Wie in Zeitlupe fahren sie übers Feld. "Gurkenflieger", so werden die Erntefahrzeuge für die Gurkenernte genannt. Auf zwei Tragflächen liegen Saisonarbeitskräfte auf dem Bauch, Gesicht und Arme in Richtung Boden. Während sie langsam übers Feld gezogen werden, ernten sie von Hand Einlegegurken – jeden Tag, den ganzen Sommer lang.
Saisonarbeiter: "Uns tut alles weh"
Viorel Popurca kommt dafür seit 20 Jahren nach Badersdorf im Landkreis Dingolfing-Landau. Für "gutes Geld" geht er jeden Tag um sechs Uhr aufs Feld. Der Preis: "Uns tut alles weh, wir haben Brustschmerzen, Rückenschmerzen, dazu die Hitze in der prallen Sonne, es ist hart." Viorel arbeitet auf dem Hof von Herbert Mühlbauer. Der geht noch weiter und spricht von einer "Scheißarbeit" – in seinen Augen einer der härtesten Jobs in der Landwirtschaft.
Wie hart es bei der Gurkenernte wirklich zugeht und warum dem Gurken-Paradies Niederbayern eine ungewisse Zukunft bevorsteht, sehen Sie hier im Video:
Mindestlohn für Saisonarbeiter: So hart ist die niederbayerische Gurkenernte
Niederbayern ist Gurken-Paradies
Die Gurkenernte beginnt Mitte Juni und zieht sich bis in den September. Niederbayern ist Gurken-Hochburg, die Region um Dingolfing und Deggendorf gilt als größtes zusammenhängendes Anbaugebiet Europas. Etwa 30 Betriebe sind laut dem Bayerischen Landwirtschaftsministerium hier aktiv, sie bewirtschaften etwa 1.000 Hektar. Mehr als jede zweite Einlegegurke in Deutschland stammt aus Niederbayern.
Bodenverhältnisse, Witterung, auch die Konservenindustrie, die sich in der Umgebung entwickelt hat – alles passt, erklärt Mühlbauer, der seit den Anfängen des niederbayerischen "Gurken-Booms" vor 35 Jahren Teil der Branche ist und einer Erzeugergemeinschaft vorsteht. Doch wie lange hält dieser Boom noch an?
Saisonarbeiter sind auf Geld angewiesen
Herbert Mühlbauer und sein Sohn Florian sind wie alle Gurkenbetriebe auf Saisonarbeitskräfte angewiesen. Vor Ort brauche man die nicht suchen, "wir haben hier noch nie einen Deutschen liegen gehabt", erklärt Florian Mühlbauer. Seit Jahrzehnten kommen seine saisonalen Mitarbeiter aus Osteuropa – erst aus Polen, mittlerweile größtenteils aus Rumänien.
Auf dem "Gurkenflieger" von Viorel Popurca liegen ausschließlich Männer und Frauen aus Rumänien. Die harte Belastung lohne sich, erklärt er: "In Rumänien bin ich auch in der Landwirtschaft. Aber da verdiene ich nicht genug Geld. Deswegen muss ich hierherkommen. Klar, zum Geld verdienen." Statt etwa 300 Euro im Monat bekommt er in Deutschland den Mindestlohn, kommt so auf mehr als 2.000 Euro. Sozialabgaben fallen für ihn nicht an.
Muss "Flieger"-Personal eingeflogen werden?
Dennoch werde es immer schwieriger, geeignete Leute zu finden, die sich diesen Job antun, merkt Florian Mühlbauer an: "Viele finden nun auch zuhause gute Arbeit, was zu begrüßen ist, darüber bin ich ja auch froh. Auch in Rumänien gibt es diese Entwicklung." Die Zukunft der niederbayerischen Gurkenproduktion sei deswegen ungewiss. Die Branche fürchtet, Arbeitskräfte künftig einfliegen zu müssen, ergänzt Herbert Mühlbauer. "Dann kommt nicht mehr der Bus mit Saisonarbeitskräften, sondern der Flieger. Also ein echter Flieger, nicht der Gurkenflieger."
Debatte um Mindestlohn für Saisonarbeitskräfte
Das hätte Folgen, würde mehr Bürokratie und Reiseaufwand bedeuten – insgesamt also mehr Personalkosten. Die werden in der Landwirtschaft derzeit ohnehin heftig diskutiert. Anlass dafür ist der Mindestlohn, der in den nächsten Jahren stufenweise erhöht werden soll. Bauern und Verbände fordern eine Ausnahme für Saisonarbeitskräfte, sie fürchten um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Gewerkschaften halten dagegen: Erntehelfer seien keine Arbeiter zweiter Klasse und verdienten ebenfalls die Mindestlohnerhöhung.
Steigt der Essiggurken-Preis?
Das Kernproblem: Einerseits könnte ein höherer Mindestlohn zwar ein Anreiz sein, dass auch weiterhin Saisonarbeitskräfte nach Deutschland kommen. Andererseits fürchten Landwirte, dass das Glas Essiggurken bei steigenden Preisen einfach durch günstigere Importware verdrängt werden könnte. Essiggurkenhersteller aus der Türkei oder Indien stünden schon bereit, erklärt Landwirt Herbert Mühlbauer. Zwar stehe die Branche nicht vor dem Aus – die Bedingungen aber würden härter und schwieriger. Mehrere Betriebe hätten in den letzten Jahren dichtgemacht, die Anbaufläche sei rückläufig, das bestätigt das bayerische Landwirtschaftsministerium.
Verbraucher wünschen sich Regionalität – zu jedem Preis?
Der Selbstversorgungsgrad mit Gemüse lag im vergangenen Jahr bei etwa einem Drittel. Noch mehr Importprodukte – das würde zumindest dem erklärten Wunsch der Verbraucher widersprechen. Laut dem Ernährungsreport des Bundeslandwirtschaftsministeriums liegt Regionalität hoch im Kurs. Im vergangenen Jahr erklärten 84 Prozent der Deutschen: Ihnen sei wichtig, dass Obst und Gemüse aus der eigenen Region stammen.
Dass die Verbraucher im Bewusstsein für Regionalität jede Preissteigerung mitgehen würden, bezweifelt jedoch Gurkenhersteller Florian Mühlbauer. Nicht das gesprochene Wort entscheide darüber, wo der Groschen hinfällt. Sondern nur das Piepsen an der Kasse. Daran hänge letztlich, ob die "Gurkenflieger" auch in Zukunft über Niederbayern abheben werden.
Der Gurkenflieger ist ein Gerät zum Ernten von Gurken.
Dieser Artikel ist erstmals am 27. Juli 2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!