Der ehemalige Milchviehwirt Manfred Hindelang auf dem Gelände seines Reitstalls.
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Manfred Hindelang auf dem neu entstandenen Gelände seines Reitstalls.

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Landwirtschaft: Wenn ein Arbeitsunfall die Existenz bedroht

Landwirtschaft: Wenn ein Arbeitsunfall die Existenz bedroht

Immer wieder kommt es zu schweren Unfällen in der Landwirtschaft - auf dem Acker, im Wald, auf dem Hof. Bleiben körperliche Schäden, kann der Betrieb gefährdet sein. Doch mitunter eröffnen sich auch neue Chancen. Wie bei Milchbauer Manfred Hindelang.

Über dieses Thema berichtet: Unser Land am .

Der Milchviehbetrieb von Manfred Hindelang in Steingaden im Landkreis Weilheim-Schongau ist zukunftsfähig aufgestellt: 55 Milchkühe mit Laufstall und Weidegang.

Doch dann verändert ein Tag im Herbst 2018 das Leben der Landwirtsfamilie für immer.

Manfred Hindelang schneidet vom Borkenkäfer befallene Fichten im eigenen Wald. Durch eine falsche Bewegung kommt der heute 56-Jährige an die Funksteuerung der Seilwinde. Der Baumstamm, der gerade noch auf Spannung stand, löst sich schlagartig und klemmt Hindelangs linkes Bein ein. "Der Fuß ist auf der Unterseite in die Höhe gestanden. Vor lauter Schmerz bin ich dann nach hinten gefallen", erinnert sich Hindelang.

Notoperation in der Unfallklinik Murnau

Mit dem Helikopter wird er in die Unfallklinik Murnau geflogen und sofort notoperiert. Es sieht schlimm aus: Die Hauptschlager ist durchtrennt, außerdem alle Bänder und Nerven im linken Knie. Ein Schock, auch für Ehefrau Michaela: "Die haben gesagt, er liegt auf Intensiv und sie wissen nicht, ob das Bein dranbleibt. Da hat dann keiner mehr schlafen können." Manfred Hindelang hat Glück im Unglück, sein Bein kann gerettet werden. Doch als Arbeitskraft fällt er über ein halbes Jahr aus. Ein Betriebshelfer vom Maschinenring hilft so lange im Betrieb aus.

Im Video: Unser Land - Betriebsunfall - und dann?

In der Serie "Hofgeflüster" besucht Unser Land-Reporterin Stefanie Heiß Höfe in Bayern. Hier geht es in mehreren Folgen um Themen, über die sonst nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Alle Videos der "Hofgeflüster“-Serie gibt es hier.

Aus für den Milchviehbetrieb nach dem Unfall

Noch im Krankenhaus sei ihm klar geworden, sagt Manfred Hindelang, dass er seinen Hof in der bisherigen Form nicht mehr betreiben kann. "Im Melkstand knien oder wenn eine Kuh kalbt, die Kälber rausziehen – das wäre absolut nicht möglich gewesen." Andere Modelle der Rinderhaltung, zum Beispiel die Aufzucht von Jungvieh, sind rechnerisch nicht rentabel genug, um ein Vollerwerbsbetrieb zu bleiben. Ein schwerer Schlag für die Familie mit zwei Kindern.

Wie soll es weitergehen?

Eine große Hilfe für die Hindelangs in dieser schweren Zeit ist Thomas Weiß. Er ist Reha-Manager bei der SVLFG, der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau. Die SVLFG ist als Berufsgenossenschaft für Landwirte zuständig, die einen Arbeitsunfall hatten. "Wenn man mich kennenlernt, dann ist meistens etwas Schlimmeres passiert", sagt Weiß. Wer eine Arbeitsunfähigkeit von vier Monaten oder länger zu erwarten habe, bekomme einen Reha-Manager zugeteilt.

Hilfe von Maschinenring und SVLFG

Bei Manfred Hindelang sind es am Ende elf Wochen Krankenhaus, fünf Operationen und mehrere Hauttransplantationen. Anschließend kommt er für zwölf Wochen auf Reha und muss dort neu laufen lernen. Während der gesamten Zeit steht ihm Thomas Weiß zur Seite und berät ihn, welche Behandlungs-, Therapie- und Rehamaßnahmen in seinem Fall die besten sind.

Der ständige persönliche Kontakt während der gesamten Therapiezeit ist für Reha-Manager Weiß entscheidend; denn nur so sei es möglich, ein Vertrauensverhältnis zu den Patienten aufzubauen und sie bestmöglich bei der Genesung zu unterstützen. Als Reha-Manager koordiniert und organisiert Weiß außerdem für Manfred Hindelang die Beantragung der finanziellen Leistungen, die Hindelang von der SVLFG erhält.

Dennoch ist klar: Auf Dauer braucht Familie Hindelang ein Betriebskonzept für ihren Hof, von dem die Familie leben kann. Und zwar mit einem Arbeitspensum, das Manfred Hindelang mit seinem gehandicapten Bein auch leisten kann. Da Michaela Hindelang und auch Tochter Franziska seit vielen Jahren pferdebegeistert sind, entsteht die Idee, aus ihrem Hof einen Reitstall-Betrieb zu machen. Bei der Planung der betrieblichen Umstrukturierung werden die Hindelangs vom Maschinenring und erneut auch von Reha-Manager Weiß unterstützt.

Neues Betriebskonzept: Pferdehaltung statt Milchvieh

Ein halbes Jahr, nachdem die Milchkühe auf einer Auktion versteigert wurden, ziehen im Frühjahr 2020 die ersten zehn Pferde auf dem Hof in Steingaden ein. Die Hindelangs haben sich für ein Offenstallkonzept entschieden, bei dem die Pferde sich Tag und Nacht frei bewegen können.

Der Milchviehstall ist heute Putzplatz, Sattelkammer und Liegehalle für die Pferde, der Melkstand ein gemütliches Reiterstüberl mit Schwedenofen für die Pferdebesitzer. Auf der großen Wiese direkt am Hof ist ein 10.000 Quadratmeter großes, befestigtes Areal mit Heuraufen und Liegehallen entstanden, auf dem die Pferde frei herumlaufen. Zusätzlich gibt es auf dem Hof nun einen Reitplatz und eine Reithalle.

Kraftakt mit viel finanziellem Einsatz – und großem Erfolg

Die Umbaumaßnahmen haben die Hindelangs viel Kraft gekostet – und viel Geld: Mehr als eine halbe Million Euro haben sie in ihren betrieblichen Neustart investiert.

Der Erfolg gibt ihnen recht: Mittlerweile leben 42 Pferde auf dem Hof, die Pferdebesitzer sind begeistert und nehmen zum Teil weite Anfahrten in Kauf, um ihre Pferde bei den Hindelangs unterzubringen. Auch der Alltag von Michaela und Manfred hat sich positiv verändert: Als Pferdepensionsbetreiber müssen sie nicht mehr täglich morgens um 5 Uhr aufstehen. Ihr Tag startet jetzt um 7 Uhr mit einem gemütlichen Frühstück. Erst dann geht es raus in den Stall, die abendliche Stallarbeit fällt ganz weg. "Jetzt haben wir ein Riesenprojekt auf die Füße gestellt, mit dem wir arbeiten können und das die Zukunft sein soll für uns und unsere Nachfolger", sagt Manfred Hindelang.

Denn schon jetzt steht fest, dass Tochter Franziska und Sohn Martin den Reitstall in ein paar Jahren übernehmen werden.

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