Das Maximilianeum, Sitz des Bayerischen Landtags
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Männlicher, jünger, weniger akademisch: Bayerns neuer Landtag

Männlicher, jünger, weniger akademisch: Bayerns neuer Landtag

Der Frauenanteil ist gesunken, dafür sind mehr Nicht-Akademiker dabei: Die BR24 Datenanalyse zeigt, wie gut der neue bayerische Landtag die Bevölkerung widerspiegelt. Parteien und Experten bewerten die Repräsentation sehr unterschiedlich.

Von
Claudia Kohler
Jannik Pentz

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Bayern hat ein neues Landesparlament gewählt. Am typischen Landtagsabgeordneten hat sich auf den ersten Blick allerdings nicht viel geändert: Er wäre noch immer ein Mann, hieße mit Vornamen Martin, mit Nachnamen Huber oder Müller. Er würde in einer kleinen Stadt mit rund 25.000 Einwohnern leben und hätte ein abgeschlossenes Hochschulstudium.

Schaut man über diese Durchschnittswerte hinaus tiefer in die Daten des neuen Landtags, hat sich aber doch einiges geändert. Die folgende Analyse zeigt, wo die Unterschiede zur Bevölkerung kleiner und wo sie größer geworden sind.

In der Grafik: Frauenanteil ist zu niedrig – im neuen Landtag noch deutlicher als zuvor

Bereits im bisherigen Landtag war der Frauenanteil mit 27 Prozent wesentlich niedriger als in der Bevölkerung – nun ist er nochmals um zwei Prozentpunkte gesunken. Die SPD ist die einzige Landtagsfraktion, in der mehr Frauen als Männer vertreten sind. Den niedrigsten Anteil hat mit neun Prozent die AfD.

SPD-Abgeordnete: "Fühle mich um 100 Jahre zurückversetzt"

Ruth Müller, die für die SPD wiedergewählt wurde und die vergangenen zehn Jahre frauenpolitische Sprecherin im Landtag war, ist frustriert: "Ich fühle mich fast um 100 Jahre zurückversetzt, weil wir eine so schlechte Quote haben, was den Frauenanteil anbelangt. Von den 203 Abgeordneten im bayerischen Landtag sind nur 51 Frauen und davon kommen zehn von der SPD."

Ulrich Singer (AfD), ebenfalls wiedergewähltes Landtagsmitglied, meint dagegen: "Das ist überhaupt kein Problem. Es geht ja um die Qualität und darum, dass die Menschen von der Bevölkerung gewählt werden, die sich zur Wahl stellen. Es sind halt oft Männer, die sich für diese Positionen bewerben, und nicht immer Frauen."

Singer beruft sich damit auf ein Grundprinzip des demokratischen Systems in Deutschland und Bayern: Die Menschen wählen, von wem sie vertreten werden möchten, danach aus, wessen Inhalte und Positionen mit ihren eigenen am meisten übereinstimmen. Spielt es also überhaupt keine Rolle, welche Bevölkerungsgruppen im Landtag vertreten sind?

Unterschiedliche Stimmen sind wichtig für den demokratischen Prozess

Andreas Wüst, Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule München, erforscht genau diese Frage. Er sagt im Hinblick auf die parlamentarische Arbeit: "Je nach Thema ist es wichtig, dass Menschen zu Wort kommen können, die davon stärker berührt sind, als andere." Das Thema Diskriminierung zum Beispiel: Das werde von Menschen, die selbst nie Diskriminierung erfahren hätten und in deren Umfeld diese kaum wahrgenommen wird, anders behandelt, als etwa von Frauen oder Menschen mit Einwanderungsgeschichte. "Es geht auch nicht immer darum, dass dann ganz andere Politikergebnisse zustande kommen, sondern dass im demokratischen Prozess diese unterschiedlichen Stimmen und Schwerpunkte gehört werden."

Wer im neuen Landtag auch weiterhin zu wenig gehört werden wird, sind jüngere und ältere Menschen. Auch wenn das neue Parlament mit einem Durchschnittsalter von 50 Jahren insgesamt jünger geworden ist – der Anteil der Unter-30-Jährigen entspricht noch immer nicht der restlichen Bevölkerung. Menschen über 65 sind im neuen Landtag noch deutlicher unterrepräsentiert als zuvor:

In der Grafik: Jüngere und Ältere noch immer unterrepräsentiert

Ausgerechnet das jüngste Mitglied des neuen Landtages, Daniel Halemba, stört sich nicht an der ungleichen Verteilung. "Im Gegensatz zu einigen Abgeordneten der Grünen oder tendenziell linken Parteien, halte ich es nicht für notwendig, dass junge Menschen Personen ihrer Altersklasse brauchen, um vernünftig repräsentiert zu werden", sagt der 22-Jährige AfD-Politiker und stimmt damit seinem Parteikollegen Ulrich Singer zu.

Die AfD stellt mit einem Durchschnittsalter von 46 Jahren die jüngste Fraktion im neuen Landtag. Die ältesten Abgeordneten haben mit im Schnitt 52 Jahren SPD und Freie Wähler.

Andreas Wüst von der Hochschule München sieht Probleme für Bayern, wenn zu wenige junge Menschen im Landtag vertreten sind. In dessen Zuständigkeitsbereich fallen etwa Investitionen und Unterstützungsmöglichkeiten im Bereich Bildung. Und gerade die spielen für die Jüngeren eine größere Rolle als für die Älteren. "Sind die Jüngeren unterrepräsentiert, werden die Schwerpunkte möglicherweise anders gesetzt", so Wüst.

Ein Bereich, in dem der Landtag die Bevölkerung dagegen sehr gut widerspiegelt, ist das Wohnumfeld:

In der Grafik: Wohnorte stimmen überein

Wie rund die Hälfte der Menschen in Bayern leben auch 53 Prozent der Abgeordneten in kleinen bis mittelgroßen Städten, mit nicht mehr als 100.000 Einwohnern. 26 Prozent haben ihr Zuhause in ländlichen Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern, 21 Prozent leben in Großstädten – auch das entspricht den Verhältnissen in der Bevölkerung. Es gibt also entsprechend viele Stimmen im Landtag, die aus diesen unterschiedlichen Lebensumständen ihre direkten Erfahrungen in die politische Arbeit einbringen können.

Schwierig wird Unterrepräsentation laut Politikwissenschaftler Wüst dann, wenn die Lebenserfahrungen der Abgeordneten sich nur wenig mit denen bestimmter Bevölkerungsgruppen decken: "Menschen in anderen sozialen Lagen etwa wohnen oft in anderen Gebieten, gehen anderer Erwerbsarbeit nach – da sind der Kontakt und die unmittelbaren Eindrücke natürlich geringer", erklärt der Experte. Umso bedeutsamer sei es, dass auch diese Gruppen im Parlament vertreten sind und selbst zu Wort kommen können.

In der Grafik: Mehr Abgeordnete ohne akademischen Abschluss

In dieser Hinsicht bringt der künftige Landtag auch eine Verbesserung: Der Anteil von Nicht-Akademikern steigt um zehn Prozentpunkte. Fast die Hälfte der Abgeordneten, die neu zum Parlament dazukommen, haben nach der Schule eine Ausbildung gemacht oder sind direkt ins Berufsleben gestartet.

Dennoch sind die Menschen ohne Hochschulabschluss mit 33 Prozent immer noch unterrepräsentiert. Und während insgesamt nur ein Prozent der bayerischen Bevölkerung promoviert hat, trägt fast jeder zehnte Landtagsabgeordnete einen Doktortitel. Bei der CSU sogar jeder Siebte. Am geringsten ist der Gesamtanteil der Akademiker mit 44 Prozent bei der AfD. Bei den Grünen hingegen haben 25 von 32 Abgeordneten einen Hochschulabschluss.

Zum Anteil der Landtagsmitglieder mit Migrationshintergrund gibt es zum aktuellen Zeitpunkt noch keine Erhebungen. Damit ist gemeint: Eine Person selbst oder mindestens ein Elternteil wurde nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren. In Bayern trifft das auf elf Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung zu. Unter den gewählten Volksvertretern von 2018 bis 2023 waren es gerade einmal 3,9 Prozent.

Grüne fordern Parität durch Änderungen im Wahlrecht

Wie bereits anklang, haben die gewählten Parteien des neuen Landtags unterschiedliche Vorstellungen, wie mit den Verhältnissen umgegangen werden sollte.

Scharfe Forderungen in puncto Frauenanteil kommen etwa von den Grünen im Landtag. "Seit Jahren sehen wir, dass Freiwilligkeit allein nicht ausreicht, es wird sogar schlimmer. Wir brauchen eine Änderung im Wahlrecht, ich möchte nicht weitere 100 Jahre auf Parität in den Parlamenten warten", sagt die Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze. "Mit dem Hälfte-der-Macht-Gesetz haben wir vorgeschlagen, wie es gehen könnte: Unter anderem fordern wir Stimmkreis-Duos und abwechselnd besetzte Listen."

CSU-Abgeordnete sehen Handlungsbedarf innerhalb der Parteien

Ilse Aigner, die für die CSU wiedergewählt wurde und die vergangenen fünf Jahre dem Landtag als Präsidentin vorstand, wünscht sich, dass mehr um Frauen geworben wird: "Und das beginnt schon früh, in der Kommunalpolitik, wo wir dringend mehr Politikerinnen brauchen, also mehr Bürgermeisterinnen oder Landrätinnen." Denn aus dieser Gruppe käme, zumindest bei der CSU, der Großteil der späteren Mandatsträger und Mandatsträgerinnen. "Und natürlich geht es auch immer um Strukturen – ob die auch für Frauen attraktiv sind", sagt Aigner.

Die ebenfalls wiedergewählte Tanja Schorer-Dremel (CSU) dagegen sieht den Handlungsbedarf bei den Frauen in der Partei selbst. "Wichtig ist, dass wir als Frauen eine starke Politik machen und dass auch Männer uns als Frauen wahrnehmen", so die Abgeordnete. "Wir Frauen machen eine tolle Arbeit. Das gilt es jetzt für uns – grade in der CSU-Fraktion – nach vorne zu tragen."

Zusammensetzung des Parlaments wirkt auf die Gesellschaft

Politikwissenschaftler Wüst nennt einen letzten Grund, der es wünschenswert erscheinen lässt, dass der Landtag mehr zum Spiegelbild der Gesellschaft wird: Noch mehr Politikverdrossenheit verhindern. Die Zusammensetzung eines Parlamentes wirke auch auf die Bevölkerung zurück. Wer einer Gruppe angehöre, die zu wenig oder gar nicht repräsentiert sei, stelle sich über kurz oder lang die Frage: Wo ist hier eigentlich meine Lebenswelt? Wo sind die Erfahrungen aus meinem Alltag? Ist das mein Parlament oder eine Versammlung von Menschen, die mit meinem Leben gar nichts zu tun haben?

Über die Daten

Anmerkung: In der ursprünglichen Version des Artikels waren die sichtbaren Prozentwerte in den Balkengrafiken auf ganze Zahlen gerundet. Durch Runden kann es dazu kommen, dass die Werte nicht mehr genau auf 100 aufaddieren. Deshalb werden die Werte nun auf eine Nachkommastelle gerundet angezeigt.

Für alle gezeigten und besprochenen Parameter wurde jeweils der jüngste verfügbare Datenstand verwendet.

Ein Teil der Daten zu den gewählten Mitgliedern des neuen Landtags (Name, Alter, Wohnort) stammt aus der Liste des Landeswahlleiters. Die Informationen zum Geschlecht und zum beruflichen Bildungsabschluss wurden eigens recherchiert. Quellen waren unter anderem die Angaben der Gewählten im BR24 Kandidatencheck, die Profile auf dem Portal abgeordnetenwatch.de und die Internetauftritte der Gewählten.

Der Großteil der Informationen zum vorherigen Landtag (Namen, Alter, Geschlecht, Wohnort etc.) stammt aus einer Liste, die der Bayerische Landtag und das Bayerische Landesamt für Statistik zur Verfügung stellen. Die Einwohnerzahlen der Wohnorte stammen vom Statistischen Bundesamt (Stand: 31. Dezember 2022).

Die Vergleichsdaten für die Bevölkerung Bayerns stammen aus den folgenden Quellen:

Altersstruktur (31. Dezember 2022): Bayerisches Landesamt für Statistik

Grundlage ist die Bevölkerung Bayerns ab 18 Jahren.

Geschlechterverteilung (31. Dezember 2022): Bayerisches Landesamt für Statistik

Hinweis: Der Geschlechtseintrag "divers" wird in der Bevölkerungsstatistik noch nicht dargestellt. Dennoch gibt es in den Erhebungen die Möglichkeit, die Ausprägung "divers" zu wählen. Diese Fälle werden über ein Umschlüsselungsverfahren auf "männlich" und "weiblich" verteilt.

Bildungsabschluss (31. Dezember 2019): Statistisches Bundesamt

Grundlage ist die Bevölkerung Bayerns ab 15 Jahren. Diese Auswahl und die Einteilung der Abschlüsse erfolgt nach den Vorgaben des Statistischen Bundesamtes.

Verteilung der Bevölkerung nach Wohnortgröße (31. Dezember 2022): Bayerisches Landesamt für Statistik

Einteilung der Wohnorte nach den Vorgaben des Bundesinstituts für Bau,- Stadt- und Raumforschung.

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