Juliane Hiermannsberger aus dem Altöttinger Holzland.
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Kriegsende in Bayern – Zeitzeuginnen erinnern sich

Kriegsende in Bayern – Zeitzeuginnen erinnern sich

Wie erlebten die Menschen auf dem Land die ersten Wochen und Monate nach dem 8. Mai 1945? Zwei nahezu 100-jährige Zeitzeuginnen aus dem Landkreis Altötting berichten über einschneidende Erlebnisse. Ein Historiker ordnet ein.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Rund 65 Millionen Opfer weltweit forderte die zwölfjährige nationalsozialistische Terrorherrschaft. Als die deutsche Wehrmacht am 8. Mai 1945 bedingungslos kapitulierte und damit der Zweite Weltkrieg in Europa beendet war, standen Millionen von Menschen vor dem Nichts.

Wie hat die Bevölkerung auf dem Land diese Zeit erlebt? Zwei Zeitzeuginnen aus dem Landkreis Altötting erinnern sich.

"Wurden aufgefordert, weiße Fahnen aufzuhängen"

Die fast 100-jährige Juliane Hiermannsberger aus dem Altöttinger Holzland hat die ersten Tage und Wochen nach Kriegsende noch genau vor Augen: "Wir haben das so erlebt, dass da in der Früh von der Gemeinde einer mit dem Radl gekommen ist und uns aufgefordert hat, dass wir eine weiße Fahne raushängen müssen", erzählt sie. Die Zeitzeugin, die auf einem abgelegenen Hof lebt, kann sich noch an vieles präzise erinnern: "Nach einer Stunde ungefähr ist er wieder gekommen und hat geschaut, ob wir das richtig gemacht haben und er warnte uns: 'Es kann gar nicht mehr lange dauern, dann sind die Amerikaner da!'"

Ausgangssperre und Sorge vor versteckten Nazis

Was das zu bedeuten habe, war Juliane Hiermannsberger und ihrer Familie erst einmal unklar. Doch dann, rund um den 8. Mai 1945, seien sie dann tatsächlich gekommen: "Die sind mit ihren Panzern jeden Tag zu unserem Hof gefahren. Wer ein Radl gehabt hat, hat das in den Keller stellen müssen. Ab 19 Uhr haben wir nicht mehr rausgehen dürfen, auch nicht in den Stall." Dafür habe es auch einen Grund gegeben: "Die [Amerikaner] haben ja furchtbar Angst gehabt, dass sich da jemand versteckt." Juliane Hiermannsberger bezieht sich dabei auf Nationalsozialisten aus der Region, die auf abgelegenen Höfen wohl Verstecke gesucht haben.

Angst hätten sie vor den Amerikanern nicht gehabt. Die 99-Jährige erinnert sich eher an ein entspanntes Verhältnis. Alle in der Familie hätten in dieser Zeit ohnehin nur noch eines gedacht: "Gott sei Dank ist der Krieg aus. Dass wenigstens das vorbei ist!"

Erinnerungen an Schokolade und Kaugummi

Auch die 97-jährige Elisabeth Fliegl, die in Perach im Landkreis Altötting aufgewachsen ist, bezieht sich bei der Frage nach dem Kriegsende sogleich auf die Amerikaner: "Sie haben in einem Haus in Perach alles organisiert und in einem Feld Biwak gemacht", berichtet sie. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr aber eines: Als sie das erste Mal in ihrem Leben einen schwarzen Menschen gesehen habe. Sie lacht immer wieder, während sie erzählt, wie die Amerikaner mit Jeeps rumgefahren seien und Süßigkeiten verteilt hätten. "Schokolade. Und so ein Bettlaken hat er dann ausgebreitet [der schwarze US-Soldat], da war alles Mögliche drin."

Historiker: Erinnerungen unterscheiden sich von Region zu Region

Thomas Schlemmer ist Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München. Zu seinem Forschungsschwerpunkt gehört auch die unmittelbare Nachkriegszeit in Bayern. Der Forscher bestätigt, dass sich die Erzählungen, beispielsweise von Kaugummis, die die US-Soldaten verteilten, in vielen Zeitzeugenberichten aus Bayern wiederfinden.

Schlemmer verweist darauf, dass sich die Erinnerungen an das Kriegsende jedoch sehr stark von Region zu Region unterscheiden: "In einer zerstörten Stadt erlebte man das Kriegsende anders als in ländlichen Räumen, die so ein bisschen in der windstillen Zone des Krieges lebten. In Nordrhein-Westfalen würden Sie andere Geschichten über den Erstkontakt hören. Denn diese Gebiete wurden nicht besetzt, sondern erobert".

Frühjahr 1945: In jedem Landkreis wird eine Militärregierung installiert

In den Dörfern in Süd- und Ostbayern fallen Besetzung und Kriegsende näher zusammen als in anderen Teilen Deutschlands. Die US-Army übernahm in München beispielsweise am 30. April die Macht. In Nordbayern wurden die größeren Städte noch früher besetzt.

Nach Kriegsende installierten die Amerikaner in jedem bayerischen Landkreis und jeder kreisfreien Stadt eine Militärregierung. "Es war eine motorisierte, mobile, zum Teil sehr gut ausgebildete Truppe, die das Leben dort kontrollieren, entnazifizieren und auch politisch wieder in Gang bringen sollte", erklärt Thomas Schlemmer. "Da klappern die Amerikaner dann Dorf für Dorf ab und da kommt es dann zu den Erinnerungen, wo GIs aus dem Jeep irgendwelche merkwürdigen Sachen werfen, die auch die Kinder noch nie gesehen hatten. Zitrusfrüchte, Schokolade oder Kaugummis zum Beispiel", so der Historiker.

Der Amerikaner als "freundlicher Feind"

Thomas Schlemmer erklärt, wie sich solche Erinnerungen dann in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben könnten und wie diese Erinnerungen vieles andere überlagern: "Da treffen solche Versatzstücke aufeinander: Freundliche Soldaten, die nicht schießen, sondern Süßigkeiten verteilen. Gesten des Lächelns. Also ganz anders, als es die nationalsozialistische Propaganda immer suggeriert hat." Hinzu ist laut Schlemmer dann noch der "Reiz des Exotischen" durch die dunkelhäutigen Soldaten gekommen.

"Die Bevölkerung wusste ja nicht: 'War es das jetzt, oder ist es doch noch gefährlich?'“ Diese Zeit sei für viele am Krieg unbeteiligte Menschen eine Phase des Übergangs gewesen, von der Furcht zur Hoffnung. "Aber die Amerikaner haben dann letztlich durch ihre Art des 'freundlichen Feindes', um meinen Kollegen Dietmar Henke zu zitieren, sehr schnell Hoffnung geweckt", so der Historiker Thomas Schlemmer.

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