Sozialarbeiter und Holzkünstler Thomas Schenk
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Holz-Künstler bewahrt Autisten vor der Psychiatrie

Holz-Künstler bewahrt Autisten vor der Psychiatrie

Florian Offinger galt als Systemsprenger. Schule, Behindertenwerkstatt, alle hatten sie ihm gekündigt. Der Autist stand vor der Einweisung in die Psychiatrie. Doch dann traf er Sozialarbeiter und Holzkünstler Thomas Schenk - und es kam anders.

Kurz nach acht, Thomas Schenk sperrt die Tür seiner Werkstatt auf. "Florian, was meinst, machen wir den Ofen an?", fragt er den 26-Jährigen. Der nickt, geht zum Ofen, zündet die Holzscheite an. Er ist hier immer fürs Feuermachen zuständig. Und er macht das heute auch so, wie immer: Routinen sind wichtig für den 26-Jährigen. Routinen, und eine konkrete Bezugsperson. Die ist Thomas Schenk für ihn geworden, innerhalb der vergangenen beiden Jahre.

Seitdem holt Thomas Schenk Florian zwei Mal die Woche morgens ab. Florian wohnt mit seinen Eltern und seiner Oma im kleinen Dorf Dornstadt, gut 20 Kilometer entfernt von Nördlingen. Florian hat eine Autismus-Spektrum-Störung. Er reagiert sehr sensibel auf alles, was er nicht kennt, braucht eine individuelle, einfühlsame Betreuung. Die bekommt er bei Thomas Schenk, zwei Mal die Woche arbeiten die beiden etwa vier Stunden zusammen. Heute wollen sie die Rinde von einem langen Eschenbrett entfernen - gemeinsam mit einem hohlen Apfelbaumstamm aus dem Ries soll das zu einer Küchentheke zusammengebaut werden. Florian greift nach Hammer und Meißel und fängt an, Stück für Stück die Rinde abzutrennen.

Holz als Medium

Thomas Schenk hat schon oft die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit Behinderung oder auch mit Suchterkrankungen durch das Medium Holz gut erreichbar sind. "Ich merk das eigentlich bei allen Menschen, wenn sie reinkommen, in die Werkstatt, die meisten strecken die Hand aus, und streichen übers Holz. Andere Pädagogen nehmen dafür Tiere - ich nutze Holz, als Mittler." Für Florian hat Holz noch eine ganz besondere Bedeutung: Gemeinsam mit seinem im vergangenen Jahr verstorbenen Opa hat er oft mit Holz gearbeitet. "Insektenhäuschen, ein Hochbeet und Nistkästen", hätten sie geschreinert, sagt der 26-Jährige. Dass er mit uns spricht, noch dazu vor der Kamera, das wäre noch vor nicht allzu langer Zeit nicht möglich gewesen. "Florian hat eigentlich überhaupt nicht gesprochen, mit Fremden. Wenn jemand in die Werkstatt kam, war das immer eine große Störung. Mittlerweile schaffen wir es aber sogar, Objekte zu den Kunden auszuliefern. Manchmal gehen wir auch einfach nur eine Leberkässemmel holen beim Metzger. Kleinigkeiten, aber für Florian eine große Sache", sagt Thomas Schenk.

Förderschule, Behindertenwerkstätten: Für Florian nicht das Richtige

Vor zwei Jahren war das alles noch undenkbar. Florian stand kurz davor, in die Psychiatrie eingewiesen zu werden. "Im schulischen System würde man sagen, Florian ist ein Systemsprenger", sagt Schenk. Erst die Schule, dann andere Einrichtungen: Alle hatten sie ihm gekündigt. Florian habe nur noch zuhause gesessen, ohne jegliche Teilhabe. "Die geschlossene Psychiatrie stand an, mit allem, was dazugehört", sagt Schenk, "und nicht ohne Stolz können wir sagen, dass wir das alles abgewendet haben. Das war kein Thema mehr, er braucht auch keine Medikamente".

Sozialarbeiter und Holzkünstler Thomas Schenk mit Florian Offinger in der Werkstatt an einem langen Eschenbrett.
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Sozialarbeiter und Holzkünstler Thomas Schenk mit Florian Offinger in der Werkstatt.

Eins-zu-eins-Betreuung ist wichtig

Die kreative Arbeit mit Holz ist das eine, vermutet Thomas Schenk – vor allem aber ist die Eins-zu-eins-Betreuung wichtig – er kennt Florian inzwischen sehr genau. Er sei immer darauf bedacht, die "Zwischentöne" von Florian zu erkennen, rechtzeitig zu reagieren, ganz individuell auf seine Bedürfnisse einzugehen. "Und wenn wir alleine sind, haben wir was geschafft, worauf ich sehr stolz bin", sagt Schenk: "Wir haben den Humor für uns entdeckt, was man Menschen mit Autismus überhaupt nicht nachsagt, das ist ne tolle Sache auch – das gemeinsame Lachen, für uns ein wahnsinnig großer Schritt."

Mehr kleinteiligere Angebote auf dem ersten Arbeitsmarkt

Schenk ist froh, dass er die Möglichkeit bekam, Florian zu betreuen. Diese Option müsste es für viel mehr Menschen mit Behinderung geben, meint der Pädagoge. Theoretisch gibt es sie auch, nur viel zu wenige wüssten darüber Bescheid: Jeder Mensch mit Behinderung habe ein gewisses finanzielles Budget. Damit könnte man Leistungen wie Fahrdienste, Pflege oder eben therapeutische Betreuung bezahlen, so wie Florian sie bei ihm bekomme. Der Bezirk Schwaben zahlt das Geld über Florians gesetzliche Betreuerin an Thomas Schenk aus. Das ist laut Bezirk in dieser Art und Weise bisher einzigartig in Schwaben. "Damit ist Florian mein Chef", sagt der, im Prinzip sei das eine unmittelbare Qualitätskontrolle für ihn. Natürlich hätten die etablierten Einrichtungen, wie etwa Werkstätten für Menschen mit Behinderung, ihre Berechtigung. Aber manchen Menschen würde das einfach nicht gerecht. Gerade Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung hätten oft Probleme, mit anderen zusammenzuarbeiten und bräuchten eine individuellere Betreuung. Schenk würde sich freuen, wenn dieses Modell bekannter würde, es mehr kleinteiligere Angebote gäbe und mehr Handwerker oder andere Betriebe, auch in Zusammenarbeit mit Pädagogen, stundenweise solche Arbeitsplätze anbieten würden. Dann kämen die betreuten Menschen mit dem ersten Arbeitsmarkt in Kontakt, wären nicht weiter ausgegliedert: "Das fände ich sehr wichtig, das ist doch wirklich Inklusion".

Florian "wie ausgewechselt", seit er bei Thomas Schenk arbeitet

Florian hat inzwischen die ganze Rinde von dem Brett entfernt und ist dabei, mit der Schleifmaschine den Baumstamm glatt zu machen. Große Sägen seien ihm suspekt, sagt Schenk, aber Schleifen mache ihm Spaß. Manchmal summe er auch im Ton der Maschine mit beim Arbeiten. Heute aber merkt er, dass es genug ist. Nach gut zwei Stunden ist für heute Schluss. Florian wird ihm zwar nachher eine Nachricht schreiben, dass er das sehr interessant fand, mit den Interviews - aber, es hat ihn auch Kraft gekostet.

Bevor Thomas Schenk Florian nach Hause bringt, gehen die beiden noch ein paar Minuten mit Wald spazieren. Eine kleine Auszeit - und manchmal finden sie auf diesen Streifzügen auch allerlei Brauchbares für neue Objekte. Die schreinert Florian hin und wieder auch für zuhause: Im Eingangsbereich seines Elternhauses in Dornstadt hängen Holzelche - die hat Florian ausgesägt, erzählt er stolz. "Da bin ich froh, dass ich beim Thomas a weng was lern und was Schönes bastel", sagt er. Im Wohnzimmer zeigt er auf den Holztisch, den haben die beiden für seine Oma angefertigt. "Florian ist wie ausgewechselt, seit er bei Thomas ist", sagt die, und seine Mutter Brigitte Offinger nickt. Er gehe auch mal auf Leute zu, wenn Besuch da sei. Das habe er vorher nie gemacht. "Darüber sind wir sehr froh."

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