Wie in vielen bayerischen Städten gibt es sie auch in Mühldorf: Straßen, die nach Menschen benannt wurden, deren Geschichten mit der NS-Zeit verstrickt sind. In Mühldorf ist das die Hans-Gollwitzer-Straße. Wie geht die Stadt damit um? Eine Straßenumbenennung ist meist mit einem bürokratischen Aufwand für die Anwohnerinnen und Anwohner verbunden, wie ein Umzug. Und: Über die Form eines Hinweises auf die Geschichte der umstrittenen Namensgeber am Straßenzug lässt sich streiten.
QR-Codes mit Informationen über die NS-Vergangenheit Gollwitzers
In Mühldorf hat man sich für Sticker entschieden, die mit QR-Codes versehen sind. Wer diese scannt, gelangt auf eine Website mit zwei Texten, die die NS-Verstrickung des Namensgebers, Hans Gollwitzer, erläutern. Einen davon hat Edwin Hamberger, der Stadtarchivar von Mühldorf, geschrieben. Er empfindet die Lösung mit den QR-Codes als eine gute Form der Erinnerungskultur. "Es ist wichtig, dass wir immer beachten, dass die Geschichte nie schwarz-weiß ist", so Hamberger, "sondern naturtrüb." Wenn man die Straßenschilder entfernt, "ermöglicht uns das wirklich, kritisch mit dieser Vergangenheit umzugehen?", fragt Hamberger.
Hans Gollwitzers NS-Vergangenheit
1938 wurde Hans Gollwitzer vom NS-Kreisleiter zum berufsmäßigen Bürgermeister der Stadt Mühldorf berufen – nachdem er das Amt bereits ein Jahr ehrenamtlich ausübte. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der ehemalige evangelische Pfarrer zum Täter – ohne später Reue zu zeigen. "Er sagt ja selbst, er hätte damals nur Recht vollzogen", erzählt der Stadtarchivar. Als Bürgermeister war Gollwitzer für die politische Verfolgung von Juden und Andersdenkenden verantwortlich, die zu längeren Haftstrafen und der Verschleppung in Konzentrationslagern führte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Gollwitzer in ein Internierungslager – Stichwort Entnazifizierung. Und, obwohl die Mühldorfer von seiner Geschichte wussten: 1952 wählten sie ihn zum 1. Bürgermeister. Bis 1966 blieb er im Amt und wurde anschließend sogar zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. 1983 dann, kurz nach seinem Tod, wurde die Straße im Mühldorfer Süden nach ihm benannt. Bestrebungen, die Straße umzubenennen oder eine Infotafel aufzustellen und sich von der mit dem Tod erloschenen Ehrenbürgerwürde zu distanzieren, wurden vor sieben Jahren vom Stadtrat abgelehnt.
Kritik an der Sticker-Lösung von den Grünen
Scharf kritisiert wird das Projekt von dem Grünen Stadtrat Matthias Kraft, der vor fünf Jahren einen Antrag gestellt hatte, am Straßenschild auf die NS-Vergangenheit Gollwitzers hinzuweisen. "Wenn ich dieses kleine Schild da sehe, dann hätte ich mir gewünscht, dass es ein bisschen klarer, deutlicher und ehrgeiziger geworden wäre", so Kraft. Größer und direkt am Straßenschild hatte er es sich gewünscht.
"Das ist einfach ein Symbol, mit minimalen Mitteln irgendwie umzusetzen, was einem der Stadtrat da vorgesetzt hat", kritisiert Kraft. In der ruhigen, rundläufigen Hans-Gollwitzer-Straße selbst kommt das Projekt bei denen, die es mitbekommen, gut an. Für die Stadt birgt diese Lösung auch Vorteile, die Kosten bewegen sich im niedrigen zweistelligen Bereich. Auch bei Vandalismus oder anderweitigen Beschädigungen kann die Stadt schnell reagieren und die Sticker neu anbringen.
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