Symbolbild: Mit Handschellen gefesselte Hände.
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Toter Obdachloser in Immenstadt: Verdächtiger war nicht allein

Toter Obdachloser in Immenstadt: Verdächtiger war nicht allein

Eine Woche nach dem tödlichen Angriff auf einen Wohnungslosen im Allgäu werden immer mehr Details bekannt: etwa, dass der 17-jährige Tatverdächtige nicht allein unterwegs war - und, dass es in Immenstadt über zehn sogenannte "Intensivtäter" gibt.

Die Bestürzung über den Tod eines obdachlosen Mannes in Immenstadt ist immer noch groß. Ein 17-Jähriger soll Anfang Mai in der Nacht von Montag auf Dienstag einen 53-jährigen Mann angegriffen haben. Der konnte die Attacke noch selbst bei der Polizei anzeigen, starb aber wenige Stunden später an einer Hirnblutung.

17-Jähriger war nicht allein

Jetzt ist klar, dass bei dem Angriff drei weitere Personen dabei gewesen sind. Das bestätigte Holger Stabik, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West, auf BR24-Nachfrage. Allerdings seien sie nicht an der Tathandlung beteiligt gewesen, so Stabik. Alle drei Personen sind inzwischen vernommen worden. Über die Inhalte ihrer Aussagen will die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen keine weiteren Angaben machen. Der mutmaßliche Täter sitzt seit seiner Festnahme vergangene Woche in Untersuchungshaft.

Spenden sammeln für eine Bestattung

Inzwischen hat sich laut dem Immenstädter Bürgermeister Nico Sentner (parteilos) auch eine private Initiative gegründet. Diese sammle Spenden und wolle sich wohl auch um die Bestattung des Mannes kümmern. Sentner versprach Unterstützung seitens der Stadt, sollte sie benötigt werden.

Für ihn und seine Stadt ist die mutmaßlich tödliche Attacke "eine große Katastrophe". Obwohl die Stadt und auch das Landratsamt Oberallgäu schon viel in Sachen Jugend- und Sozialarbeit leiste, könne er sich vorstellen, dass ein zusätzlicher Streetworker präventiv wirken könnte.

Allerdings sieht er auch die Polizei und Justiz in der Pflicht - letztere, "da es oft zu langen Leerzeiten kommt, bis für bereits getätigte Straftaten Anklage erhoben wird", so Sentner. Außerdem fordert er mehr Personal für die Polizeiinspektion, damit diese auch wieder präventiv im öffentlichen Raum auftreten kann.

Tatverdächtiger bereits gerichtsbekannt

"Wir sind vor Ort präsent", hält Polizeisprecher Stabik dagegen und meint damit vor allem diejenigen Beamten, die sich um jugendliche "Intensivtäter" wie den tatverdächtigen 17-Jährigen kümmern. Gegen ihn laufen nach Angaben der Staatsanwaltschaft Kempten zwei Gerichtsverfahren – eines wegen mehrerer Einbruchsdiebstähle und eines wegen Körperverletzung und Bedrohung. In beiden Verfahren wurde laut Thomas Hörmann, Oberstaatsanwalt in Kempten, Anklage gegen den Jugendlichen erhoben: einmal Anfang des Jahres, einmal erst kürzlich Anfang Mai.

12 Intensivtäter in Immenstadt

Als jugendliche Intensivtäter werden bei der Polizei Heranwachsende zwischen zehn und 20 Jahren geführt, die laut Holger Stabik in kurzer Zeit mehrere schwerwiegende Taten begangen haben. Dabei handle es sich nicht nur um Gewaltdelikte, sondern zum Beispiel auch um Einbrüche, Diebstähle oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Allein in Immenstadt waren 2023 insgesamt 12 Intensivtäter registriert. Im ganzen Einzugsbereich des Polizeipräsidiums (also zwischen Füssen und Günzburg und Lindau) waren es 60 jugendliche Intensivtäter. "Da kann man in Immenstadt von einem Schwerpunkt sprechen", räumt Stabik ein.

"Täter-bezogene" Polizeiarbeit

Allerdings sei die Hälfte der Intensivtäter in den vergangenen zwei bis drei Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten. Aus dem bayernweit einheitlichen Programm werden die jungen Kriminellen trotzdem nicht entlassen. Denn dadurch könnten wertvolle Informationen verloren gehen. Im Rahmen des Intensivtäter-Programms hat die Polizei die Möglichkeit, Täter-bezogen, und nicht wie sonst üblich, Tatort-bezogen zu arbeiten, so Stabik. Das heißt: Auf jeder Dienststelle gibt es spezielle Jugendsachbearbeiter, die die jugendlichen Straftäter kennen und die Anzeigen gegen sie unabhängig vom Tatort bearbeiten. Außerdem sammeln sie laut Stabik viele Informationen, zum Beispiel, wenn es um Freunde, Schule, familiäres Umfeld, aber auch um die Vernetzung mit anderen offiziellen Stellen wie der Jugendgerichtshilfe geht.

Erziehung statt Bestrafung

"Die Jugendsachbearbeiter versuchen, die Jugendlichen möglichst engmaschig zu begleiten und ihre 'Karrieren' zu unterbrechen", sagt Stabik. Ziel des Intensivtäterprogramms, das es in Bayern seit 2008 gibt, sei nicht die Bestrafung, sondern die Erziehung der Heranwachsenden. "Die Polizei kann aber trotzdem nicht jede Straftat verhindern", erklärt Stabik.

Im Audio: Angst haben fast alle – Gewalt im Leben von Obdachlosen

Das Beitragsbild des Dok5 \"Angst haben fast alle - Gewalt im Leben von Obdachlosen\" zeigt einen schlafenden Obdachlosen auf einer Bank in Berlin.
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Angst haben fast alle

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