina Blumenberg, der Schwester von Abraham Schindler, und ihrem Mann Michael, ihrer Tochter Eva Mandel mit Familie und deren Tochter Klara Krippel. Auch sie wurden deportiert oder mussten flüchten. Einigen Familienmitglieder gelang die Emigration.
Erinnerungszeichen
In der bayerischen Landeshauptstadt erinnern mehr als 250 Gedenktafeln und Stelen an Menschen, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. Die Erinnerungszeichen werden an Orten angebracht, an denen diese Menschen lebten. Sie enthalten die wichtigsten Lebensdaten, Angaben zum Schicksal und – falls vorhanden – ein Bild.
Im Audio: Neue Erinnerungszeichen in München
Miriam Oles und ein Teil ihrer Familie beim Anbringen der Erinnerungszeichen.
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