Wenn das Handy die 112 wählt: Falsche Notrufe stark zugenommen (Symbolbild)
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Mitarbeiter einer Leitstelle der Feuerwehr in Deutschland (Symbolbild)

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Wenn das Handy selbst die 112 wählt: Immer mehr falsche Notrufe

Wenn das Handy selbst die 112 wählt: Immer mehr falsche Notrufe

Bayerns Integrierte Leitstellen schlagen Alarm - weil zu viel Alarm geschlagen wird. Die Zahl an Fehlanrufen, hinter denen gar kein Notfall steckt, hat sich zuletzt teils verdoppelt. Schuld daran ist offenbar ein Update beim Betriebssystem Android.

Es raschelt und knackst, verhaltenes Gemurmel ist zu hören. Aber niemand meldet sich. Wenn die Mitarbeiter in Bayerns Integrierten Leitstellen Anrufe über die Notruf-Nummer 112 entgegennehmen, herrscht am anderen Ende der Leitung oft Schweigen. Hunderte Fehlanrufe, bei denen gar kein Notfall vorliegt, gehen täglich bei den Leitstellen ein. Sie dauern meist nur wenige Sekunden, kosten die Mitarbeiter aber wertvolle Minuten.

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In letzter Zeit hat das Problem stark zugenommen - das bestätigten die Integrierten Leitstellen in München, Augsburg, Passau, Regensburg, Nürnberg und Würzburg auf Nachfrage von BR24. Die Leitstelle Passau etwa hat seit Januar 2023 eine Verdopplung der Fehlanrufe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum festgestellt. Dahinter stecken nicht etwa Streiche von Lausbuben (oder -mädchen), sondern Handys, Smartwatches und sogar Autos, die sich selbstständig machen. Besonders ein Update des Betriebssystems Android hält die Leitstellen auf Trab.

Hosentaschen-Anrufe vom Ernstfall unterscheiden

Wenn keine Sprachverbindung zustande kommt, legen die Mitarbeiter in den Leitstellen nicht einfach auf. Sie lokalisieren die Position des Anrufers und versuchen hinzuhören, ob sie tatsächlich nur mit der Hosentasche verbunden sind, wo das Smartphone durch eine zufällige Berührung die 112 gewählt hat. Denn es gibt auch Fälle, in denen Anrufer nicht sprechen können, etwa, weil sie bedroht werden oder nicht mehr bei Bewusstsein sind.

Je nach Bauchgefühl rufen die Mitarbeiter der Leitstelle die Nummer zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal an. Manchmal sogar mehrfach. Das koste Zeit, bestätigt unter anderem die Leitstelle Regensburg: "Der Disponent oder die Disponentin ist mit der Dokumentation und gegebenenfalls einem Rückruf etwa ein bis zwei Minuten gebunden."

In seltenen Fällen werde sogar Alarm ausgelöst. "Ab und zu kommt es doch zur Entscheidung, dass wir ein Einsatzfahrzeug losschicken", berichtet der Leiter der Leitstelle Passau, Sebastian Fehrenbach, im Gespräch mit BR24. Einmal, so erzählt er, hätten die Kollegen bei dem Anruf im Hintergrund Schüsse gehört und deshalb sofort die Einsatzkräfte alarmiert. Es stellte sich heraus: Der Anrufer befand sich auf einem Schießstand und war völlig überrascht, dass sein Smartphone den Notruf aktiviert hatte.

Die Anrufzahlen explodieren

Ob es nun das Handy in der Hosentasche ist oder ein Kind, das mit dem Telefon spielt: Fehlanrufe lassen sich grundsätzlich nicht vermeiden. In den vergangenen Monaten gab es jedoch einen gewaltigen Zuwachs. Darüber hat die "Augsburger Allgemeine" zuerst berichtet.

Einige Leitstellen bestätigen auf BR24-Anfrage nur den subjektiven Eindruck, dass es einen deutlichen Anstieg gebe, andere erheben sogar Statistiken: In Passau etwa gingen im Jahr 2022 insgesamt rund 17.800 Fehlanrufe ein, wie Leitstellen-Leiter Fehrenbach berichtet. 2023 habe man allein seit Januar bereits 14.500 falsche Notrufe entgegengenommen. Bis zum Jahresende werde die Zahl wohl noch deutlich weiter steigen: "Wir gehen davon aus, dass es eine Verdopplung der Notrufzahlen ist."

Das Problem besteht offenbar weltweit, Berichte dazu gibt es unter anderem aus den USA, Kanada und der Schweiz. Schuld daran sei unter anderem ein Update des Betriebssystems Android, das den Notruf noch niederschwelliger auslöse, etwa durch eine Seitenleiste auf dem Startbildschirm. Google teilte BR24 dazu mit: "Wir wissen von Berichten von Notdiensten über erhöhte unbeabsichtigte Notrufe im Zusammenhang mit der Fünf-Tasten-Notruf-Funktion ("Emergency SOS")."

Android-Update ist schuld - Problem wohl bereits gelöst

Das den Leitstellen übergeordnete bayerische Innenministerium erklärt, das Problem sei der Behörde seit Ende Mai bekannt. Man habe eine technische Analyse in Auftrag gegeben, um die Ursache zu bestätigen. "Die sehr oft versehentlich ausgelösten Notrufe wurden durch neue Funktionalitäten zur vereinfachten Wahl des Notrufs 112 eines Smartphone-Betriebssystems herbeigeführt." Das Problem sei an die länderübergreifende Expertengruppe Leitstelle und Notruf (EGLN) gemeldet worden, "um somit gemeinsam mit den anderen Bundesländern sowie den weiteren Vertretern vom Bund, Landkreis- und Städtetag und den beteiligten Verbänden an den Verursacher heranzutreten".

Auch der bundesweite Fachverband Leitstellen e.V. hat das Problem erkannt: "Seit Herbst 2022 wurde durch die Gerätehersteller Android 13 auf die Handys ausgerollt. In diesem Update sind verschiedene Funktionen enthalten, die es den Nutzenden erleichtern sollen, einen Notruf auszulösen. Diese eigentlich gut gemeinten Funktionen sorgen leider dafür, dass Notrufe sehr oft versehentlich ausgelöst wurden", heißt es in einer internen Mail an die Mitglieder, die BR24 vorliegt.

Sowohl das Innenministerium als auch der Verband bestätigen: Google sei inzwischen aktiv geworden und habe ein neues Android-Update auf den Markt gebracht. Der Konzern hat dies auf Nachfrage von BR24 bestätigt. Die Leitstellen werden dennoch noch eine Weile mit übermäßig vielen Fehlanrufen konfrontiert sein: Nämlich noch so lange, bis die Nutzer das neue Update auf ihren Smartphones installiert haben.

Notruf der Zukunft - Müssen wir bald nicht mehr selbst anrufen?

Ist das Problem der automatischen Anrufe durch ein Update nun langfristig behoben? Der Abteilungsleiter der Integrierten Leitstelle Nürnberg, Marc Gistrichovsky, geht nicht davon aus. Er beschäftigt sich auch ehrenamtlich mit der Frage, durch welche technischen Möglichkeiten ein Notruf ausgelöst werden kann: Als Vorsitzender des Fachverbandes Leitstellen e.V.. Der Verband steht in engem Kontakt mit der European Emergency Number Association (EENA) und diese wiederum berät sich häufig mit Vertretern von Apple und Google. Zum Beispiel, um die Ortung von Notrufen auf europäischer Ebene zu vereinheitlichen.

"Inwieweit der klassische Anruf in den nächsten 20 Jahren noch das Hauptmedium zur Kommunikation sein wird? Da bin ich gespannt!", sagt Gistrichovsky. Der Trend gehe hin zu Systemen, die selbstständig Vorfälle melden. Er sieht darin nicht zwingend eine zusätzliche Belastung der Notruf-Zentralen, sondern auch eine Chance auf schnellere Rettungseinsätze. Als Beispiel nennt er das Notruf-System E-Call, das seit 2018 in neue Autos verbaut werden muss. Es nutzt Mobilfunk und Satellitenortung, um nach einem Unfall automatisch eine Telefonverbindung zur 112 herzustellen. Auch das neue iPhone und die Apple-Smartwatch habe Sensoren integriert, die Stürze oder Unfälle erkennen: "Neulich hat ein Handy angerufen von der A3 und selbstständig einen Verkehrsunfall gemeldet. Einfach durch den Aufprall", so Gistrichovsky.

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