Ein Polizist nimmt einem Mann Handschellen ab. (Symbolbild)
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Ist man haftunfähig, kann das Urteil nicht vollstreckt werden. Die Hürden sind aber hoch. (Symbolbild)
Bildrechte: picture alliance/dpa | Boris Roessler
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Ist man haftunfähig, kann das Urteil nicht vollstreckt werden. Die Hürden sind aber hoch. (Symbolbild)

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Haftunfähigkeit: Kann man nicht auch im Gefängnis krank sein?

Haftunfähigkeit: Kann man nicht auch im Gefängnis krank sein?

Ist ein Verurteilter haftunfähig, wird er entlassen. Ausgelöst durch die Prozesse gegen Alfons Schuhbeck, diskutieren User bei BR24: Kann man nicht auch im Gefängnis krank sein? Wann ist man haftunfähig? Wie hoch sind die Hürden?

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Vor dem Landgericht München I muss sich Alfons Schuhbeck aktuell wegen Insolvenzverschleppung und des Betrugs mit Corona-Hilfen verantworten. Am Dienstag erklärten die Anwälte des Starkochs, dass er an einer unheilbaren Tumorerkrankung leide. Bereits in einem früheren Verfahren war Schuhbeck wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden – die Haft wurde aber wegen seines Gesundheitszustands unterbrochen.

User fragen: Kann man nicht auch im Gefängnis krank sein?

Bei BR24 entbrannten unter beiden Beiträgen Diskussionen zum Thema "Haftunfähigkeit". So schrieb etwa "Kontroller", dass eine solche Maßnahme "keine Sonderbehandlung" sei, sondern dass eine "Strafaussetzung aufgrund schwerer Erkrankungen" nicht nur bei Schuhbeck vorkäme. Wiederum andere Nutzer wie zum Beispiel "Nalegack" oder "OberstichtUnter" hinterfragten, ob man nicht auch im Gefängnis krank sein könne.

Wenn jemand krank ist, bedeute das nicht sofort, dass er deshalb auch haftunfähig ist, erklärt Rechtsanwältin Michaela Landgraf im BR24-Gespräch. Landgraf sitzt im Vorstand des Bayerischen Anwaltverbands. Ihr zufolge geht es in vielen Fällen darum, einfach nur eine passende Justizvollzugsanstalt zu finden. "Es gibt in Bayern schon einige, die so gut ausgestattet sind, dass zum Beispiel Blinde oder Rollstuhlfahrer den Haftalltag dort gut bestreiten können", sagt Landgraf.

Haftunfähigkeit: Es gibt keine Checkliste

Eine Haftunfähigkeit liege dann vor, wenn davon auszugehen ist, dass die betreffende Person den Haftalltag nicht überstehen könne. Geregelt ist das in Paragraf 455 der Strafprozessordnung. Demnach kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unterbrochen oder aufgeschoben werden, wenn die verurteilte Person in Geisteskrankheit verfällt, die Erkrankung in der Anstalt oder einem Anstaltskrankenhaus nicht erkannt oder behandelt werden kann oder wenn eine nahe Lebensgefahr besteht.

"Es gibt keine Checkliste, bei welchen Krankheiten man haftunfähig gesprochen wird und bei welchen nicht", so Landgraf. Es handele sich dabei immer um Ermessensentscheidungen der Gutachter. So könne etwa ein und dieselbe Erkrankung bei verschiedenen Personen sehr unterschiedlich verlaufen oder ausgeprägt sein, erklärt ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums.

Gutachter treffen Einzelfallentscheidungen

"Die Ansprüche an die Haftunfähigkeit sind sehr hoch", erklärt Maria Stöckel-Biallas, Leiterin des Gerichtsärztlichen Diensts beim Oberlandesgericht München im BR-Gespräch. So seien etwa Depressionen oder Selbstmordankündigungen keine Gründe, da diese auch in Haft behandelt werden könnten.

Job der Gutachter sei es, für jeden Einzelfall Gutachten hinsichtlich der psychiatrischen Fragestellungen anzufertigen. "Wenn ein Häftling zum Beispiel so krank ist, dass er den Sinn der Haft nicht mehr erkennen kann, ist er haftunfähig." Bei körperlichen Problemen würden zumeist Spezialisten, wie etwa Internisten, hinzugezogen.

Haftunfähige werden entlassen: Es gibt Ausnahmen

"Haftunfähigkeit bedeutet, dass die Strafe nicht vollstreckt werden kann", so Landgraf vom Anwaltverband. Der Häftling werde in so einem Fall aus der Haft entlassen. Dabei gibt es aber Ausnahmen, zum Beispiel die öffentliche Sicherheit betreffend. Wenn ein Verurteilter trotz oder wegen seiner schweren Erkrankung so gefährlich sei, dass seine Inhaftierung im Interesse der Allgemeinheit sei, müsse der Vollzug fortgesetzt werden, so ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums. Dies sei zum Beispiel der Fall, wenn die Gefahr bestehe, dass der Verurteilte in Freiheit weitere erhebliche Straftaten wie Tötungsdelikte begehe. In solch einem Fall würde man die notwendigen medizinischen Gegebenheiten vermutlich notfalls schaffen, so Landgraf.

Haftunfähigkeit wird überprüft

Generell werde die Haftunfähigkeit immer wieder aufs Neue überprüft. Denn: Wenn die betreffende Person geheilt ist oder wenn eine JVA die Behandlung des Häftlings trotz seiner Erkrankung sicherstellen kann, werde die Person wieder inhaftiert. Es sei denn, die Vollstreckung sei in der Zwischenzeit verjährt, erklärt Landgraf.

Auch bei der Überprüfung gibt es Ausnahmen: Bei einigen chronisch Kranken würden die Nachuntersuchungen entfallen, erklärt Stöckel-Biallas. "Das trifft zum Beispiel bei einer Alzheimer-Demenz zu, weil sich diese im Verlauf weiter verschlechtert."

Unterschied zwischen haftunfähig und verhandlungsunfähig

Bezogen auf den Schuhbeck-Fall sprach der User "Bassdscho" noch den Unterschied zwischen Haftunfähigkeit und Verhandlungsunfähigkeit an. Er fragte, wie Alfons Schuhbeck haftunfähig sein könne, wo er doch vor Gericht eine Aussage machen konnte und daher offenbar verhandlungsfähig war.

Wie bei der "Haftfähigkeit" werde auch bei der "Verhandlungsfähigkeit" eine Einzelfallentscheidung gefällt, sagt Landgraf. Bei der Verhandlungsfähigkeit gehe es darum, zu prüfen, ob etwa der Angeklagte in der Lage ist, der Verhandlung zu folgen. Die Verhandlungsfähigkeit könne temporär zum Beispiel durch eine einfache Erkrankung wie Magen-Darm-Beschwerden oder eine anstehende Geburt unterbrochen sein. Etwa bei Palliativ-Patienten könne eine Verhandlungsunfähigkeit auch dauerhaft bestehen.

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