Das bayerische Wappen klebt an einer Glastür zum Plenarsaal im bayerischen Landtag.
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Hitzige Landtagsdebatte über mutmaßlichen Folterskandal

Hitzige Landtagsdebatte über mutmaßlichen Folterskandal

Die Grünen sprechen von "Söders Guantanamo", CSU und Freie Wähler sind empört über diese "Entgleisung": Die Debatte über Konsequenzen aus dem mutmaßlichen Folterskandal im Landtag ist hitzig. Minister Eisenreich setzt auf einen sachlichen Ton.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Tritte ins Gesicht, "Prügel-Orgien", gebrochene Rippen und Blutergüsse: Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Toni Schuberl, nutzt den Beginn seiner Rede im Plenum, um die mutmaßlichen Missstände in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Gablingen in Erinnerung zu rufen. "Wir haben davon gehört, dass Menschen splitterfasernackt und ohne Unterwäsche auf dem Boden schlafen mussten."

Als politisch verantwortlich sieht der Grünen-Politiker den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). "Das ist Ihr Guantanamo, Herr Söder!", sagt Schuberl. "Sie sollen endlich aufhören, sich hier immer feige wegzuducken." Söder selbst ist nicht im Plenum, sein Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) ruft: "Unverschämte Entgleisung!"

Mehr als drei Wochen eingesperrt

In der JVA Gablingen waren Häftlinge bis zu 24 Tage am Stück in einen besonders gesicherten Haftraum (bgH) eingesperrt worden. Einzelne Beschäftigte sollen Gefangene dort misshandelt haben, die Staatsanwaltschaft ermittelt – bis zu einer möglichen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.

In den speziellen Hafträumen werden Häftlinge untergebracht, wenn von ihnen eine Gefährdung gegen sich oder andere ausgeht. Die Räume sind völlig leer, um Verletzungen möglichst auszuschließen.

Die Grünen haben acht Anträge vorgelegt, um Konsequenzen aus den Vorfällen zu ziehen: Die Fraktion fordert unter anderem, alle Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen im Justizvollzug zu überprüfen, eine lückenlose Dokumentation von Grundrechtseingriffen in Gefängnissen, bessere Kontrollen und einen Ausbau der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung. Es gelte, "Söders Guantanamo" zu schließen.

CSU weist Grünen-Kritik zurück: "Schäbig"

Die CSU-Abgeordnete und Vorsitzende des Rechtsausschusses im Landtag, Petra Guttenberger, zeigt sich "fassungslos" über Schuberls Rede. "Hier geht es nicht um die Verbesserung der Situation von Gefangenen", beklagt sie. "Es geht darum, Angst und Schrecken zu schüren."

Schuberl tue so, als sei seit Bekanntwerden der "wirklich entsetzlichen Vorwürfe" gar nichts passiert. Das sei "schäbig". Denn mittlerweile seien mehrere der geforderten Maßnahmen schon eingeführt worden. Sie wirft den Grünen vor, alle Beschäftigten im Justizvollzug unter einen Generalverdacht zu stellen.

AfD warnt vor "Kuschelstrafvollzug"

Der rechtspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Rene Dierkes, warnt, die Grünen wollten aus "ideologischen Gründen" einen "Kuschelstrafvollzug" etablieren. Die Vorschläge führten zu einer Aufweichung der Sicherheitsstandards und einem Anstieg der Kriminalität in den Gefängnissen. Haft müsse immer noch Sanktion sein und keine "Wohlfühloase". Bevor am bestehenden System etwas geändert werde, müsse erst das Ergebnis der Ermittlungen abgewartet werden.

Freie Wähler fordern Entschuldigung

Der Freie Wähler-Abgeordnete Alexander Hold fordert vom Grünen-Politiker Schuberl eine Entschuldigung. "Meinen Sie das wirklich ernst, wenn Sie von 'Söders Guantanamo' sprechen?" Wenn Schuberl bayerische Gefängnisse mit dem Internierungslager vergleiche, diskreditiere er die Rechtsstaatlichkeit in Bayern. "Ich halte das für eine Schande für einen Demokraten."

Hold beklagt, dass ein falsches Bild von der Lage in Gefängnissen gezeichnet werde. Die Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen sei keine Strafe. "Das ist dann, wenn Menschen fremdgefährdend oder selbstgefährdend sind."

SPD: "Zeitenwende" im Strafvollzug

SPD-Rechtsexperte Horst Arnold kritisiert, bis zu den Enthüllungen zu Gablingen seien Informationen über problematische Vorfälle von Minister Georg Eisenreich (CSU) ferngehalten worden. Aber Berufung auf Nichtwissen dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass Eisenreich politisch verantwortlich sei. Mittlerweile sei jedoch eine "Zeitenwende in der Politik des Strafvollzuges" eingeleitet worden. "Herr Eisenreich, Sie haben vieles danach getan, was richtig und wichtig ist." Die Anträge der Grünen könnten dennoch dazu beitragen, richtige Maßnahmen zu finden. "Nicht alles ist stimmig, aber einiges ist zielführend."

Minister Eisenreich: Rückhaltlose Aufklärung

Justizminister Eisenreich setzt in seiner Antwort auf einen sachlichen Ton. Er bekräftigt, dass die Vorwürfe "rückhaltlos aufgeklärt" würden. Zudem gehe es um notwendige Konsequenzen aus den Vorfällen. Dabei müssten schwierige Wertungsfragen beantwortet werden, wie eine bessere Balance zwischen Schutzmaßnahmen und Grundrechten gefunden werden könne. "Wenn wir die Schutzmaßnahmen reduzieren, dann erhöht sich sozusagen der Grundrechtsschutz." Aber es erhöhe sich auch das Risiko, "dass etwas passiert und dass es mehr Selbstmorde gibt."

Deswegen habe er eine unabhängige interdisziplinäre Kommission eingesetzt, die insbesondere die Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen in den Blick nehmen solle. Ihr gehörten Juristen und Praktiker aus verschiedenen Bereichen an. Die Kommission solle bis Ende des Jahres Leitlinien für die Unterbringung und für die Ausstattung der Einrichtungen erarbeiten.

Ein Teil der Grünen-Anträge betreffe die Arbeit der Kommission, der man nicht vorgreifen solle. "Ein anderer Teil ist bereits von mir umgesetzt worden", betont der Minister. So sei beispielsweise mit unangekündigten Besuchen in JVAs begonnen worden. Beschwerden würden mittlerweile statistisch genau erfasst, um Auffälligkeiten schneller zu erkennen. Berichtspflichten an das Ministerium seien verschärft worden.

Die Anträge der Grünen wurden mit den Stimmen von CSU, Freien Wählern und AfD abgelehnt.

Die JVA Gablingen von außen.
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Die JVA Gablingen von außen.

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