Igeljunge sind häufig unterernährt
Bildrechte: BR/LBV/Andreas Giessler
Audiobeitrag

Igel fressen sich noch Winterspeck an

Audiobeitrag
>

Igel – Wildtier des Jahres und bedrängte Art

Igel – Wildtier des Jahres und bedrängte Art

In Deutschland gehen die Igelbestände zurück, doch wissenschaftliche Daten zu ihrer aktuellen Verbreitung fehlen. Deshalb ruft der Bund Naturschutz zur "Igel-Challenge" auf. Die Mitmachaktion soll zeigen, wo Igel besonders schutzbedürftig sind.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Bis zu 8.000 Stacheln hat ein Igel, um sich gegen Feinde zu wehren. Bei Gefahr rollt er sich zusammen. Doch gegen Veränderungen in seiner Lebenswelt kann sich auch ein Igel nicht schützen.

Igelhelfer aus Oberbayern in Sorge

Iris Bodensteiner ist ehrenamtliche Igelhelferin in Gröbenzell im oberbayerischen Landkreis Fürstenfeldbruck – und sie ist besorgt: "Igelmütter sind nicht mehr in der Lage ihre Babys zu versorgen. Dass man im Herbst Kleine kriegt, das ist normal, aber nicht unterernährte Igel im Sommer, die keine Chance mehr haben Futter zu finden."

Das erwachsene Igelweibchen in ihrer Hand schnieft und rollt sich zusammen, wenn Iris Bodensteiner es zum täglichen Wiegen mitnimmt. Abgemagert, mit Atemnot und voller Fliegeneier wurde das Tier vor Wochen gefunden. "Der Igel hat Antibiotika bekommen und ist entwurmt worden, gegen die Innenparasiten. Die bekommen Igel, weil sie in ihrer Verzweiflung so viele Schnecken fressen. Käfer, Larven etc. finden sie nicht mehr. Und die Parasiten verursachen dann eine Lungenentzündung", erzählt die Tierfreundin.

Iris Bodensteiner betreut mit 20 Ehrenamtlichen allein im Landkreis Fürstenfeldbruck circa 400 Tiere jährlich, die unterernährt, krank oder verletzt sind. Sie bemerke dabei, dass die Zahl hilfsbedürftiger Tiere rund ums Jahr steige.

Besserer Artenschutz dank App und Igel-Schnappschuss

Doch Einzelbeobachtungen reichen nicht für gezielte Artenschutzmaßnahmen, es fehlen verlässliche Daten. Deshalb ruft der Bund Naturschutz (BUND) deutschlandweit zur "Igel-Challenge" [externer link] auf, einer einjährigen Mitmachaktion. Gedacht ist der Wettbewerb als spielerischer Versuch, Interesse an der schwierigen Situation der Tiere zu wecken und offene Fragen rund um ihre Verbreitung zu klären.

Wer beim Wettbewerb einen Preis für eine Igel-Meldung bekommen möchte, kann bis Oktober 2025 auf Igel-Fotosafari gehen. Martina Gehret vom BUND erklärt, wie das Bürgerforschungsprojekt funktioniert: "Man braucht ein Smartphone mit Kamera und lädt die kostenfreie App 'Observation.org' aufs Handy. Wer nach der Registrierung zufällig einen Igel entdeckt, der fotografiert das Tier, entweder direkt mit der App oder lädt ein Foto aus der Galerie hoch."

Große Teilnehmerzahl soll langfristig den Igelschutz verbessern

Beim Wettbewerb geht es nicht darum, wer die meisten Igel fotografiert. Jazek Nitsch leitet die Wildtierstation im Tierheim München. Ihm ist wichtig, dass teilnehmende Igelfreunde nicht zu hohe Erwartungen haben, denn nächtliche Igelbegegnungen seien selten. Gesunde Igel sind nachtaktiv: Wenn die Temperaturen unter zehn Grad sinken, beginnen sie mit dem Winterschlaf.

Der Wildtierexperte warnt deshalb davor, bei der "Igel-Challenge" womöglich Tiere zu stören: "Bitte immer das Tierwohl beachten und nicht Igel-Nester öffnen oder in Igelschlafhäuser gucken. Nur zufällige Beobachtungen liefern Informationen und Zahlen, die nützlich sind."

Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) begleitet seit 2023 ein deutschlandweites Bürgerforschungsprojekt, für das sich der LBV, die Deutsche Wildtierstiftung, NABU|naturgucker und weitere Partner zusammengeschlossen haben. Bisher wurden bundesweit über 16.600 Igel gemeldet, davon knapp 2.300 in Bayern. Ende September erfolgte eine 10-tägige Maulwurf- und Igelmeldungsaktion. Angelika Nelson vom LBV erklärt, die Meldedaten werden wissenschaftlich ausgewertet und sollen Aufschluss geben über das Ausmaß der Gefahrenquellen für Igel.

Warum bricht die Zahl der Igel vielerorts ein?

Der einst weitverbreitete Igel steht heute auf der Vorwarnliste bedrohter Arten. Probleme verursachen Unfälle im Verkehr und tödliche Gefahr droht durch Mähroboter. Dazu kommt die Zerstörung seines natürlichen Umfelds durch die Landnutzung. Felix Hälbich vom Bund Naturschutz in Bayern sagt: "Der Lebensraum des Igels ist gefährdet, durch äußere Umwelteinflüsse wie beispielsweise Pestizideinsatz in der Landwirtschaft und den Klimawandel. Nach unserer Einschätzung gehen die Igelzahlen zurück."

Auch die Verdichtung der Städte, also das Verschwinden verwilderter Grünflächen, setzt die Igelpopulation unter Druck. So sind laut einer Schweizer Studie die Igelzahlen innerhalb weniger Jahre allein in Zürich um 40 Prozent eingebrochen. Die Forscher sehen auch die zunehmende Dauerbeleuchtung als eine Ursache dafür, denn Lichtverschmutzung dezimiert die Zahl nachtaktiver Insekten.

Wie sieht ein zukunftsfähiger Lebensraum für Igel aus?

Auf der Karte seiner Website "Igel-in-Bayern" verzeichnet der Landesbund für Vogel- und Naturschutz LBV seit 2015 jederzeit Igelmeldungen. Die meisten Tiere werden rings um Städte und Gemeinden gesichtet, oft in buschreichen Freiflächen und Parks oder im eigenen insektenfreundlichen Garten. Hier können Stauden und Hecken, Igelschlafhäuser, bei Bedarf geeignetes Beifutter mit Mehlwürmern oder Laubhaufen als Versteck den Bestand sichern.

Auch wenn ein Bürgerforschungsprojekt wie die "Igel-Challenge" kein wissenschaftlich überwachtes Monitoring ersetzt, liefern die Teilnehmer mit ihren Fotos wichtige Informationen zum Gesundheitszustand und den Lebensräumen der Igel. Eine KI soll absichern, dass Mehrfachsichtungen einzelner Tiere das Ergebnis nicht verzerren. Im nächsten Jahr werten Experten die Daten aus, um Igel mit gezielten Maßnahmen besser schützen zu können.

Ein wissenschaftliches Monitoring von Wildtierarten findet in Deutschland nur punktuell statt, es ist, wie auch Wildtier-Schutzmaßnahmen, gesetzlich nicht vorgeschrieben. Für Igel fehlen deshalb Bestandszahlen durch Behörden, die wiederum auf Citizen-Science Projekte verweisen. Erforscht werden vor allem Tierarten wie Wildschweine, die etwa Seuchen verbreiten können, oder Tierarten, die bereits auf der Roten Liste gefährdeter Tierarten stehen, etwa durch das Artenschutzzentrum am Bayerischen Landesamt für Umwelt.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!