Im unterfränkischen Alzenau werden zwei Schwestern tot in ihrem Haus aufgefunden. Als tatverdächtig gilt der getrennt lebende Ehemann einer der Frauen. In Berichten über die Gewalttat ist vom "blutigen Ende einer Ehe" zu lesen, oder von einem "Familiendrama", das "eskalierte". Die Polizei spricht von einer "Beziehungstat".
Medienforscherin: "Drama" oder "Tragödie" klingen nach Einzelfall
Christine Meltzer, Professorin am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover, sieht solche Formulierungen kritisch. "Wortanhängsel wie 'Drama' und 'Tragödie' suggerieren, dass das plötzlich passiert ist, vollkommen unvorhergesehen, und dass man überhaupt nichts dagegen tun kann", erklärt sie im Gespräch mit BR24. 'Drama' oder 'Tragödie', das klinge nach bedauerlichem Einzelfall. Dabei wird in Deutschland nahezu alle drei Tage eine Frau von ihrem aktuellen oder früheren Partner getötet.
Auch "Beziehungstat" hält die Expertin nicht für treffend. Das Wort verlagere die Verantwortung vom Täter auf die Umstände. Es klingt so, als habe er getötet, weil die (gescheiterte) Beziehung ihn dazu verleitete. Studien belegen [externer Link]: Je nachdem, wie über einen Fall berichtet wird, sehen Rezipienten die Schuld eher beim Täter oder beim Opfer.
Außerdem: "Das Wort verdeckt die Täter-Opfer-Dynamik. Es verschweigt, dass es überproportional viele Männer sind, die Frauen töten. Da ist der Begriff Femizid treffender, weil er genauer ist", so Meltzer.
Femizid: Tötung einer Frau - weil sie eine Frau ist
"Femizid" wurde von der US-amerikanischen Soziologin Diana E. H. Russell in den 70er-Jahren als Begriff für die tödliche Gewalt gegen Frauen entwickelt. Damit gemeint ist, dass eine Frau getötet wird, weil sie eine Frau ist. Zum Beispiel, weil sie sich männlicher Kontrolle entzogen hat und damit nicht der patriarchalen Rollenvorstellung entspricht.
An dem Begriff gibt es jedoch auch Kritik. Das Wort ist nicht eindeutig genug, aus diesem Grund ist es etwa im deutschen Recht nicht gebräuchlich und gilt nicht als Straftatbestand. In anderen Teilen der Erde fallen unter Femizide auch geschlechtsspezifische Tötungen von Föten, weil dort - zum Beispiel aufgrund einer harten Ein-Kind-Politik - weibliche Föten abgetrieben werden.
Polizei: "Femizid" vielen als Begriff nicht geläufig
Das Polizeipräsidium Unterfranken erklärt auf Anfrage von BR24, der Begriff "Beziehungstat" sei in der Pressemitteilung zum Fall in Alzenau genutzt worden, als klar wurde, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um den Ehemann handelte. Das Wort "Femizid" sei vielen Menschen nicht geläufig. Unter "Beziehungstat" könne sich jeder etwas vorstellen.
Meltzer kann diese Erklärung nachvollziehen, will sie aber nicht ganz gelten lassen. "Ich würde der Polizei sogar zustimmen, dass ich glaube, das Wort Femizid klingt erst mal - wenn man es noch nie gehört hat - fremdsprachlich", räumt sie ein. "Aber wenn ein Wort nicht geläufig ist, kann man ja darüber aufklären. Da kann man ja einen Satz einschieben und erklären, was man unter dem Begriff versteht."
Bildsprache: Nicht nur die Täterperspektive zeigen
Ein sorgsamer Umgang betrifft allerdings nicht nur Texte, sondern auch die Bildauswahl: eine Männerfaust, bereit zum Schlag, darunter kauert in einer Ecke zusammengekrümmt eine Frau. Das ist ein wiederkehrendes Motiv, wenn Medien über Femizide berichten. Oft greifen Journalisten zu Symbolbildern, die die Perspektive des Täters zeigen, der von oben auf sein Opfer blickt.
Das Projekt "Genderleicht & Bildermächtig" vom Journalistinnenbund e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine bessere Bebilderung anzuregen. "Bilder haben die Kraft, Emotionen zu wecken und komplexe Themen zu vermitteln", heißt es in einem auf der Seite veröffentlichten Leitfaden [externer Link].
Es sei auch wichtig, Heilungsprozesse darzustellen und Protestaktionen zu zeigen. Bilder, die das entschlossene Handeln gegen Gewalt zeigen, seien "mächtige Werkzeuge, um positive Veränderungen zu fördern".
Hilfe bei Gewalt
Sollten Sie selbst von Gewalt betroffen sein: Die Hilfetelefone "Gewalt gegen Frauen" und "Gewalt an Männern" beraten kostenfrei und anonym. Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" erreichen Sie unter 08000/116016, das Hilfetelefon "Gewalt an Männern" unter 0800/123 9900.
Auch der "Weisse Ring" hilft Menschen, die Opfer von Gewalt und Kriminalität geworden sind. Sie erreichen den "Weissen Ring" telefonisch unter 116 006.
Dieser Artikel ist erstmals am 27.6.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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