Ein älterer Herr liegt in der Notaufnahme und klagt über Schmerzen im Bauch – zwei Medizinstudierende sollen ihn behandeln. Nicht in einem echten Krankenhaus, sondern in einer virtuellen Notaufnahme.
Justus Hammermann und Ida Els tragen Virtual-Reality-Brillen und bewegen sich damit durch eine computergenerierte Simulation, die einem realen Notfall erstaunlich nahekommt. Denn der Patient wird wie in einem echten Notfall immer kränker, wenn sie nicht handeln. Deswegen muss es jetzt schnell gehen. 40 Minuten Zeit haben sie, um die Diagnose zu stellen, Entscheidungen zu treffen und die passenden Medikamente auszuwählen. Mit Joysticks in der Hand und VR-Brillen auf dem Kopf untersuchen die beiden den Körper des Patienten.
Dass sie eigentlich in einem Seminarraum der Uni Würzburg steht, vergisst Els schnell: "Es ist super realistisch. Ich habe das Gefühl, ich stehe in der Notaufnahme."
Praxisnahe Erfahrung, die eine Lücke schließt
In einer virtuellen Notaufnahme Patienten zu behandeln und Notfälle zu üben, gibt den Studierenden eine besondere Lernmöglichkeit. Denn als einzige Universität in Bayern bietet die Universität Würzburg VR-Trainings an.
Els und Hammermann sind im 10. Semester, im Studium lernen sie zwar das theoretische Wissen, können aber eher selten Notfälle versorgen. Selbst Hand anzulegen, statt nur zuzuschauen – das hat Auswirkungen auf die medizinische Ausbildung: "Wir haben auf jeden Fall gute Hinweise dafür, dass in dieser Notaufnahme, in dem 'echten' Kontext zu lernen, effizienter und effektiver ist, als diese Fälle nur zu besprechen", sagt Tobias Mühling, Leiter der Lehrklinik am Universitätsklinikum Würzburg. Die Studenten erinnerten sich dann, wie sie etwas in einer bestimmten Situation gelöst, etwa, dass sie einem Patienten ein bestimmtes Medikament gegeben hätten. "Das ist dann in der realen Situation besser abrufbar", erklärt Mühling.
Mehr Wissen, mehr Motivation
Mühling hat zusammen mit seinem Doktoranden Marco Lindner eine Studie zum VR-Lernen durchgeführt. Das Ergebnis: Studierende, die mit VR lernen, behalten mehr Wissen über einen längeren Zeitraum – im Vergleich zu denen, die etwa mit Videoseminaren lernen.
Außerdem seien die Übungen motivierender, hilfreicher und spannender, wenn "man in das Szenario eintaucht und man merkt, das hat ziemlich direkt etwas mit dem zu tun, was ich später auch machen soll als Arzt", so Mühling. VR könne die Ausbildung in eine positive Richtung verändern. Noch stecke die Forschung allerdings in den Anfängen: Es bräuchte weitere Studien – etwa, um herauszufinden, an welcher Stelle im Studium VR am meisten Sinn mache.
Fehler machen erlaubt – und erwünscht
Die Fallbeispiele in der VR-Notaufnahme beruhen auf echten Daten. Und genau hier dürfen die Studierenden auch Fehler machen – um daraus zu lernen.
Ida Els und Justus Hammermann haben inzwischen ihre Diagnose gestellt und den Patienten optimal verarztet. Ihr Leiter hat ihnen während der Behandlung über die Schulter geschaut und ist sehr zufrieden: "Ich würde die beiden schon in die Notaufnahme und vielleicht auch unter Supervision ihre ersten Entscheidungen machen lassen", sagt Mühling.
Das VR-Training wird ständig erweitert – in Zukunft soll zum Beispiel ein KI-Assistent eingebunden werden, der in der virtuellen Notaufnahme wie ein Oberarzt unterstützt. Für angehende Ärzte und Ärztinnen ist das eine wertvolle Gelegenheit, um sich noch besser auf den Ernstfall vorzubereiten.
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