Symbolbild 15.05.2024: Teilnehmer einer Pro-Israel-Demo in Sichtweite einer Pro-Palästina-Demo in Köln.
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"Vergiftete Debatte": Veranstaltung zum Nahost-Konflikt abgesagt

"Vergiftete Debatte": Veranstaltung zum Nahost-Konflikt abgesagt

Debatten über den Nahost-Konflikt sind zunehmend schwieriger, die Fronten verhärtet. Am Abend sollten in München Vertreter beider Seiten miteinander diskutieren, doch die evangelische Kirche sagte nach Antisemitismus-Vorwürfen die Veranstaltung ab.

Seit dem brutalen Überfall der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel tobt in Deutschland eine Debatte über den schmalen Grat zwischen Antisemitismus und angemessener Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung im Gazastreifen. Bundesweit wurden zahlreiche Veranstaltungen, Lesungen, Filmvorführungen und auch ein Friedensgebet nach Kritik schon abgesagt. Nun traf es eine Diskussionsrunde in München.

Die Evangelische Stadtakademie München (Externer Link) sagte die für den Abend geplante Veranstaltung mit dem Titel "Vergiftete Debatte – versperrte Wege – Wie wir trotz des Israel/Palästina-Konflikts zusammenhalten können" nach Antisemitismus-Vorwürfen ab. An der Veranstaltung hätten der Orientalist Stefan Jakob Wimmer von der Gesellschaft "Freunde Abrahams", der Geschäftsführer der Europäischen Rabbinerkonferenz, Gady Gronich und der palästinensische Aktivist Fuad Hamdan teilnehmen sollen.

Antisemitismus? Volker Beck äußerte Bedenken

Nach Angaben von Wimmer hatte Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, bei der Evangelischen Kirche interveniert und Bedenken gegen Hamdan geäußert. Der Evangelisch-Lutherische Dekanatsbezirk München bestätigte, dass unter anderem Beck auf Posts von Hamdan hingewiesen habe, betonte aber, dass die Entscheidung zur Absage eigenständig erfolgt sei.

Orientalist Wimmer beklagt "Antisemitismusfalle"

Alle drei Referenten zeigten sich im Gespräch mit BR24 enttäuscht: "Die Veranstaltung war dazu gedacht, kritisch über den Konflikt zu reden und das Schweigen zu durchbrechen", so Wimmer. Egal, ob man Äußerungen von Hamdan richtig finde oder nicht, "das kocht ja weiter". "Wenn man pro-palästinensische Äußerungen so massiv aus dem Diskurs verbannt, wird uns das um die Ohren fliegen", warnte Wimmer. Er sprach von einer "Antisemitismusfalle": So würde Antisemitismus nicht bekämpft, sondern de facto geschürt.

Gronich: "Miteinander statt übereinander reden"

"Ich bin sehr enttäuscht", sagte auch Gronich. Er kenne Hamdan nicht persönlich, wäre aber bereit gewesen, mit ihm zu sprechen. "Ich will auch mit Leuten sprechen, die nicht meine Freunde sind", betonte der Geschäftsführer der Europäischen Rabbinerkonferenz und verwies auf Gespräche, die er im Juli in Genf sogar mit "Hardcore-Islamisten" aus mehreren Ländern geführt habe. Er wollte mit ihnen darüber sprechen, "wie wir es schaffen, die Straße zu beruhigen". Gronich: "Wenn alle nur noch übereinander und nicht miteinander reden, ist das eine sehr gefährliche Entwicklung, gesellschaftlich, politisch sowie in der Diplomatie und im interreligiösen Dialog." Gronich bedauerte, dass Beck ihn nicht kontaktiert habe.

Fuad Hamdan: "Das wäre ein Zeichen gewesen"

Fuad Hamdan kritisierte, dass sich die Kirche dem Einfluss von außen gebeugt habe. Selbstverständlich setze er sich als Palästinenser für die palästinensische Sache ein, aber inzwischen gelte "alles als antisemitisch". Er wies darauf hin, dass Gronich bereit gewesen wäre, mit ihm zu diskutieren. Hamdan: "Alleine die Tatsache, dass wir uns vor und nach der Veranstaltung die Hand gegeben hätten, wäre ein Zeichen gewesen."

Dekanatsbezirk: Keine Intervention von außen

Der Evangelisch-Lutherische Dekanatsbezirk München erklärte, man bedauere die Absage sehr. Ziel des Abends sei es gewesen, "eine 'vergiftete Debatte' zu 'entgiften'. Dies ist aber nur möglich, wenn die Debattierenden nicht selbst zur Vergiftung der Debatte beigetragen haben", so Stadtdekan Bernhard Liess in einer Mail an den BR. Er nennt mehrere Posts, in denen israelische Politiker und das Vorgehen im Gazastreifen mit dem NS-Regime verglichen worden seien.

Der Dekanatsbezirk sei durch den Antisemitismusbeauftragten der EKD und Beck auf "problematische Posts und Äußerungen" von Hamdan aufmerksam gemacht worden. Liess: "Dies war aber zu keinem Zeitpunkt eine Intervention von außen, der wir uns gebeugt hätten. Das unterstellt ja, als gäbe es eine Israel-Lobby, die eine freie und offene Debattenkultur unterbinden würde." Vielmehr habe die eigene Prüfung ergeben, dass man "eine Abendveranstaltung mit Herrn Hamdan als nicht vertretbar mit unseren Werten" angesehen habe. Volker Beck wollte sich nicht öffentlich äußern.

Im Audio: Jüdische Menschen im Spannungsfeld

Symbolbild: Künstlerin Candice Breitz
Bildrechte: Jenny Sekwa
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Symbolbild: Künstlerin Candice Breitz

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