Der 2. April ist für Bernd Schaller ein Datum, das eingraviert ist in seine eigene Biografie. Der 2. April 2010 war ein Karfreitag. An diesem Tag wurden Bundeswehrangehörige in die längsten und heftigsten Kampfhandlungen verwickelt, an denen deutsche Soldaten seit dem zweiten Weltkrieg beteiligt waren – heute bekannt als "Karfreitagsgefecht". Nahe der Ortschaft Isa Khel in Afghanistan waren deutsche Fallschirmjäger in einen Hinterhalt der Taliban geraten. Sie wurden über Stunden hinweg unter schweren Beschuss genommen. Drei Männer fielen, acht weitere wurden teils schwer verwundet.
Schaller war damals als Militärseelsorger vor Ort. Im Feldlager in Kunduz erlebte er mit, was sich in der Nähe abspielte. Er hörte zu, tröstete. Wenn er zurückdenkt, dann spricht er davon, dass er "einfach nur funktioniert" habe – auch, als er dem Spieß der an den Kämpfen beteiligten Kompanie die Nachricht vom Tod der drei Soldaten überbrachte. Schaller half, die Leichen aus einem Transportpanzer zu laden. "Bestimmt eine Schachtel" habe er geraucht, erinnert sich der Nichtraucher. Bei den Soldaten zu sein, dass sei ihm damals wichtig gewesen – gemeinsam mit ihnen "die Stille auszuhalten".
Aus Augsburg nach Afghanistan
Bernd Schaller stammt aus Augsburg. Im Augsburger Dom wurde er zum Priester geweiht. Inzwischen ist er Katholischer Leitender Militärdekan in Berlin. Als Militärseelsorger trägt er eine Uniform, aber ein Kreuz anstelle der Rangabzeichen. Seine Aufgabe ist es, Soldaten und Angehörige zu begleiten.
Heute – am 15. Jahrestag des Karfreitagsgefechts – wird sich Schaller von Berlin aus in die Nähe von Potsdam aufmachen. Dort will er den "Wald der Erinnerung" besuchen. In der Gedenkstätte wurden die Ehrenhaine aus den Auslandseinsätzen der Bundeswehr wiedererrichtet. Auch der aus dem Feldlager in Kunduz steht dort. Es ist eine Wand aus Ziegelsteinen. Daran angebracht sind Tafeln mit den Namen der Gefallenen. Der "Wald der Erinnerung" ist kein steriler Gedenkort. An vielen Bäumen hängen Erinnerungsstücke von Kameraden und Angehörigen, darunter laminierte Kinderzeichnungen.
Aufwühlende Besuche
Als der BR Bernd Schaller vor rund zwei Jahren bei einem solchen Besuch begleitete, sprach der Seelsorger davon, wie sehr ihn das jedes Mal aufwühle: "Elf Namen aus dem Afghanistaneinsatz" begegne er im Wald der Erinnerung wieder, erzählte er.
Auch jetzt spricht Bernd Schaller davon, dass ihn insbesondere das Karfreitagsgefecht noch immer beschäftige – gerade auch deshalb, "weil wir uns derzeit als Militärseelsorger mit unseren Aufgaben im Rahmen eines Szenarios der Landes- und Bündnisverteidigung auseinandersetzen".
In seinem Büro steht bis heute das "Kontingentbuch" – eine Art Album, das Angehörige des Einsatzkontingents vor Ort mit Erinnerungen für später gefüllt haben. Schaller hat es vor dem 15. Jahrestag wieder einmal aufgeschlagen. Er selbst hatte damals eine Seite mit Worten zum Gedenken an die Gefallenen beschrieben. Zentral ein Zitat des Dichters Johann Gottfried Säume: "Nur der ist der Edelste, der das Meiste für das Vaterland tut und das Wenigste dafür genießt."
Der Ehrenhain des Feldlagers in Kunduz wurde im "Wald der Erinnerung" bei Potsdam wiedererrichtet.
Karfreitagsgefecht: Eine Zäsur
Das Karfreitagsgefecht war allerdings nicht nur eine Zäsur für den Seelsorger. Es war eine Zäsur für die Bundeswehr. Und es trug entscheidend dazu bei, die Sichtweise auf den Afghanistan-Einsatz zu verändern.
Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sprach wenig später vom Krieg in Afghanistan. Wörtlich sagte er: "Was wir am Karfreitag bei Kunduz erleben mussten, das bezeichnen die meisten verständlicherweise als Krieg. Ich auch."
Karfreitagsgefecht: Und heute?
Wie der NDR berichtet, stellen sich im Hinblick auf die Aufarbeitung der Geschehnisse bis heute Fragen. Beteiligte des Gefechts zweifeln demnach an Entscheidungen von Vorgesetzten und sagen, das Gefecht wäre vermeidbar gewesen. Dem Bericht zufolge schweigt die Bundeswehr dazu.
Innerhalb der Truppe hat sich unterdessen eine Art Graswurzelbewegung entwickelt. Mit einem Gedenkmarsch erinnern Soldaten und Reservisten Jahr für Jahr an das Karfreitagsgefecht. Heute und in den kommenden Tagen auch an mehreren Orten in Bayern, etwa in Mittenwald, Kaufbeuren, Kümmersbruck oder München.
Die Sendung, für die der BR Bernd Schaller im Jahr 2023 in den Wald der Erinnerung begleitet hat, können Sie in der ARD-Audiothek als Podcast nachhören. Aufrufbar ist sie unter diesem Link.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!