Hubert Gärtner will einem Kamerateam von report München gerade ein Interview geben. Der Rentner schaffte es vor einigen Jahren, Telefonbetrüger reinzulegen. Doch als die Kamera läuft, blickt Hubert Gärtner irritiert auf, denn sein Telefon klingelt. Er scheint keinen Anruf zu erwarten. Hubert Gärtner nimmt den Telefonhörer ab.
Ein echter Schockanruf vor laufender Kamera
Eine Frauenstimme sagt: "Guten Tag Herr Gärtner, Christine Meier von der Kriminalpolizei, Dienststelle K12." Die Anruferin ist eine Betrügerin. Sie behauptet, Gärtners angebliche Tochter habe einen Unfall gebaut und dabei einen Menschen überfahren. Sie komme in Haft. Es sei denn, der Rentner bezahlt eine Kaution.
Die Masche der Täter heißt Schockanruf. Hubert Gärtner soll Opfer dieses Betrugsdelikts werden. Die Täter ahnen nicht, dass der Rentner die Masche durchschaut hat. Und sie ahnen auch nicht, dass ein Kamerateam ihren Anruf aufzeichnet.
Rentner informiert heimlich Polizei
Hubert Gärtner will den Tätern eine Falle stellen. Er gibt vor, in seiner Wohnung nach Geld zu suchen. Stattdessen ruft er mit seinem Smartphone heimlich die Polizei. Seinen Fall übernimmt die Kommissarin Désirée Schelshorn. Mit ihren Kollegen im Kommissariat 61 im Polizeipräsidium München fokussiert sie sich auf Betrugsdelikte wie Schockanruf und Enkeltrick.
Mit diesen beiden Maschen wurden laut Landeskriminalamt Bayern im vergangenen Jahr wohl rund 13,5 Millionen Euro erbeutet. Das zeigt eine Auswertung des ARD-Politikmagazins report München. 2019 lag der Schaden noch bei rund zwei Millionen Euro.
Täter sitzen meist im Ausland
Betroffene verlieren häufig nicht nur ihr Erspartes, sondern auch ihr Selbstwertgefühl. Viele schweigen aus Scham über das Geschehen. Manche nehmen sich das Leben, berichtet Kommissarin Schelshorn.
Die Täter rufen meist bewusst aus dem Ausland an. Das erschwert die Strafverfolgung. Polizei und Staatsanwaltschaften müssen sich erst länderübergreifend organisieren, beispielsweise in extra eingerichteten Ermittlungsgruppen, sogenannten JITS - Joint Investigation Teams. Erste Erfolge gibt es: Ende 2023 wurde ein kriminelles Callcenter in Warschau durchsucht, die Ermittlungen hatten spezielle Fahnder für Organisierte Kriminalität aus Oberfranken angestoßen.
Hürden bei der Strafverfolgung
Hinter den Telefonanrufen vermuten Ermittler enorm professionelle, international operierende Familienverbünde. Unterschiedliche Personen agieren dabei in separaten Rollen – vom Anrufer, dem sogenannten Keiler, über den sogenannten Logistiker bis zum Abholer, der die Tatbeute bei den Betroffenen entgegennimmt. Selbst wenn ein Abholer festgenommen wird, kennt dieser häufig nicht alle Hinterleute.
Wie schwierig es ist, an die Drahtzieher heranzukommen, zeigt der Fall eines Ermittlers des Polizeipräsidium Mannheims. Christian Rostohar hat gegen eine bestimmte Person ermittelt, sogar mit Telefonüberwachung. Es handelte sich dabei um einen "mutmaßlichen Drahtzieher aus der obersten Hierarchieebene". Gegen die Person wurde ein europäischer Haftbefehl erlassen. Sie soll in Polen festgenommen, allerdings kurz darauf wieder freigelassen worden sein und inzwischen das Land verlassen haben.
Bei Anruf sofort auflegen
Ermittler empfehlen, regelmäßig mit Angehörigen über solche Betrugsmaschen zu sprechen. Kommissarin Schelshorn sagt: "Wenn wir in der Prävention so weit kommen, dass sich die Menschen Gedanken machen: Was mache ich, wenn ich angerufen werde? Was sind meine ersten, zweiten und dritten Schritte? Wenn ich das ein paarmal durchgespielt habe, dann kann ich das vielleicht auch so realisieren, wenn es wirklich so weit ist."
Wichtig: Weder die Polizei noch andere Behörden in Deutschland stellen am Telefon, per Mail oder WhatsApp Kautions- oder sonstige Geldforderungen. Wer einen entsprechenden Anruf erhält, sollte sich nicht auf Gespräche einlassen, sondern auflegen und im Zweifel die Polizei anrufen – aber niemals unter einer Nummer, die einem der Anrufer zuvor mitteilt. Außerdem empfiehlt es sich, bei Anrufen durch unbekannte Nummern nicht den Namen zu nennen, sondern sich mit "Hallo" zu melden, und auch sonst keine Informationen preiszugeben.
Hinterleute bleiben auch im konkrete Fall unerkannt
Der Fall des Münchner Rentners dagegen geht gut aus. Über Stunden hält Hubert Gärtner die Täter am Telefon hin. Er gibt vor, Geld und Goldmünzen in ein Päckchen zu packen und dies einem Abholer übergeben zu wollen. Doch als dieser eintrifft, wartet auf ihn die Polizei. Wer die Hinterleute in diesem Fall sind, ist noch völlig unklar.
Wie es Rentner Hubert Gärtner gelungen ist, die Täter reinzulegen und wie die Münchner Kommissarin Désirée Schelshorn gegen diese besondere Form der Kriminalität ermittelt, zeigt die Dokumentation "Die Fahndung – Kommissarin gegen Millionenbetrüger" von report München in der ARD Mediathek.
Im Audio: Telefonbetrug: Dieser Rentner schlägt zurück
Dieser Artikel ist erstmals am 12.11.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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