Einer von 92 Damenhüten aus dem Hut- und Putzgeschäft der Familie Rothschild aus München.
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Einer von 92 Damenhüten aus dem Hut- und Putzgeschäft der Familie Rothschild aus München.

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Provenienzforschung: Die 92 Hüte der Familie Rothschild

Provenienzforschung: Die 92 Hüte der Familie Rothschild

Lange Zeit wusste Katrina Recker kaum etwas über die dramatische Geschichte ihrer Familie. Erst 92 Damenhüte und deren Erforschung durch die Provenienzforscher des Münchner Stadtmuseums brachten Licht ins Dunkel.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Über die Kindheit und Jugend ihres amerikanischen Vaters Peter Roots war sich Katrina Recker lange im Unklaren. Seine deutschen Wurzeln waren der Medizinjournalistin zwar bekannt, doch wie und warum er zur amerikanischen Staatsbürgerschaft kam, wusste sie nicht. Dass der Vater Deutschland im Zuge des Holocausts mit Anfang zwanzig verlassen musste, erfuhr sie nur bruchstückhaft aus Erzählungen ihrer Halbgeschwister aus Amerika oder aus Gesprächsfetzen, die sie bei Familienfeiern gelegentlich hörte.

Nachricht aus den USA

Erst Jahrzehnte später, mit Anfang fünfzig, sollten sich die Bruchstücke für Katrina Recker langsam zusammensetzen, als sie von ihrer Halbschwester aus den USA kontaktiert wurde. Die Schwester berichtete von 92 Damenhüten, die im Münchener Stadtmuseum lagerten und ursprünglich aus dem Hut- und Putzgeschäft ihres Großvaters Heinrich Rothschild stammten.

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Das Hut- und Putzgeschäft der Familie Rothschild in der Sendlingerstraße in München. Es wurde in der Pogromnacht im November 1938 zerstört.

Das Schicksal der 92 Rothschild-Hüte

Die Hüte, die einst im Geschäft der Familie Rothschild in der Sendlinger Straße in München zum Verkauf standen, lagerten seit der NS-Zeit im Depot des Münchner Stadtmuseums. Der damalige Direktor des Museums Konrad Schließl hatte sie im Jahr 1938 nach der Zwangsauflösung des jüdischen Geschäfts weit unter Marktwert gekauft und in den Bestand des Museums überführt.

Über Inventarlisten wurde das Museum erst vor einigen Jahren wieder auf die Objekte aufmerksam und konnte deren Geschichte durch intensive Archiv- und Quellenarbeit nachvollziehen. Neben den Hüten recherchiert das Museum zu tausenden weiteren Gegenstände, deren Ursprung näher betrachtet werden muss.

Provenienzforschung erforscht die Herkunft von Dingen

Zwischen 1933 und 1945 erwarb das Museum rund 20.000 Gegenstände, so die Kunsthistorikerin Regina Prinz, die im Museum für Provenienzforschung zuständig ist. "Nach unseren Schätzungen sind ungefähr 2.500 Objekte aus dieser Zeit näher zu betrachten und ein größerer Teil stammt davon vermutlich aus ehemals jüdischem Besitz", so Prinz. Die Provenienzforscherin ist am Münchner Stadtmuseum dafür zuständig, die Herkunft dieser Objekte zu erforschen und, falls möglich, die Besitzer oder deren Nachkommen zu ermitteln.

"Washington Principles": Öffentliche Einrichtungen sollen Kulturgüter untersuchen

Grundlage dafür ist eine internationale Verpflichtung aus dem Jahr 1998. Damals einigte sich die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit 43 anderen Staaten auf die sogenannten "Washington Principles". Darin verpflichteten sich alle öffentlichen Einrichtungen, ihre Sammlungen auf verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter zu untersuchen und die ursprünglichen Eigentümer aufzufinden. Die Provenienzforschung ist eine Teildisziplin der Geschichte und Kunstgeschichte und fester Bestandteil der Museumsarbeit.

💡 Was ist Provenienzforschung?

Die Provenienzforschung ist ein Teil der Kunstgeschichte. Ihr Anliegen ist es, die Herkunft von Kunstwerken zu erforschen. Dabei versucht man zu ermitteln, wer die wechselnden Besitzer eines Werkes waren. Hinweise geben etwa Beschriftungen am Objekt selbst. Daneben werden auch Kataloge und Akten von Auktionshäusern herangezogen, ebenso Briefe, die Hinweise auf die Besitzer geben können. Große Bedeutung hat die Provenienzforschung durch die Washingtoner Erklärung von 1998 bekommen. Die Unterzeichner verpflichteten sich darin, Kunstwerke ausfindig zu machen, die unter den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden. In einem weiteren Schritt sollen die rechtmäßigen Eigentümer ermittelt und mit ihnen ein fairer Ausgleich gesucht werden, so heißt es in der Erklärung, die 44 Staaten, darunter auch Deutschland, unterzeichnet haben.

Die Zerstörung und Zwangsliquidierung des Hutgeschäfts der Familie Rothschild

Die Recherche des Münchner Stadtmuseums schaffte nicht nur, die jetzigen Eigentümer der Familie zu ermitteln, sondern auch die Geschichte der Familie Rothschild nachzuvollziehen. Darüber ist auch Katrina Recker sehr dankbar.

Erst im Zuge der Provenienzforschung des Münchner Stadtmuseums erhielt sie ein breites Bild über die Familiengeschichte des Vaters. So erfuhr sie nicht nur von dem Hutgeschäft, das ihr Großvater Joseph Rothschild gemeinsam mit seinem Bruder Otto führte, sondern auch von dessen Zerstörung in der Pogromnacht und der anschließenden Zwangsliquidierung des Unternehmens. Anfang der 1940er Jahre floh die Familie schließlich auf verschiedenen Wegen ins Ausland und siedelte sich in den USA und in England an. Dort änderte die Familie den Namen Rothschild in Roots.

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Die Brüder Joseph und Otto Rothschild, die beiden Inhaber des Münchner Hut- und Putzgeschäftes Heinrich Rothschild.

Recherchen ermöglichen Familienzusammenführung

Mit einer Ausstellung im Jahr 2018 machte das Münchner Stadtmuseum die Geschichte der Familie Rothschild und die damit verbundene Arbeit des Museums auch der Öffentlichkeit zugänglich. Dazu reiste auch Katrina Recker nach München und lernte ihre bisher unbekannten Verwandten kennen, die aus den USA und England anreisten.

Gemeinsam durften sie die Hüte in der Ausstellung vorab sehen. Ein Moment, der Katrina Recker nachhaltig beeindruckt hat: "Als ich diese Hüte gesehen habe, hat auch meine Familiengeschichte zum ersten Mal ein Gesicht bekommen" erzählt sie. "Die Hüte, wie sie da so in ihrer Eleganz in der Dunkelheit im Stadtmuseum lagen, waren die beeindruckendsten, wenn auch nicht sprechenden Zeugen, dass diese Geschichte stattgefunden hat."

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Die Familie Rothschild vor ihrem Ferienhaus in Berchtesgaden um 1920. Ganz rechts: Peter Roots, der Vater von Katrina Recker.

Hüte sollen im Stadtmuseum bleiben

Wie bei vielen anderen Ausstellungsgenständen auch, haben die 92 Hüte der Familie Rothschild eher einen symbolischen als einen materiellen Wert. Die Nachkommen der Familie wollen die Hüte im Besitz des Münchner Stadtmuseums überlassen. Dort soll ihre Geschichte für alle zugänglich sein.

Tag der Provenienzforschung

Das Münchner Stadtmuseum nimmt auch am Tag der Provenienzforschung teil.

Der Tag der Provenienzforschung am 14. April 2021 soll auf die Relevanz der Arbeit aufmerksam gemacht und ein Blick hinter die Kulissen ermöglicht werden. Die Veranstaltungen mussten zwar Corona-bedingt abgesagt werden, sind jedoch teilweise auch digital zugänglich. Ein Überblick über das Angebot zum Tag der Provenienzforschung ist zu finden unter www.arbeitskreis-provenienzforschung.org. Zudem bietet der Freistaat mehrere Digitalpräsentationen zu dem Thema Herkunft von Kunstwerken an. Die Internetstreams des Forschungsverbundes Provenienzforschung Bayern (FPB) sind kostenlos und ohne Anmeldung über www.provenienzforschungsverbund-bayern.de zugänglich.

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