Stromleitungen im Winter
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Von November bis März gab es in Bayern nur zwei größere Stromausfälle. Der Grund: Schnee und Sturm.

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Stromausfälle in Bayern: Blackout-Panik ist unbegründet

Stromausfälle in Bayern: Blackout-Panik ist unbegründet

Erst kein Gas aus Russland, jetzt keine Atomkraftwerke mehr – wie im Herbst gibt es aktuell Warnungen vor großen Versorgungslücken beim Strom. BR24 hat sich Daten zu den Stromausfällen angesehen. Wie gut kam Bayerns Stromversorgung durch den Winter?

Von
Sophie Menner
Claudia Kohler

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ließ die Sorge vor Engpässen bei der Stromversorgung steigen. Im Herbst war die Verunsicherung in Bayern groß: Menschen fürchteten sich vor langanhaltenden Stromausfällen im Winter, Gemeinden verfassten neue Notfallpläne. Viele hatten das Gefühl, auch plötzlich mehr Meldungen über Stromausfälle zu hören und Medien titelten mit der Gefahr vor "Blackouts". Jetzt wiederholen sich solche Warnungen und Sorgen im Zusammenhang mit der Abschaltung der Atomkraftwerke.

Nicht mehr Stromausfälle als sonst

Im Frühjahr 2023 steht aber fest: Zu den auch von einigen Politikern prophezeiten Blackouts im Winter kam es nie – die Anzahl der Stromausfälle war nicht ungewöhnlich hoch. Das belegen unter anderem Daten, die BR24 den Winter über gesammelt hat.

Von Anfang November 2022 bis Ende März 2023 beobachtete BR24 die Webseite Störungsauskunft.de, ein Portal, auf dem sowohl Verbraucherinnen als auch Netzbetreiber in Deutschland Ausfallmeldungen teilen können. Die Stadtwerke München SWM zeigen Störungen in ihrem Gebiet auf einer eigenen Onlinekarte – diese Meldungen gingen ebenfalls in die Datensammlung mit ein. So kann ein Großteil der in Bayern verfügbaren Netzbetreiber und Störungsmeldungen durch die Daten abgedeckt werden. Mehr zur Analyse und den Daten am Ende des Texts.

Kein Blackout im Winter 2022/2023

Nicht jeder größere Stromausfall ist ein Blackout: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verstehen unter Blackout überregionale, plötzlich auftretende und lang andauernde Stromausfälle – ausgelöst durch unkontrollierte und unvorhergesehene Probleme im Versorgungsnetz.

Das Stromnetz würde dann großflächig nicht mehr unter Spannung stehen und müsste schrittweise wieder aufgebaut werden, erklärt Christoph Maurer vom Lehrstuhl für Elektrische Energiesysteme an der Universität Erlangen-Nürnberg. "Damit ein Stromausfall als Blackout zählt, müssen mindestens Teile des Netzes der obersten Spannungsebenen betroffen sein und damit typischerweise 200.000 bis 300.000 Leute. Das ist ein Ereignis, das kennen wir nicht. Das ist in der Vergangenheit nicht aufgetreten."

So gab es auch im Zeitraum vom November 2022 bis zum März 2023 keinen Blackout. Das belegt die Analyse der Störungsdaten. Das bedeutet jedoch nicht, dass es in dieser Zeit keine Stromausfälle in Bayern gab.

  • Zum Text: Wie wahrscheinlich ist ein Blackout bei uns?

Insgesamt konnten 19.483 Störungsmeldungen vom 7. November bis zum 21. März 2023 gesammelt werden. Nicht jede Meldung ist auch ein separater Stromausfall. Für die Analyse wurden Störungen zusammengefasst, die am gleichen Tag, vom gleichen Anbieter am gleichen Ort innerhalb von fünf Minuten gemeldet wurden. Daraus ergeben sich knapp 9.000 Stromausfälle, von diesen waren wiederum rund 5.200 ungeplant.

Konstantes Auftreten von lokal begrenzten Stromausfällen normal

Was erstmal sehr viel klingt, ist laut Energieingenieur Maurer aber normal: Das System sei nicht dafür ausgelegt, jede Art von Versorgungsunterbrechung zu vermeiden. "In einem System, in dem Betriebsmittel altern, in dem das Wetter Einfluss hat, indem gebaut wird, kann man keine hundertprozentig, ununterbrochene Stromversorgung gewährleisten."

Wenn also in einer Straße ein Bagger ein Kabel treffe, sei die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass es zu einem Stromausfall in einem Haus oder in der Straße komme. Das sei aber kein systemisch relevantes Ereignis: "Die Gefahr, dass diese Störung sich ausweitet, mehrere Kunden betrifft und es zu einem größeren, am Ende gar überregionalen Stromausfall kommt, ist bei einem solchen Ereignis genau null", sagt Maurer.

Die folgende Grafik zeigt, wie diese alltäglichen Störungen im Winter 2022/2023 in Bayern ausgesehen haben. Im Durchschnitt gab es täglich 40 ungeplante Stromausfälle:

Die Stadtwerke München schreiben auf Anfrage von BR24, dass die Zahl der Unterbrechungen im Schnitt der Vorjahre lag. Die Wahrnehmung, dass es mehr geworden sind, könnte laut dem Münchner Energieversorger daran liegen, dass in den vergangenen Jahren die Informationen für die Öffentlichkeit über Versorgungsunterbrechungen erheblich ausgebaut wurden – nicht zuletzt über Soziale Medien und Störungsauskünfte auf Webseiten.

Ein Sprecher von Bayernwerk Netz GmbH, dem nach eigenen Angaben größten Netzbetreiber in Bayern, schreibt: "Der Netzbetrieb war aus Sicht der Mittelspannungsleitstelle in diesem Winter stabil und nur von regionalen und keinen überregionalen Störungen betroffen." Auch eine Sprecherin des Betreibers des Portals Störungsauskunft.de bestätigt, dass es im Winter zu keinen Auffälligkeiten bei der Stromversorgung kam.

Zwei Spitzen stechen aber deutlich aus der Zeitreihe heraus. Am 2. Februar 2023 gab es 422 ungeplante Stromausfälle. Haushalte in 11 bayerischen Landkreisen waren hier teilweise zeitgleich von den Störungen betroffen. Am 10. März 2023 kam es insgesamt zu 155 Stromausfällen, verteilt auf acht Landkreise.

Wind und Schnee verursachen Störung

Grund für die gehäuften Störungen war aber kein regionales oder überregionales Netzversagen, sondern das Wetter. Das bestätigen etwa Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD). An beiden Tagen gab es starken Wind, der 10. März war an vielen Orten in Bayern der Tag mit der bisher höchsten gemessenen Windgeschwindigkeit 2023 (Stand: 14. April 2023). Am 2. Februar gab es vor allem in Ostbayern, wo die meisten der Stromausfälle gemeldet wurden, starken Schneefall.

Ein Sprecher der Bayernwerk Netz GmbH bestätigt das: "Das Tiefdruckgebiet (Oleg) stand ohne Bewegung mehr als 24 Stunden über den östlichen bayrischen Mittelgebirgen. Durch den massiven Schneefall kam es zu einem erhöhten Störungsaufkommen im regionalen Stromverteilnetz." Die Störungen seien aber zu jederzeit beherrschbar gewesen.

Auch die Bundesnetzagentur gibt Auskunft über Unterbrechungen der Stromversorgung. Für die Statistik übermitteln die Netzbetreiber Daten zu Ausfällen, die länger als drei Minuten andauern. Das Ergebnis für Bayern: 2021 waren ans Netz angeschlossene Endverbraucher im Schnitt gut 12 Minuten von einer Unterbrechung betroffen. Dieser Wert weicht kaum vom Durchschnitt seit 2008 ab. Werte für 2022 oder 2023 gibt es allerdings noch nicht. Auf Anfrage bestätigte die Bundesnetzagentur, dass erst Ende April die Meldungen der Netzbetreiber für 2022 erfolgen müssen. Erst dann werden die Informationen ausgewertet und später im Jahr veröffentlicht.

Menschen auf dem Land sind häufiger betroffen

Hinzu kommt: "Das Problem mit Durchschnitten ist, dass sie eben über das gesamte Kollektiv richtig sind – für jeden Einzelnen sind sie im Regelfall falsch", erklärt Christoph Maurer. "Es gibt Unterschiede, je nachdem, in welcher Region, welcher Siedlungsstruktur man wohnt." In den Städten seien Leitungsstränge etwa vergleichsweise kurz, eine Unterbrechung daher seltener. Regionen in denen gerade viel gebaut wird, sind häufiger betroffen. "Das Risiko, dass ein Bagger eine Leitung trifft, ist eben höher." Außerdem seien in Städten Versorgungsunterbrechungen generell viel seltener als auf dem Land, wo es häufiger Leitungen gebe, die im Freien durch die Luft geführt werden und dadurch beispielsweise deutlich anfälliger für Gewitter sind.

Das bestätigt auch die BR24-Analyse. Die vorliegenden Daten lassen sich, anders als die Daten der Bundesnetzagentur, gut regional aufschlüsseln. Im Untersuchungszeitraum vom November 2022 bis zum März 2023 war der Landkreis Passau am häufigsten betroffen. Die Analyse der Störungsauskunft-Webseite ergab 276 Ausfälle an insgesamt 77 Tagen in 33 Gemeinden im Landkreis. Auf Platz zwei und drei liegen die Landkreise Schwandorf und Cham. In einigen Städten wie Amberg, Erlangen oder Straubing wurden in diesem Winter dagegen gar keine Störungen gemeldet.

Ungeplante Stromausfälle je Landkreis von November bis März

Für München und den Landkreis enthalten die Daten auch die Ursachen für die ungeplanten Stromausfälle. Der am häufigsten auftretende Grund: "Technische Defekte". Auf Anfrage erklären die Stadtwerke München, dass es sich dabei etwa um Defekte bei Bauteilen handeln kann, um Kabelfehler oder einen Kurzschluss im Versorgungsnetz oder einer Anlage.

Panikmache vor Blackouts ist überzogen – Sorge um Stromversorgung nicht

Auch wenn der Winter 2022/2023 insgesamt unauffällig war – Wissenschaftler Christoph Maurer hält es für richtig, dass die drei Atomkraftwerke über den Winter am Netz gelassen und die Bevölkerung zum Energiesparen aufgerufen wurde. "Was letztes Jahr etwas übertrieben war, war die Sorge vor dem Blackout, da dieser auch tatsächlich in den schlimmsten Szenarien am Ende nicht zur Diskussion und nicht im Kausalzusammenhang mit der Energiekrise stand", erklärt Maurer.

Aber: Der Winter sei deutlich milder ausgefallen als in Worst-Case-Abschätzungen berücksichtigt. Dadurch war der Stromverbrauch geringer. Einer von mehreren Risikofaktoren, die nicht eingetreten sind. "Insofern wäre es jetzt falsch zu sagen, das war alles überzogen. Wir haben uns mit den Maßnahmen gezielt auf den Winter vorbereitet. Wir haben auch ein bisschen Glück gehabt", so Maurer.

Auch der Sprecher der Bayernwerk Netz GmbH sieht im Wetter einen Faktor, der dazu führte, dass es keine Versorgungs-Sicherheitsprobleme gegeben hat: Aufgrund der milden Witterung habe es im Winter 2022/2023 anders als in den Vorjahren kein bayernweites Störungs- oder Sturmereignis gegeben, das das komplette Versorgungsgebiet betroffen hätte.

Experte: Energiekrise noch nicht vorbei

Energiesparen könnte laut Christoph Maurer auch im kommenden Winter nochmal von Bedeutung sein. Denn die Energiekrise sei noch nicht vollständig vorbei. Auch ein trockener Sommer könnte Auswirkungen auf die Energieversorgung haben – etwa der Betrieb von Wasserkraftwerken, Speicherkraftwerken in den Alpen oder der Kohletransport auf den Flüssen sei davon abhängig.

Die Abschaltung des Kernkraftwerks Isar 2 hält Maurer allerdings für eher unproblematisch. "Wir haben Ende letzten Jahres verschiedene Kohlekraftwerke wieder in den Betrieb genommen. Die werden auch im kommenden Winter noch laufen." Die Gesamtleistung der Kohlekraftwerke sei höher als die der Atomkraftwerke. Diese seien also nicht der entscheidende Faktor.

Über die Daten:

Für diese Analyse wurden die Daten der beiden Websites Störungsauskunft.de und der Störungs-App der Stadtwerke München im Zeitraum vom 07.11.2022 bis zum 21.03.2023 alle fünf Minuten automatisiert gesammelt. Da in einigen Fällen in gleichen Orten zur gleichen Uhrzeit (auf fünf Minuten gerundet) Störungen vom selben Anbieter aus dem gleichen Grund gemeldet wurden, wurden diese Meldungen zu einem Stromausfall zusammengefasst. Die Daten der Stadtwerke München waren nach Stadtbezirken unterteilt. Alle Meldungen außerhalb von München wurden dem Landkreis München zugeschrieben. Ob eine Störung Bayern betraf, wurde anhand der Postleitzahlen der Meldungen ermittelt.

Die Orte der Ausfall-Meldungen von Störungsauskunft.de wurden über ihre Postleitzahlen den jeweiligen Städten und Landkreisen zugeordnet. Nicht als Stromausfall zählten Meldungen, die die Einspeisung von Strom ins Netz betrafen. Ebenfalls nicht in die Berechnungen eingeflossen sind Meldungen des LEW Verteilnetzes am 7. Dezember 2022 und am 10. Januar 2023. Diese konnte in Rücksprache mit dem Netzbetreiber als Fehlalarm identifiziert werden. Ob ein Stromausfall tatsächlich stattgefunden hat, konnte nur stichprobenartig überprüft werden. Fehler in den beiden Datenquellen können nicht ausgeschlossen werden.

Die Bundesland-Daten der Bundesnetzagentur sind nur näherungsweise deckungsgleich mit den Bundesländergrenzen. Hat ein Netzbetreiber ein Netzgebiet, das sich in mehr als einem Bundesland befindet, werden die Versorgungsunterbrechungen dem Bundesland zugerechnet, in dem der Netzbetreiber seinen Firmensitz hat.

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